Verl kann neuen Bürgermeister wählen: „Ich muss dafür sorgen, dass ich bekannt werde“

Herr Böttcher, Sie bitten die Wähler um ihre Stimme, &bdquo;damit es rund läuft in Verl“. So lautet einer Ihrer Slogans. An welchen Stellen läuft es Ihres Erachtens in der Stadt nicht rund? JAN BÖTTCHER: Das ist eine Anspielung darauf, dass ich Sportler bin, und deshalb sollte sich der Slogan aufs Laufen beziehen. Ich habe im Wahlkampf stets betont, dass es mir wichtig ist, Brücken zu bauen und nicht Gräben zu vertiefen. Auch darauf soll es anspielen. Es zielt also in die gleiche Richtung wie Ihr anderes Wahlkampf-Motto, ein &bdquo;Bürgermeister für alle“ sein zu wollen? Genau. &bdquo;Bürgermeister für alle“ ist von manchen falsch verstanden worden. So hatte die FDP geschrieben, ich könne kein Bürgermeister für alle sein, sie wolle sich neutral verhalten. Ich hatte bei diesem Spruch gar nicht die Parteien im Fokus. Diesen Anspruch kann ich ja schon deshalb nicht stellen, weil Herr Rieksneuwöhner für die CDU antritt. Was ich verkörpere und was mir anscheinend auch nachgesagt wird, ist, dass ich bodenständig bin. Ich möchte deshalb ein Bürgermeister für alle Menschen sein. Egal welcher Konfession, welcher politischen Ausrichtung oder welcher Nationalität. Wie bei der Kommunalwahl dürfen den Bürgermeister ja auch die Bürger anderer EU-Staaten mitwählen. Ich möchte, wenn ich denn Bürgermeister würde, mit allen Parteien reden und mit allen zusammenarbeiten. Sie haben erste kommunalpolitische Erfahrungen als Mitglied der CDU gesammelt und sind später zur FDP gewechselt. Nun treten Sie als parteiloser Kandidat an und werden unterstützt von einem Dreierbündnis aus Grünen, SPD und FWG. Aus der FDP sind Sie erst am Tag vor der Bekanntgabe Ihrer Kandidatur ausgetreten. Warum so spät? Es ist eine Entscheidung gewesen, die mir nicht ganz leicht gefallen ist. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, welche Position ich als Bürgermeister einnehmen möchte. Wäre ich noch Mitglied einer Partei gewesen, glaube ich, dass es meiner Person gegenüber Vorbehalte gegeben hätte. Und das wollte ich nicht. Genau das fließt ein in den Slogan &bdquo;Bürgermeister für alle“. Warum kam dann aber der Parteiaustritt so kurzfristig? Weil alles sehr schnell ging. Nachdem Michael Esken bekannt gegeben hatte, sich beruflich umorientieren zu wollen, dauerte es eine gewisse Zeit, bis ich gefragt wurde, ob ich es mir vorstellen könnte zu kandidieren. Als ich mich mit den drei Parteien getroffen habe, stand nicht sofort fest, dass ich antreten würde. Zunächst galt es, sich kennenzulernen. Das Ganze war ein Prozess. Ausgerechnet die FDP, der Sie sich offenbar bis zuletzt politisch am ehesten verbunden gefühlt haben, unterstützt Ihre Kandidatur jetzt nicht. Schmerzt das? Oder haben Sie für diese Haltung Verständnis? Die FDP hat offiziell bekannt gegeben, die Wahlentscheidung dem mündigen Bürger überlassen zu wollen. Das schmerzt mich nicht, das respektiere ich. Ich bin, wie gesagt, angetreten, ein Bürgermeister für alle sein zu wollen. Dass die FDP jetzt nicht dabei ist, das ist so. Aber ich habe es geschafft, und das ist einzigartig in der Geschichte der Stadt Verl, drei unterschiedliche Parteien hinter mir zu vereinen, die ein großes politisches Spektrum abbilden. Das sehe ich als Erfolg. Lesen Sie auch: Wegen Vergangenheit - Scharfe Kritik an Bürgermeisterkandidat im Kreis Gütersloh Auch die SPD hat sich nach eigenem Bekunden bis zuletzt schwergetan, sich dem Unterstützer-Bündnis anzuschließen. Womit haben Sie die Sozialdemokraten überzeugen können? Mit meiner Person. Zunächst hatten sich diese drei Oppositionsparteien an einen Tisch gesetzt, um herauszufinden, ob das Interesse besteht, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen. Erst danach haben wir uns getroffen. Insbesondere mit der SPD habe ich mehrere Gespräche geführt, weil man mich besser kennen lernen wollte. Wir haben vor der Bekanntgabe der Kandidatur über alles gesprochen, weil ich sicher sein wollte, dass am Ende auch alle hinter mir stehen werden. Das Wahlprogramm stand anfangs noch nicht, aber grob haben wir selbstverständlich inhaltliche Fragen besprochen, damit mich alle im Wahlkampf vorbehaltlos unterstützen können. Dass es jetzt drei Parteien sind, bedeutet ja auch eine gewisse Manpower. Die Arbeit im Wahlkampf ist auf viel mehr Schultern verteilt. Natürlich bin ich als Handwerker in Verl ein bisschen bekannt und auch als einer der Vorsitzenden des TV Verl. Aber mich kennt ja nicht jeder hier. Ich muss dafür sorgen, dass ich bekannt werde. Deshalb habe ich schon relativ früh damit begonnen, mich beispielsweise vor den Supermärkten zu präsentieren. Dafür brauche ich Unterstützung, und die läuft sehr gut. Das wiederum motiviert mich. Mit welchen Themen haben Sie die drei Parteien hinter sich gebracht? Mir ist persönlich natürlich der Wirtschaftsstandort Verl sehr wichtig, da ich hier selbst als Unternehmer tätig bin. In den vergangenen Jahren hat aber auch bei mir ein gewisses Umdenken stattgefunden, was den Umwelt- und Klimaschutz betrifft. Der Menschen gemachte Klimawandel ist nicht zu leugnen und er ist spürbar auch in Verl, beispielsweise durch sommerliche Hitzeperioden oder vermehrte Starkregen-Ereignisse. Mein eigener Keller zu Hause hat erst noch im September unter Wasser gestanden. Ich bin überzeugt, dass eine Kommune wie Verl dagegen etwas tun kann. Zum Beispiel? Wir müssen Schattenplätze bieten und bei Planungen, gerade im innerstädtischen Bereich, für einen ausreichenden Baumbestand sorgen. Auf die starken Regenfälle, wenn in ganz kurzer Zeit sehr viel Niederschlag auf einmal fällt, müssen wir uns vorbereiten, indem wir das Kanalnetz anpassen und darauf achten, dass nicht alles zugepflastert wird. Ein weiteres großes Thema ist die Energieversorgung. Jeder hat das beim Gas zu spüren bekommen, als 2022 die Ukraine von Russland überfallen wurde. Ich glaube, dass eine Kommune den eigenen Bürgern eine bezahlbare Energieversorgung bieten kann und muss. Da sind wir mit dem Ausbau des eigenen Fernwärmenetzes in Verl bereits auf einem guten Weg. Eine Kommune kann aber auch etwas mit dem Aufbau von Freiflächen-Photovoltaik und Windkraftanlagen erreichen. Außerdem bin ich überzeugt, dass man mehr beim Ausbau des Radwegenetzes tun kann. Ich bin selbst leidenschaftlicher Fahrradfahrer, bin im Jahr rund 5.000 Kilometer mit dem Rad unterwegs und denke, dass ich die Situation ganz gut kenne. Man kann in Verl sicherlich für das Miteinander von Auto-, Fahrradfahrern und Fußgängern noch vieles tun. Das alles sind Themen, mit denen ich die mich unterstützenden Parteien überzeugen konnte. Sie haben den Wirtschaftsstandort genannt, die notwendige Reaktion auf den Klimawandel (da haben wir beispielsweise &bdquo;VIPER29“ und die Bürgerenergiegenossenschaft), den Radwegeausbau – das sind alles Dinge, die die CDU und Robin Rieksneuwöhner ebenfalls anführen. Worin unterscheiden sich Ihre Positionen von denen Ihres Gegenkandidaten? Das weiß ich gar nicht, das interessiert mich in dem Sinne auch nicht. Ich habe meine Vorstellungen in meinem Wahlprogramm niedergelegt und nicht darauf geschaut, was andere sagen. Ich will authentisch sein, denn zu meinen Aussagen stehe ich. Was mir ganz wichtig ist: Ich mache keinen Wahlkampf gegen jemanden. Ich mache keinen Wahlkampf gegen die CDU oder gegen Robin Rieksneuwöhner. Ich sage nicht &bdquo;Das haben die verkehrt gemacht.“ Ich möchte meine Ideen vorstellen. Sollten Sie am 21. Januar zum Bürgermeister gewählt werden: Welches wird das erste Projekt sein, dass Sie im neuen Amt angehen wollen? Als erstes würde ich mit allen Parteien sprechen, insbesondere mit der CDU. Ich möchte meine Hand ausstrecken für eine gute, respektvolle und konstruktive Zusammenarbeit. Mir ist bewusst, dass nicht alles klappen wird, was ich mir vorstelle umzusetzen. Aber ich bin Sportler. Als solcher habe ich gelernt, auch mal ein Tor zu kassieren, weiß aber, dass das Spiel dann noch nicht vorbei ist. Zunächst würde ich mich mit dem Haushalt für 2024 befassen. So, wie ihn die Verwaltung eingebracht hat, werden wir einen strukturell ausgeglichenen Etat haben. Ich möchte da aber hinter die Zahlen blicken. Dann habe ich die Bürmsche Wiese auf dem Schirm. Die gefällt mir überhaupt nicht. Persönlich habe ich den Eindruck, dass sie in der Bevölkerung nicht so angenommen wird, wie es eigentlich sein sollte. Dies war immer wieder Thema in den vielen, vielen Gesprächen, die ich mittlerweile geführt habe. Heute handelt es sich um eine künstlich geschaffene Wiese, auf der die Wildpflanzen eingesät worden sind und auf der diverse Kunstwerke stehen. Sie ist deshalb eigentlich nicht betretbar. Ich stelle fest, und so sehe ich das persönlich auch, dass die Bürgerschaft die Wiese so nicht annimmt. Ich kann mir Veränderungen vorstellen, um die Akzeptanz zu steigern. Beispiel: Sicherlich sollte dort kein Kinderspielplatz entstehen; wir haben in Verl viele und gut ausgestattete. Aber ein paar Spielmöglichkeiten, damit sich Familien dort aufhalten wollen, sollten wir vorsehen. Vielleicht kann man an dieser Stelle auch Gastronomie weiterdenken. Unmittelbar angrenzend haben wir ja das Café Klüter oder Kampwirth. Aufwerten sollten wir ebenfalls das Areal rund um den Verler See, auch ohne die Landesgartenschau. Dort muss ja nicht viel passieren. Niemand möchte einen Tretbootverleih haben. Aber auch dort kann man mit kleineren Maßnahmen die Aufenthaltsqualität verbessern, beispielsweise indem wir die Wege anders gestalten. Eines bliebe Ihnen aus Ihrer Sicht als Bürgermeister erspart: die Landesgartenschau. Im Gegensatz zu anderen, deren kritische Stimmen man erst hört, seit das Aus nach dem Bürgerentscheid feststeht, haben Sie sich von Anfang an gegen die LGS positioniert. Warum? Ich habe immer betont, nicht prinzipiell gegen eine Landesgartenschau zu sein. Ich halte das Instrument im Grunde für eine tolle Sache. Aber: Für Verl 2029 ist es nicht angebracht. Aus vielen Gründen. Da ist das Konzept mit den beiden getrennten Standorten Ostwestfalenhalle und Verler See. Dazwischen verkehrt ein Shuttle-Bus. In Kaunitz gäbe es eine Blumenhalle und die Parkplätze, den Verler See hat man in anderthalb bis zwei Stunden locker umrundet. Wir haben zwar gesagt, wir werden die kleinste Landesgartenschau sein. Ich finde das Angebot aber vor dem Hintergrund, dass wir Besucher aus größerer Entfernung anziehen wollten, unangebracht. Ohne entsprechende Aufenthaltsmöglichkeiten fehlt es an Attraktivität. Notwendige Grundstücke sind jetzt gerade erst gekauft worden. Das erscheint mir alles mit heißer Nadel gestrickt. Wir haben schließlich auch noch die Ölbachaue. Vielleicht gelingt es, ein verbindendes Band vom Holter Wald bis zum See zu ziehen. Ohne den Druck, es bis 2029 geschafft zu haben. Also könnten Sie sich eine Landesgartenschau 2035 mit Jan Böttcher vorstellen? Soweit würde ich nicht gehen. Ich brauche keine LGS als Denkmal. Ich sage nur, mich hat das Konzept für 2029 nicht überzeugt. Außerdem laufen aktuell in Verl derart viele Projekte, dass ich nicht glaube, als Bürgermeister in den kommenden sieben Jahren Langeweile zu haben. Was macht Jan Böttcher am 22. Januar? Erst einmal eine Stunde länger schlafen. Ich gehe sehr engagiert in diesen Wahlkampf. Und nach allen Gesprächen, die ich bislang führen durfte, bin ich optimistisch, eine Chance zu haben.

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