Konflikte, Ängste und Depressionen: Immer mehr Kinder aus Kreis Gütersloh in der Krise

Verl. Es brennt. &bdquo;Wir sind die Feuerlöscher in der Schule“, sagt Helene Teichrib. Was die Schulsozialarbeiterin der Verler Marienschule beschreibt, steht exemplarisch für die Situation an den Grundschulen. Konflikte untereinander und familiäre Probleme, Schulangst und mangelnde Sprachkenntnisse: Das alles machte den Kindern früher schon zu schaffen, wirft sie in den Zeiten der Krisen aber immer öfter aus der Bahn – auch im vermeintlich beschaulichen und reichen Verl. Die Stadt will deshalb bis auf weiteres aus eigenen Mitteln die Aufstockung der Schulsozialarbeit an den vier örtlichen Grundschulen finanzieren. Im August 2021 hatte sie das Geld aus dem Förderprogramm &bdquo;Aufholen nach Corona“ von Bund und Land dazu genutzt, die wöchentlichen Arbeitsstunden der Sozialarbeiterinnen von 13 auf 19,5 zu erhöhen. Nachdem diese Zuschüsse ausgelaufen sind, war die Stadt zunächst für das laufende Jahr in die Bresche gesprungen. Nun will sie die Finanzierung mit jährlich zusätzlich 50.000 Euro dauerhaft sicherstellen. Dass dies dringend nötig ist, eigentlich noch viel mehr Sozialarbeit an den Grundschulen erforderlich, das machten Helene Teichrib und ihre Kollegin Sevinc Otabasi von der St.-Georg-Grundschule in Sürenheide vor dem Jugendhilfeausschuss deutlich. Die Sozialarbeiterinnen sind Ansprechpartner für Schüler, Lehrer und Eltern, für die Mitarbeiter von Randstundenbetreuung und Offenem Ganztag. Krisenintervention und Einzelfallhilfe bilden den Schwerpunkt ihrer Arbeit. Kinder, die es nicht mehr schaffen, am Unterricht teilzunehmen Sie sind da, wenn ein Kind nicht in die Klasse gehen möchte, wenn es es nicht schafft, vormittags am Unterricht teilzunehmen. Mit Trennungsängsten kämpfen nicht nur Erstklässler. &bdquo;Viele akzeptieren den Schulalltag nicht“, sagt Otabasi. &bdquo;So wie im Kindergarten: ,Ich habe keine Lust mehr, ich will nach Hause, ich will abgeholt werden.“ Das komme in jüngster Zeit immer häufiger vor. &bdquo;In diesem Ausmaß hab ich das früher so nicht wahrgenommen.“ In Kleingruppen arbeiten sie mit Kindern, die Schwierigkeiten haben, sich an Regeln zu halten. Streitschlichter-Programme, soziales Lernen, Einzelfallberatung: Das alles müssen die Schulsozialarbeiterinnen mit ihrer begrenzten Stundenzahl immer öfter leisten. &bdquo;Die Zahl der Beratungsgespräche mit Schülern hat sich im vergangenen Schuljahr verdoppelt“, hat Helene Teichrib registriert. Das soziale Miteinander sei anders geworden in den Zeiten von Krieg und Corona. &bdquo;Die Kinder sind nicht mehr in der Lage, Konflikte selbst zu lösen. Sie brauchen immer Unterstützung von Erwachsenen. Sie schaffen es nicht allein, ein besseres Miteinander zu gestalten.“ Sie erlebe viele Erstklässler, die ihre Gefühle nicht aussprechen können, die permanent weinen. &bdquo;In einer Klasse drei, vier, fünf Kinder, die dann nicht im Unterricht bleiben können“, sagt Otabasi. Es gibt vermehrt Extreme Bei älteren Kindern beobachtet sie vermehrt, dass sie sich gegenseitig schlagen, dass sie laut schimpfen. Doch noch schwieriger sei es, wenn Kinder gar nichts sagen, ihre Sorgen und Nöte in sich hinein fressen und irgendwann mit den Eltern weinend vor der Schule stehen und nicht hinein gehen wollen. &bdquo;Im Moment laufe ich von einem Kind zum anderen, das solche Problematiken mit sich herum schleppt.“ Die Mädchen und Jungen seien überfordert und gestresst, sagt Teichrib. &bdquo;Sie schaffen es nicht, dem Unterricht zu folgen und sich zu konzentrieren. Sie brauchen mehr Pausen und mehr Bewegung.“ Die Arbeit der Sozialarbeiterinnen erschwert immer öfter der Umstand, dass Kinder und ihre Eltern sehr wenig bis gar kein Deutsch sprechen. &bdquo;Viele Eltern können die Elternbriefe nicht lesen“, sagt Otabasi, die sich im Zweifel dann mit dem Google-Übersetzer behelfen muss. Insgesamt gebe es vermehrt die Extreme: Eltern, die zwar die Schwierigkeiten sehen, sich aber nicht zu helfen wissen; Eltern, die der Auffassung sind, die Erziehung sei Sache der Schule, ohne ihre eigene Mithilfe; Eltern, die die Schulsozialarbeiterinnen &bdquo;Schneepflug-Eltern“ nennen, weil sie ihren Kindern stets jede Schwierigkeit des Alltags aus dem Weg räumen. Suizid ist die häufigste Todesursache bei unter Zehnjährigen Ulrike Boden, Kreisgeschäftsführerin der AWO, die Trägerin der Schulsozialarbeit in Verl ist, wünscht mehr Zeit für präventive Angebote. &bdquo;Corona hat die Lebenswelt von Kindern drastisch verändert. Wer denkt, das ist jetzt ein Jahr her und sie müssen wieder funktionieren, der irrt. So ist es eben nicht.“ Mindestens 30 Prozent der Grundschulkinder in Deutschland seien depressiv, durch Corona eher noch mehr, so Bode. &bdquo;Und Suizid ist die häufigste Todesursache bei den unter Zehnjährigen. Wir müssen die Situation ernst nehmen.“

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