Kriminologe Pfeiffer: Dominanz der Männer gefährdet Überleben der Menschheit

Herr Pfeiffer, am Sonntag finden die Kommunalwahlen statt. Würden Sie mit mir übereinstimmen, dass wir mit noch viel größerem Interesse in Richtung der US-Wahlen im November schauen sollten? Christian Pfeiffer: Die US-Wahlen sind wahrscheinlich die wichtigsten in meiner Lebenszeit. Wenn Trump gewinnen würde, wäre die Sorge begründet, dass in allen wichtigen Punkten, Klimapolitik, Friedenspolitik, innere Entwicklung der USA, Kooperationen mit Europa, Spannungen mit China und Russland Zustände erreicht würden, die ihre Ausstrahlung auf die gesamte Welt entfalten werden. Ein Trump-Sieg wäre hoch gefährlich für die gesamt Entwicklung. Dass ein Kandidat so absurde Politik macht und so krank getrieben ist von seinem eigenen Ego, sich ständig spiegelt in dem, was er sich als großartig zuschreibt, habe ich in der Form noch nicht erlebt. Es ist eine kranke Entwicklung und wir können nur hoffen, dass diese Wahlen zugunsten des zugegeben etwas langweiligen Joe Biden ausgehen. Ich vertraue auf seine Vizepräsidentin und denke, dass Biden als Kommunikator gute Politik machen kann, wenn er von vielen klugen Leuten unterstützt wird. Das mag vielleicht ein ungewöhnlicher Führungsstil für amerikanische Präsidenten sein, aber wenn er die Fähigkeit besitzt, gut zuzuhören und Argumente abzuwägen, dann mag das alles sehr gut werden. Die Kommunalwahl hat aber schon auch ihre Bedeutung. Das Leben wird ganz entscheidend von dem, was die einzelnen Städten veranstalten, beeinflusst. Das wird aber eher eine Personalwahl. Sie schreiben, dass die Dominanz der Männer das Überleben der Menschheit gefährdet. Woran machen Sie das fest? Pfeiffer: Trump ist da das typische Beispiel, Bolsonaro ist ein weiteres oder auch Putin. Diese Menschen, die extrem selbstherrlich als Machos regieren und dann in einer Weise ihr Amt ausfüllen, die schädlich ist, weil sie nicht die Interessen der Menschen berücksichtigt, das ist ein zentrales Übel. Aber man merkt gleichzeitig am Beispiel von Belarus, dass in der Politik die Frauen stärker ihr Gewicht einbringen, und das kann sich positiv auswirken. Nehmen wir den Rechtsextremismus. Von 100 Rechtsextremen in Deutschland sind 80 Männer und 20 Frauen. Es ist schon sehr auffällig, dass die Männer eher in diese Richtung tendieren. Ein stärkerer Einfluss der Frauen in der Politik wird sich kommunikativer und weniger radikal auswirken. Man sieht an unseren Untersuchungen, wie es sich auswirkt, wenn bei einem Polizeieinsatz nicht zwei Männer jemanden festnehmen, sondern ein Mann und eine Frau. Es zeigt sich: Immer, wenn eine Frau dabei ist, sinkt das Risiko der männlichen Kollegen um ein Viertel, dass sie bei diesem Einsatz verletzt werden. Frauen deeskalieren. Sie setzen ihr Mundwerk doppelt so oft ein wie die Männer, den Schlagstock nur halb so oft. Schläge galten lange als gängige Erziehungsmethode. Sie plädieren für Liebe statt Hiebe. Können Sie die Auswirkungen beschreiben? Pfeiffer: Das massive Verprügeln von Kindern haben wir schon bei Menschen erfasst, deren Kindheit im Dritten Reich lag bis heute. Daran sieht man, dass das Zuschlagen von Eltern im Sinne von Misshandlungen mittlerweile um Vierfünftel rückläufig ist. Parallel dazu ist es so: Wenn wir die Eltern-Liebe messen, wenn also Liebe praktisch für Kinder spürbar wird, dann sind sie erwiesenermaßen in der Schule besser, sie sind selbstbewusster, sie riskieren im positiven Sinne mehr, sind keine Duckmäuser, sondern wachsen zu positiven empathiestarken Persönlichkeiten heran. Dieser Wandel in der Erziehung in Deutschland ist schon phänomenal. Registrieren müssen wir auch, dass jede Welle von Einwanderung uns ein bisschen mehr Macho-Kultur bringt. Aber das Erfreuliche ist, dass es soziale Lernprozesse gibt. Wenn wir die türkischstämmigen Jugendlichen nehmen: Zum ersten Mal haben wir dazu Daten vor 22 Jahren erhoben. Damals waren sie mit Abstand die am meisten geprügelten Kinder. Entsprechend haben sie sich als Gewalttäter aufgeführt. Und dann hat sich im Zuge des Lebens in Deutschland die elterliche Erziehung positiv gewandelt und die Gewaltrate ist deutlich zurückgegangen. Ihre Abitur- und Realschulquote steigt ebenso deutlich an. Oder: Während die erste Generation von Aussiedlern noch grauenhaft gewalttätig war, haben sich die Russlanddeutschen inzwischen sehr gut integriert. Schlimme Auffälligkeiten, die wir früher hatten, haben sich drastisch reduziert. Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Gewalt mehr und mehr zunimmt. Stimmt das? Pfeiffer: Nein, das Gegenteil ist richtig. Die Gewalt ist bundesweit rückläufig. Vollendete Morde und Sexualmorde haben den niedrigsten Standard erreicht, den wir je hatten. Kindestötungen haben um Zweidrittel abgenommen gegenüber dem Höchststand kurz nach der Wiedervereinigung. Natürlich gibt es auch Probleme. Zuwanderung etwa bedeutet immer ein gewisses Risiko. Aber gerade die 2019er-Statistik zeigte, dass der schöne Satz &bdquo;Wir schaffen das" auch für die Zuwanderung der Flüchtlinge gilt. Denn die Zahl der tatverdächtigen Asylbewerber hat sich von ursprünglich 280.000 auf 143.000 reduziert. Wir haben 2019 den niedrigsten Kriminalitätsstand seit 1992 gemessen. Daran hat in den vergangenen fünf Jahren auch die zunehmende Integration der Asylbewerber einen großen Anteil. Es gibt Gruppen, die nach wie vor nicht integriert sind, die dann auch bei Straftaten überproportional auffallen. Junge Männer etwa, die von Beginn an nicht die Chance hatten, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Wie sieht es mit der Gewalt an Schulen aus? Pfeiffer: In Schulen gibt es kein Dunkelfeld, wenn schwere Taten passieren, weil jeder Schüler krankenversichert ist. Wenn also ein Rauf-Unfall in der Schule passiert, dann greift nicht die Krankenkasse ein, sondern eine bundesweit geltende Schülerversicherung. Daher weiß man, wie viele Fälle es gegeben hat. Wir sehen, dass es den stärksten Rückgang bei den brutalsten Delikten gibt, nämlich 62 Prozent. Bei den ambulanten Versorgungen gibt es einen Rückgang um 44 Prozent. Gewalt an Schulen nimmt umso stärker ab, je brutaler sie ist. Ist diese Entwicklung auch bundesweit übertragbar? Pfeiffer: Das ist sie. Bundesweit am stärksten ist der Rückgang bei Sexualmorden um über 90 Prozent seit Mitte der 80er Jahre, bei Schusswaffentötungen sind es 83 Prozent, bei Morden 68 Prozent, bei Totschlag 60 Prozent. Raubdelikte sind um 40 Prozent rückläufig. Das heißt, wir haben nach wie vor eine rückläufige Schwerkriminalität und trotzdem gibt es Sorgen, aber die liegen in andern Bereichen, wie zum Beispiel, dass die Schulleistungen von männlichen Jugendlichen immer schlechter werden. Der Abstand zu den Mädchen wird immer größer. Woran liegt das? Pfeiffer: Das liegt am Computerspielen. Wie haben in Niedersachsen gemessen, dass von 100 männlichen Jugendlichen 24 Prozent 4,5 Stunden pro Tag spielen, von den Mädchen nur zwei Prozent. Bei den Studenten ist es genauso. Von 100 Studenten, die eine Prüfung versieben, sind inzwischen 67 Prozent männlich. Ein Hauptgrund ist nach unseren Erforschungen das exzessive Computerspiel der Jungen, bei dem die Mädchen nicht mitmachen. Sie verbringen auch Zeit vorm Computer, aber die Intensität bei brutalen Gewaltspielen ist bei Jungen viel höher, der Ablenkungs- und auch Suchteffekt ist viel höher. Da haben wir ein echtes Problem, auf das die Politik bislang wenig kluge Antworten gefunden hat. Gibt es weitere Negativentwicklungen? Pfeiffer: Die gibt es sicher. Einen weltweit schlimmen Anstieg der Kinderpornografie etwa mit der Folge, dass eine wachsende Zahl von Kindern missbraucht wird. Darüber müssen wir reden und uns fragen, was man dagegen unternehmen kann, wie man mehr Aufdeckung in dieses riesige Dunkelfeld bringen kann. Ein weiterer Punkt ist der Rechtsextremismus. Hier muss man schauen, welche Unterschiede es nach den verschiedenen Religionen, den Altersgruppen und dem Geschlecht gibt. Auf die Frage, ob wir uns fürchten müssen, werde ich auch mit Blick auf USA, Brasilien und andere Länder der Welt am Ende des Vortrages eingehen. Worauf werden Sie bei Ihrem Vortrag noch eingehen? Pfeiffer: Ich werde darüber sprechen, warum sich die gefühlte Kriminalitätstemperatur so weit von der Wirklichkeit entfernt, warum die Zahlen sinken und ob man den sinkenden Zahlen auch wirklich trauen kann. Sie forschen seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Kriminologie. Wenn Sie von einem Gewaltverbrechen hören, setzt dann bei Ihnen automatisch ein Mechanismus einer Analyse ein, was dahinterstecke könnte? Pfeiffer: Zwangsläufig, weil ich es sofort am nächsten Tag kommentieren muss. Wenn man 45 Jahre Kriminologe ist, schaltet man das nicht aus. Damit kann ich aber gut leben.

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