Warum die wachsende Nutria-Population an der Else ein Problem werden kann

Bünde/Kirchlengern. Nutria in Pilzsoße. Das ist das erste, was Gabriele Potabgy an diesem Nachmittag einfällt. &bdquo;Hier ist das Rezept", sagt sie und zeigt ein Blatt Papier mit Zutatenliste und Zubereitung. Ein ungewöhnlicher Start für einen Draußentermin mit einer Biologin. &bdquo;Ich würde das wirklich mal gerne probieren", versichert sie und lacht. Aber dann macht die Mitarbeiterin der Biologischen Station Ravensberg die Taschenlampe an und verschwindet unter der Elsebrücke Lübbecker Straße in Südlengern. &bdquo;Im Schlamm unter Brücken kann man jede Menge Spuren entdecken", sagt sie. Vielleicht ja auch die einer Nutria. Nutria – viele haben wahrscheinlich noch nicht mal den Namen gehört. Andere wissen nicht, ob sie "die", "das" oder "der" Nutria sagen sollen. Wikipedia empfiehlt &bdquo;die" oder allenfalls "das", niemals aber "der". Der männliche Artikel ist für den Biber reserviert – mit dem die Nutria häufig verwechselt wird. &bdquo;Wir bekommen aus der Bevölkerung in letzter Zeit sehr viele Hinweise auf vermeintliche Biber-Beobachtungen", berichtet Potabgy. Unsicherheit und Nichtwissen rühren wohl vor allem daher, dass das Vorkommen dieser bis zu 10 Kilogramm schweren Nager in unserer Region ein eher neues Phänomen ist. Schaut man in andere Teile Deutschlands, hat die Nutria aber schon eine längere Geschichte hinter sich: Die ursprüngliche Heimat der an Flüssen, Seen, Teichen und in Sümpfen lebenden Tiere ist das subtropische und gemäßigte Südamerika. Dort kommen sie vom südlichen Brasilien bis nach Feuerland vor – und standen im 19. Jahrhundert wegen des begehrten Fells zwischenzeitlich kurz vor der Ausrottung. In der DDR stand Nutria häufig auf der Speisekarte Fast gleichzeitig eroberten sie – zunächst unfreiwillig – andere Teile der Welt: Die Haltung in Europa begann etwa gegen 1890 in Frankreich, erste Pelztierfarmen in Deutschland bestanden ab 1926. Auch das wohlschmeckende Fleisch der überwiegend vegetarisch lebenden Tiere wurde hierzulande verwertet – in späteren Jahrzehnten vor allem in der DDR. Erste verwilderte Populationen traten in Deutschland in den 1930er Jahren auf – entkommene oder auch ausgesetzte Tiere konnten sich aufgrund einer nicht stattfindenden Bejagung relativ gut vermehren. Dass die Nager bislang noch nicht zur Plage geworden sind, ist vermutlich dem doch vergleichsweise rauen Klima geschuldet – nach starken Wintern gab es in Deutschland immer wieder starke Populationseinbrüche. In jüngerer Vergangenheit ist allerdings ein starker Anstieg der deutschen Nutria-Bestände zu verzeichnen. Und seit einiger Zeit ist der Nager auch in unserer Region heimisch. Ein weiteres Anzeichen für den beginnenden Klimawandel? Gabriele Potabgy leuchtet mit ihrer Taschenlampe in den Brückenschlamm: Hund, Katze, Mensch – Ente, Blässhuhn, Graureiher – Ratte, Marder, Waschbär. Die Biologin entdeckt zahllose Spuren. &bdquo;Diese Stellen sind für so etwas sehr gut geeignet", erklärt sie. &bdquo;Erstens gibt’s hier kaum Vegetation, zweitens wäscht der Regen nicht sofort alles weg." Aber wo nichts ist, kann man auch nichts entdecken. Und eine Nutria scheint hier in jüngerer Vergangenheit nicht unterwegs gewesen zu sein. Die Nutria ist tagaktiv und wenig scheu Potabgy weiß aber, dass es auch im Bünder Land immer mehr werden. Sie selbst hat schon viele gesehen. Und Spaziergänger, die am Wasser unterwegs sind, berichten von weiteren Beobachtungen. &bdquo;Viele können mit dem Tier aber noch nichts anfangen und halten die Nutria entweder für einen Biber oder für einen sehr großen Bisam", sagt Potabgy. Größentechnisch bewegt sich die Nutria zwischen den genannten Arten. &bdquo;Der Biber hat einen platten Schwanz, die Nutria nicht", nennt die Biologin einen prägnanten Unterschied. Und während ein Biber scheu und nachtaktiv ist, lässt sich eine Nutria auch problemlos am helllichten Tag beobachten. Ein weiterer Unterschied: &bdquo;Der Biber gehört hierher, die Nutria nicht", sagt Potabgy. Wobei sich die Schäden, die dieser Zuwanderer anrichtet, in Grenzen halten: Hier und da unterhöhlt er die Uferbereiche von Bächen und Flüssen, dort kann es zu Einstürzen kommen. Dass die Nutria anderen Tieren den Lebensraum wegnehme, sei nicht der Fall. &bdquo;Nur dem Bisam und der Wanderratte – und die sind ja selbst vom Menschen eingeschleppt worden", sagt Potabgy. Die Nutria, so erzählt sie weiter, fresse aber auch manche Feldfrucht. Und schlimmer: Einige seltene Süßwassermuscheln stünden ebenfalls auf dem Speiseplan. Parallelen zur Stadttaube Zustände wie in anderen Gegenden Deutschlands wünscht sich die Biologin jedenfalls nicht. &bdquo;Da sind die Tiere dem Menschen schon so nahe, dass sie sich mit Gemüse füttern lassen", weiß sie. Parallelen zur Stadttaube tun sich auf. Wenig wünschenswert. Und Hundehalter, so ergänzt sie, sollten sich sogar ein bisschen in Acht nehmen: Die Nutria sei sehr wehrhaft und könne einem allzu neugierigen Vierbeiner mit ihren großen und orangefarbenen (!) Zähnen ernsthafte Verletzungen zufügen. Mal angenommen, die Nutria würde sich in Zukunft übermäßig verbreiten – was könnte man dagegen tun? Gabriele Potabgy zuckt mit den Schultern. Ganz kurz wandert ihr Blick auf den Zettel mit dem Rezept: Nutria in Pilzsoße.

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