Gesicht des Droste-Hauses geht in den Ruhestand: "Es hat viele Tränen gegeben"

Herr Schafmeister, wenn Sie am Jahresende in den Ruhestand gehen, liegen 38 Jahre Droste-Haus hinter ihnen. Können Sie sich noch an die Anfangszeit erinnern? Karl-Josef Schafmeister: Das Droste-Haus war damals eine eher kleine Einrichtung. Das gesamte Personal bestand aus vier Mitarbeitern. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigten wir uns hauptsächlich mit den internationalen Jugendbegegnungen, so wie in allen Jahrzehnten. Die Familienbildungsstätte gab es auch schon. Aber die Größenordnung kann man mit der heutigen Situation nicht vergleichen. An der Goethestraße waren die Platzverhältnisse sehr beengt. Als ich kam, war ich 27 Jahre alt und der Trägerverein hat gewaltig investiert und eine elektrische IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine angeschafft. Daran können wir sehen, wie rasant sich seither alles verändert hat. Es gab damals auch nicht die heutigen Möglichkeiten, sich mit anderen Kulturen, anderen Ländern zu beschäftigen. Wenn man die anderen Kulturen sehen wollte, musste man hinfahren. Wohin führten Ihre ersten Begegnungen? Ägypten, Frankreich, Israel, Sowjetunion und Tschechien, das waren die ersten, die ich regelmäßig durchgeführt habe. Jedes Jahr. Auch das war nicht so wie heute, wo alles schnell gehen muss. Die Begegnungen dauerten immer drei Wochen plus angrenzende Wochenenden. Heute wäre das völlig ungewöhnlich, da hat niemand 24 Tage am Stück Zeit. Das Jugendaustauschwerk ist sehr gewachsen, vor allem in den vergangenen 20 Jahren. Als ich 1990 die Leitung übernahm, hatte ich fünf Mitarbeiter, heute sind es 112 hauptamtlich Beschäftigte plus eine ähnliche Zahl an Honorarkräften. Welche Neuerung haben Sie als erste angestoßen? Die Sommerferienspiele. Die haben wir schon 1983 eingeführt. Schon damals haben wir versucht, den Kindern die Möglichkeit zu geben, ein wenig hinter die Kulissen zu schauen mit Besuchen bei Feuerwehr, Rettungsdienst oder Bauernhof – das hat sich übrigens in den vergangenen 38 Jahren nicht verändert. Aber mittlerweile spielt bei uns in den Ferien eine zusätzliche Rolle, dass wir Programme für Kinder bereits ab 8 Uhr morgens anbieten, auch ein warmes Mittagessen gibt es dann. Zwölf Wochen Urlaub haben die Eltern nicht, die Kinder müssen dennoch betreut werden. Da spielt natürlich eine Rolle, dass Verl in diesen zurückliegenden Jahrzehnten stark gewachsen ist. Viele Menschen sind aus großer Entfernung zugezogen, und Opa, Oma, Onkel, Tante stehen nicht zur Verfügung, um sich um die Kinder zu kümmern. Mit dem Wachstum kam 1996 der Umzug an den Schillingsweg ... Das neue Haus am Schillingsweg war die entscheidende Weiche für die weitere Entwicklung. Wir sind ein wirklich kleiner Verein. Wir hatten unsere Räumlichkeiten bei unserem Vorsitzenden angemietet. Es war klar, dass wir spätestens, wenn Hugo Wöstemeyer in den Ruhestand gehen würde, andere Räume brauchen würden. Es hat viele, viele Gespräche gegeben. Der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Paul Lükewille und der ehemalige Bürgermeister Josef Lakämper kamen auf uns zu. Die Sepplerschule, die von der Grundschule am Bühlbusch für den dritten Jahrgang genutzt worden war, wurde frei. Ich muss gestehen, ich hatte kein Bild vor Augen. Ich bin noch am gleichen Tag hingefahren und war sofort davon überzeugt, dass das der richtige Standort ist. Wenn man Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien machen will, braucht man Platz und entfernt wohnende Nachbarn. Sie können ja Jugendlichen nicht dauernd verbieten, laut zu sein oder mal ein Feuer zu machen. Es gab Widerstände, vor allem beim Jugendamt. Die wollten unsere Einrichtung lieber in der Ortsmitte ansiedeln. Heute wäre das anders. Sie wissen, dass Jugendliche nicht mitten in die Stadt wollen. Die wollen nicht auf dem Präsentierteller sitzen. Die Erteilung der Baugenehmigung zog sich hin, es bedurfte vieler Gespräche. Die Gemeinde hat dann dafür gesorgt, dass ein beleuchteter Radweg hierher führt, sie hat uns das Gelände kostenlos zur Verfügung gestellt und alles in allem noch eine halbe Million Mark draufgelegt. Es gab nach heftigen Kämpfen auch noch einen Zuschuss des Kreises Gütersloh, und den Rest haben wir durch Eigenleistung und eine Spendensammlung aufgebracht. Insgesamt hat der Aus- und Umbau damals 1,5 Millionen D-Mark gekostet. Das war die Voraussetzung dafür, dass wir all die anderen Unternehmungen, die wir geplant hatten, auch durchführen konnten. Wir hatten plötzlich viel Platz, viele Räume, viele Büros für Mitarbeiter. Wie hat die Entwicklung zur Ganztagsschule das Droste-Haus verändert? Wir wussten schon Ende der 90er Jahre, dass wir als Jugendaustauschwerk verstärkt in die Schulen würden gehen müssen, wenn der Ganztag kommt. Begonnen haben wir damals mit dem &bdquo;HobbyDo" in der Hauptschule. 2004/2005 führte das Land die Offenen Ganztagsschulen ein. Die drei teilnehmenden Verler Grundschulen am Bühlbusch, Kaunitz und Sürenheide wollten mit uns zusammenarbeiten. Das waren anfangs ganz kleine Unternehmungen. In Kaunitz und Sürenheide sind wir mit einem Dutzend Schülern und zwei Mitarbeiterinnen gestartet. Eigene Räumlichkeiten für die OGS gab es an den Standorten noch nicht. Die ersten wurden am Bühlbusch gebaut, ansonsten wurden die Klassenräume genutzt. Die Entwicklung der OGS war aber unglaublich dynamisch. Wie viele Schülerinnen und Schüler nehmen heute am Offenen Ganztag teil? Hier in Verl sind es mehr als 400. Ab 2005 waren durch die Veränderungen in der Arbeitswelt immer mehr Familien darauf angewiesen, dass sie für ihre Schulkinder eine Ganztagsbetreuung fanden. Im Jahr 2010 kam die Marienschule noch dazu, 2019 die Grundschule Große Heide in Friedrichsdorf. Mittlerweile gibt es für alle OGSen Neubauten. Und die sind schon wieder am Limit. Zum Beispiel am Bühlbusch muss demnächst angebaut werden. Mitte des Jahrzehnts wurde die Hauptschule zur ersten Ganztagsschule in Verl. Und eine Ganztagsschule benötigt in jedem Fall sowas wie eine Mensa. Der Küchenbereich, den wir dort zu diesem Zeitpunkt schon betrieben, wurde vergrößert. Es kam ein zusätzlicher Speiseraum hinzu. Aber irgendwann war für die Stadt klar, dass zwischen den Gebäuden von Haupt- und Realschule eine richtige Mensa gebaut werden sollte. Und das ist etwas, das man den Vertretern im Rat nicht hoch genug anrechnen kann: Gebaut wurde eine Mensa mit Frischküche. Es wird nicht Geliefertes aufgehübscht, hier wird seit 2009 von uns alles frisch zubereitet. Die OGSen, die zuvor ihre Essen von einem Caterer erhielten, werden seither ebenfalls von hier aus versorgt. Sie sind gewachsen, gewachsen, gewachsen. Immer mehr Aufgaben, immer mehr Mitarbeiter. Und dann kam Corona. Das Droste-Haus wurde Anfang vergangenen Jahres ganz furchtbar ausgebremst. Ja, in allen Bereichen. Das war und ist eine dramatisch schwierige Situation. Am schlimmsten hat es die internationalen Begegnungen getroffen. Es hat wirklich viele Tränen gegeben, weil wir weder 2020 noch 2021 irgendeine Veranstaltung durchführen konnten. Wir stehen natürlich in Kontakt mit unseren Partnern rund um den Globus und haben gelernt realistisch einzuschätzen, dass auch 2022 im ersten Halbjahr nichts passieren wird. Wir haben aber tatsächlich Überlegungen, ob wir zum Herbst 2022 nicht erste Maßnahmen durchführen können. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Jugendlichen, die ausländischen wie unsere, beteiligen sich daran, über Videotelefonie den Kontakt zu halten. Aber neue Kontakte kann man über diesen Weg nicht anbahnen. Wir haben in dieser Situation gesehen, wie wichtig es ist, sich persönlich treffen zu können. Die Universität Köln hat in einer Untersuchung herausgefunden, dass Online-Treffen von Jugendlichen, die sich zuvor nicht kannten, nicht zum Abbau von Vorurteilen führen, sondern zu deren Verstärkung. Man muss zusammensitzen, essen und feiern. Nur dann kann sich etwas entwickeln. Wie ist es der Mensa in dieser Zeit ergangen? Als 2020 die Schulen geschlossen waren, traf das auch die Mensa. In allen Schulen und Kindergärten gab es eine Notbetreuung. Auch über Ostern. Also haben die Beschäftigten der Mensa an jedem Tag gearbeitet. Aber mit sehr kleiner Besetzung. Wir haben manchmal nur fünf Essen an eine Einrichtung ausgeliefert. Es nützte ja nichts, die Kinder mussten essen. Es war wirklich extrem schwierig. Hier im Haus haben wir, wo immer es ging, die Veranstaltungen der Familienbildung digital durchgeführt. Ein Vortrag kann ein Jahr später stattfinden. Das funktioniert aber nicht bei Geburtsvorbereitungskursen. Wir hatten in diesem Frühling noch im Schnitt 70 digitale Veranstaltungen pro Woche. Damit das technisch möglich war, haben wir viel Geld in die Hand genommen. Auch dafür, dass die Mitarbeiter ins Home-Office gehen konnten. Im Jahr 2020 haben wir sogar Ferienspiele digital angeboten ... Meine Mitarbeiter haben sich viele Gedanken gemacht, wie man Kinder und Jugendliche erreichen kann. Trotz all der Bemühungen: Sind in dieser Zeit nicht Strukturen zusammengebrochen? Gibt es die Partner im Ausland noch? Sind die Mensa-Kunden noch so zahlreich wie früher? Sind die Kursleiter alle noch da, oder haben sich einige umorientiert? Das hat ja Spätfolgen, wie Corona auch. Das ist so, keine Frage. Das wird die spannende Frage sein für das nächste und das übernächste Jahr. Wir sind nicht sicher, dass alle unsere Partner an Bord bleiben. Man muss sehen, dass Corona insbesondere in Ost- und Südosteuropa schlimm gewütet hat. Viele Bereiche gibt es seit dem Frühjahr 2020 nicht mehr im Haus. Die sind einfach weg. Zum Beispiel? Kochen. Kochen kann man nicht digital. Das muss erst wieder neu aufgebaut werden. Haben Sie in dieser Zeit Mitarbeiter verloren? Nein. Als wir schließen mussten, wussten wir ja nicht, wie lange das dauern würde. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja nicht nur Arbeitnehmer beim Jugendaustauschwerk. Sie haben Familie, sie haben Partner, die ähnliche wirtschaftliche Probleme hatten. Kurzarbeit gab es bei uns hauptsächlich in der Mensa. Ich habe 2020 jeden einzeln angeschrieben und ihnen versichert, dass wir alles dafür tun werden, dass sie ihren Arbeitsplatz behalten. Sie mussten den Mut behalten, und wir haben tatsächlich nicht ein einziges Arbeitsverhältnis kündigen müssen. Wir haben sämtliche Fördermittel des Bundes und der Europäischen Union genutzt. Und unsere Stiftung hat eine wichtige Rolle gespielt. Uns hat auch geholfen, dass wir in mehreren Bereichen tätig sind und nicht vollständig schließen mussten. Weil sich an den Schulen und in den OGSen die Gruppen nicht mischen durften, benötigten wir dort zum Beispiel enorm viel Personal. Dort haben wir dann diejenigen Mitarbeiter eingesetzt, deren Aufgaben wegen Corona weggefallen waren. Aber Sie haben zu recht gesagt: Die Spätfolgen kommen noch. Wie wir das hier alles wieder in Schwung bringen werden, daran arbeiten wir zur Zeit. Und trotzdem haben Sie in dieser schweren Zeit Pläne. Sie haben bei der Stadt beantragt, das Erbbaurecht für die Sepplerschule vorzeitig zu verlängern, weil Sie in den Standort investieren wollen. Die Dinge sind im einzelnen noch nicht spruchreif. Aber: Die Stadt hat zugestimmt, das Erbbaurecht wurde verlängert und das Gelände hier steht uns zur Verfügung bis 2055. Wir sind zur Zeit damit beschäftigt Pläne zu erarbeiten. Es geht um eine Erweiterung. Wir brauchen mehr Platz für den Kursbetrieb und für Büros. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das auch funktionieren wird. Möglicherweise war das, aus der Distanz betrachtet, ein nicht unwesentlicher Punkt für die Motivation der Kolleginnen und Kollegen: Zu sehen, die meinen das wirklich ernst. Wer plant eine Erweiterung, wenn er zumachen wird? Wir haben über die Jahrzehnte die Herausforderungen immer angenommen.

Meistgelesen