Nah am Bürger: Auf Streife mit dem Pedelec

Bünde. Die Polizei auf zwei Rädern, angetrieben (überwiegend) von Muskelkraft. Statt Streifenwagen oder Motorrad ist bei Bezirksbeamten auch mal das Fahrrad das Gefährt der Wahl – bei Bedarf unterstützt von einem Elektromotor. Was zunächst nach einem ruhigen Dorfpolizistenjob klingt, ist es aber ganz und gar nicht. Und der Zuständigkeitsbereich der so genannten &bdquo;Dorfsheriffs" umfasst sehr viel mehr als das Ahnden von leichten Ordnungswidrigkeiten. Auf dem Fahrrad besonders nahbar, sind sie am Puls des Bürgers. Sprechen sie in einem Moment mit gut betuchten Villenbesitzern in ihrem Bezirk über Sicherheit am Haus, weisen sie Minuten später einen halbwegs ausgenüchterten Mann an, das Haus wieder zu verlassen. Der Gatte hatte am Abend zuvor seine Frau geschlagen und wurde damit bei den Streifenkollegen der Nachtschicht aktenkundig. &bdquo;Wir überprüfen die Einhaltung des zehntägigen Rückkehrverbots nach häuslicher Gewalt", sagt Polizeihauptkommissar Matthias Drüke. Der Mann wollte noch ein paar Sachen holen, weshalb Drüke ihn noch kurz gewähren ließ, aber im Vieraugengespräch deutlich wurde. Auch die Frau als Gewaltopfer kann die zehntägige Frist nicht aufheben. "Mit dem Fahrrad hast du keine Barriere zwischen dir und den Menschen" Wenn Matthias Drüke in seinen drei Bezirken Bustedt, Südlengern und Dünne unterwegs ist, grüßt ihn eine Zahl von Passanten, die ihn als &bdquo;ihren Polizeibeamten vor Ort" kennen. Aber noch viel mehr Kinder auf Schulhöfen oder vor den Schulen. Sie kennen ihn zum Beispiel von der Verkehrserziehung. &bdquo;Mit dem Fahrrad hast du keine Barriere wie eine Autoscheibe oder -tür zwischen dir und den Menschen in deinem Bezirk. Man ist näher dran, wird auch eher angesprochen", sagt der 58-Jährige. Seit Anfang 2017 macht er diesen besonderen Polizeidienst in Bünde. Dünne im Norden liegt zwar etwas aus der Richtung zu seinen südlichen Bezirken Südlengern und Bustedt, doch dort ist der Hauptkommissar ebenso häufig und täglich anzutreffen. 35 bis 40 Kilometer am Tag auf dem Rad sind eher der Normalfall. Hinter Dokumenten verbergen sich Schicksale Mit kaum einem anderen Verkehrsmittel ist ein Polizist so flexibel wie mit dem Fahrrad. Unterwegs in Bereichen, die mit dem Auto gar nicht mehr, oder zu Fuß nur sehr langsam erreichbar sind. Die persönliche Ausrüstung ist gleich zu den anderen Kollegen im Streifenwagen: Funk, Dienstwaffe, Handschellen. In der Seitentasche am Gepäckträger befindet sich eine Mappe mit Dokumenten, hinter denen sich verschiedenste Schicksale verbergen. Das merkt Matthias Drüke besonders dann, wenn er nicht gezahlte Bußgelder für die Staatsanwaltschaft und Bußgeldstellen gewissermaßen &bdquo;eintreiben" soll. &bdquo;Das sind manchmal zehn Euro oder auch mal zweihundert. Aber die Leute bezahlen das oft einfach nicht – manchmal können sie es auch nicht." Vor einem Mehrfamilienhaus in Südlengern steht Matthias Drüke nicht zum ersten Mal. Dass die Frau nicht öffnet, hatte er schon fast erwartet. Ein Nachbar, der zufällig in der Einfahrt des Nachbarhauses steht, gibt bereitwillig Auskunft, wann dort jemand anzutreffen ist. Gespräche wie dieses sind für die Arbeit der Bezirksbeamten enorm wichtig. &bdquo;Man erfährt durch das direkte Gespräch viel. Auch Dinge, die mit dem eigentlichen Grund, der einen dorthin geführt hat, nicht viel zu tun haben." Bußgelder müssen persönlich in Herford eingezahlt werden Aber hat Matthias Drüke Erfolg und kann ein überfälliges Bußgeld entgegennehmen, wird es aufwendig. Mit dem Geld muss er persönlich nach Herford fahren, um es dort bei der Deutschen Bank auf ein spezielles Konto einzuzahlen – per Überweisung oder gar online geht da nichts. Vollstreckung von Haftbefehlen, Aufenthaltsermittlungen, Schulwegsicherung, Kriminalitätsvorbeugung, Beratung in Schulen und Kindertagesstätten, Überprüfung von Rückkehrverboten bei häuslicher Gewalt sind das Tagesgeschäft. &bdquo;Seit dem Lockdown Mitte März hat die häusliche Gewalt deutlich zugenommen", sagt Drüke. Hinzu kommen noch Sondereinsätze wie die Begleitung und Absicherung von Großveranstaltungen und Demonstrationen. Die Aufenthaltsermittlung ist wie das Vollstrecken von Haftbefehlen nicht immer von Erfolg gekrönt. &bdquo;Das Ziel ist, eine ladungsfähige Anschrift zu ermitteln, wenn jemand vor Gericht erscheinen soll", sagt Drüke. An diesem Tag wird er noch mit dem Einwohnermeldeamt der Stadt Bünde Kontakt aufnehmen, um jemanden zu überprüfen, der eine Adresse an der Lortzingstraße als seine Anschrift angegeben hat. Die Überprüfung wird später negativ ausfallen. &bdquo;Eine Scheinanschrift", sagt der Hauptkommissar. Der Mann war zwar dort gemeldet, hat dort aber nie gewohnt. Niemand, dem es darauf ankommt, Knöllchen zu verteilen Auf ihren Wegen stoßen Beamte des Bezirksdienstes auch immer wieder auf Zeitgenossen, die gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. &bdquo;Ich bin jetzt aber niemand, dem es darauf ankommt, am Ende des Tages möglichst viele Knöllchen verteilt zu haben", sagt Matthias Drüke. Er sucht eher das Gespräch und klärt die Verkehrsteilnehmer über die Folgen ihres Handelns auf. &bdquo;Das ist nachhaltiger", sagt er. Ein Landschaftsgärtner, der in Südlengern mit seinem Anhänger zu weit in einer Straßenkreuzung steht, bekommt von dem Bezirksbeamten einen Anruf. Sekunden später kommt ein Mann auf seinem Sitzrasenmäher um die Ecke. Ein Bußgeld muss er nicht zahlen, nur versprechen, dass er beim nächsten Mal darauf achtet, nicht die Kreuzung zu versperren. Fehlende Fahrzeugpapiere machen die Überprüfung aufwendiger Weniger Glück hingegen hat jemand, der seinen Wagen im Naturschutzgebiet in Bustedt geparkt hat. Auch ein etwa dreißigjähriger Mann, der mit seinem Luxusauto auf der Fünfhausenstraße – eine Fahrradstraße – einen Radfahrer anhupt, muss sich die Zeit für eine ausführliche Überprüfung nehmen. Sein Fehler außerdem: Er hat keine Fahrzeugpapiere bei sich, was die Überprüfung aufwendiger macht. Auf seinen Wegen macht Matthias Drüke aber auch kuriose Entdeckungen. Von Anwohnern am Rand von Dünne hat er erfahren, dass aus einem Waldstück nachts lautstark Musik tönt. Was er dort findet, ist ein selbstgebauter, einem Tipi ähnelnder Bau aus Ästen. Von innen lässt sich sogar mit dünnen Seilen ein Tor hochziehen. Offenbar ein Ort, den Jugendliche für sich und ihre Partys entdeckt haben. Mit dem Auto nicht zu erreichen und mit dem Motorrad nur, wenn es geländegängig ist. Zwischen &bdquo;Lost Places" und wahren Schmuckstücken &bdquo;Ein Vorteil der Streife auf dem Fahrrad ist auch, dass man Orte sieht, an denen man mit dem Auto oder auch Motorrad schnell vorbeifahren würde." Und davon kennt der Hauptkommissar einige. Zum Teil sind es &bdquo;Lost Places", verfallene Orte, die versteckt oder gar abgesperrt sind, damit sie niemand betritt. Aber es gibt auch verlassene Schmuckstücke, bei denen Drüke regelmäßig kontrolliert, ob sich jemand Zugang verschafft hat, der dort nicht hingehört – und ob noch alle Fenster heil sind. Dazu ist er manchmal auch mit den Eigentümern in Kontakt, die weit entfernt wohnen. Auf der Waldstraße in Bustedt, wo sich die Kita und die Grundschule befinden, weist eine junge Mutter mit Warnweste frühmorgens Eltern, die ihre Kinder bringen, den Weg. Direkt bis vor die beiden Einrichtungen sollen nur Mitarbeiter fahren. Sonst wird es zu eng in der Sackgasse. Matthias Drüke schlägt hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Er bekommt einen Eindruck von der Verkehrslage an der neuralgischen Stelle der Waldstraße und erfährt von der Frau etwas über Nachbarn in ihrer Straße, die in jüngster Vergangenheit durch ihr Verhalten die Anwohner terrorisieren. Ein Fall, dem sich Drüke später widmen wird. Als Bezirksbeamte kommen nur erfahrene Beamte in Frage Dass Streifendienst auf dem Fahrrad auch bedeuten kann, einen Lkw zu verfolgen, zeigt sich dort ebenfalls. &bdquo;Eigentlich sollen die von der Autobahn über die Weseler Straße kommen. Hier gefährden sie die Schulkinder." Und auf dem Weg zum Gewerbegebiet Bustedt bleiben sie auf Höhe der Stresemannstraße stecken: Durchfahrt für Lkw verboten. Bei schlechter Witterung bleiben die E-Bikes der Bezirksbeamten in der Wache, dann greifen sie zum Streifenwagen, um auch jetzt, in der dunkler werdenden Jahreszeit, in den Bezirken präsent zu sein. Kein Tag ist gleich – egal, ob man per Auto oder Fahrrad unterwegs ist. Wer als Polizist die tägliche Action sucht, findet im Bezirksdienst kaum Befriedigung, weshalb dafür auch nur erfahrene Beamte mit einer gewissen Gelassenheit in Stresssituationen in Frage kommen, die dem Bürger etwas geben, das zunehmend wichtiger und auch immer häufiger eingefordert wird: ein Gefühl der Sicherheit.

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