SPD-Bürgermeisterkandidat: "Die Chance, Dinge zu bewegen, bewegt mich"

Herr Fleiter, die SPD wirbt mit Aussagen zu den Bereichen Gesundheit, Schule, Verkehr, Wohnen und Zusammenleben um Stimmen bei der Kommunalwahl am 13. September. Sie sagen ganz offen, Sie hätten den Schwerpunkt gerne nur auf drei Themen gelegt. Weshalb? Dieter Fleiter: Ich bin Ende März angesprochen worden, ob ich als Bürgermeister-Kandidat gegen Michael Esken antreten würde. Ende April habe ich nach intensivem Nachdenken das Angebot angenommen. Da stand das inhaltliche Programm aber bereits und ich wollte nicht sagen: Der Fleiter kommt, der Fleiter will alles anders. Es stimmt, ich hätte mir ein auf drei Punkte reduziertes Programm gewünscht, weil ich immer fokussiert vorgehe. Auf welche drei Punkte hätten Sie das Programm gern reduziert? Fleiter: Definitiv auf das Thema Wohnen. Mir ist der Bereich Mehrgenerationen sehr wichtig. Wir haben die Ambulante Pflege als Riesenthema. Ich bin kein Freund von Altenbunkern, kein Freund davon, ältere Menschen aufzubewahren. Ich hoffe, wir schaffen die Wende, damit Menschen häufiger in ihrem Umfeld alt werden können. Wenn das nicht möglich ist, dann wünsche ich mir Pflegeheime, die 16 bis 24 Bewohner haben. Ab da wird es nicht profitabel, sondern ab da rechnet es sich. Und das ist ein Unterschied. Ich würde Heime deshalb gerne in eine gemeinnützige Hand geben und nicht als Profitmaschinen betreiben lassen. Das könnten wir in Verl machen, aber das will die Mehrheitsfraktion nicht. Stattdessen setzt sie auf ein großes Heim in Sürenheide mit über 80 Plätzen, was übrigens völlig dem Ergebnis der Bevölkerungsbefragung widerspricht, für die wir zuvor 30.000 Euro ausgegeben haben. Wohnen ist eines Ihrer Schwerpunktthemen. Welches sind die beiden anderen? Fleiter: Gesundheit und Schulen. Gesundheit im Wesentlichen bezogen auf ambulante Pflege. Ich habe viele Gespräche geführt und meine, dass man in Verl über ein Sterbehaus nachdenken sollte. Gemeint ist ein Ort, an dem man würdevoll die letzten Tage verbringen kann. Es gibt mehrere Personen, die das als wichtiges Thema sehen und ich hätte sogar, ohne jetzt einen Namen nennen zu wollen, eine Institution, die sich dafür intensiv interessiert und das mitfinanzieren würde. Schulen sind mir ein besonderes Anliegen, was unter anderem daran liegt, dass ich über zehn Jahre mit dem gemeinnützigen Verein Watoto in Kenia Schulen aufgebaut habe. Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, dann geht das nur mit unserer Jugend. Wir müssen mehr dafür tun, dass sich die Kinder und Jugendlichen entwickeln können: Sozialverhalten fördern, Kreativität fördern, Eigenverantwortung fördern. All das sehe ich in der Realität in unserem Schulsystem und unserer Gesellschaft nur überschaubar umgesetzt. Mir ist es auch wichtig die Gesamtschule aus der Situation des &bdquo;Stiefkindes" zu erlösen, dafür werde ich mich einsetzen. Ich glaube daran, dass es möglich ist, im Kleinen Dinge zu ändern. Trifft das auch auf die Art des Wahlkampfs zu? Da Veranstaltungen in größerem Rahmen in Corona-Zeiten kaum möglich sind, begegnen Sie Ihren Wählern gerade häufig im Internet – zum Beispiel wenn man das Regenradar von Wetter Online aufruft. Dieter Fleiter auf allen Kanälen? Fleiter: Nicht auf allen, aber bei Google, Youtube, Facebook und Instagram. Bei Twitter nicht. Ich lasse mein junges Team machen, und das machen sie gut. Deshalb tauchen in verschiedenen Apps plötzlich Inhalte der SPD Verl auf oder eben Dieter Fleiter. Das funktioniert gut. Ich habe aber auch viele persönliche Gespräche geführt, Hunderte seit Mai. Ich bin allerdings kein Freund davon, über jedes Gespräch bei Facebook zu berichten. Ich bin auch bei sehr vielen Familien gewesen, die die meisten Verler Kommunalpolitiker nicht in ihrem Bekanntenkreis haben, in Haushalten, wo das Leben nicht nur spaßig ist, die von Unterstützung leben und wo Hartz IV in einem Fall in der dritten Generation angekommen ist. Wer Verl verändern möchte, muss sich auch selbst verändern. Sie kandidieren nur für das Amt des Bürgermeisters und wollen im Falle einer Nichtwahl nicht im Rat Politik machen, weshalb Sie sich nicht auf der Reserveliste haben absichern lassen. Um Sie zu zitieren: &bdquo;Ich spiele nur auf Sieg, nicht auf Platz". Warum? Fleiter: Das liegt daran, dass meine Lebenszeit überschaubar ist ... ... aber die Amtszeit eines Bürgermeisters ist nicht kürzer als die eines Ratsmitglieds. Fleiter: Nur auf Sieg, weil ich wirklich nur als Bürgermeister für diese Stadt was tun kann. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse übt der Rat in Verl heute keine Kontrollfunktion mehr aus. Das war unter Paul Hermreck anders, schon aufgrund seines Typs. Damals war mehr Bewegung und Diskussion in Verl. Die würde ich mir wieder wünschen, denn ich glaube, heute kommen viele Ideen von vornherein nicht in Frage. Eine Mehrheitsfraktion mit einer von ihr geprägten Verwaltung, das halte ich für ungesund. Übrigens gilt das nicht nur für Verl. In Bielefeld erleben wir das auch, nur mit einer anderen Farbe. Mehr Reibung zwischen Verwaltung, Bürgermeister und den Fraktionen aber fördert die Kreativität. Das gilt auch für die Runden Tische. Grundsätzlich halte ich diese Einrichtung für sehr hilfreich und sinnvoll. Aber wenn ich Runde Tische bestücke mit Ja-Sagern oder Leuten, die alle einer Meinung sind, dann bringt ein Runder Tisch wenig. Ich kenne das, arbeite auch mit Runden Tischen. Die sind immer so zusammengesetzt, dass da konträre Meinungen vertreten sind. Mein Wahlkampf ist geprägt von konträren Leuten im Team, mit denen ich mich ziemlich reibe, die mich gelegentlich runterholen oder auf die Palme bringen. Das halte ich für wichtig, denn sonst bekommen wir nur den Standard. Und Standard ist auch für Verl nicht gut genug. Deshalb Ihr Wahlkampf-Slogan &bdquo;Verl kann es besser"? Fleiter: Verl geht es extrem gut, wirklich extrem gut. Früher hat man mal gesagt: &bdquo;Mit vollen Hosen ist gut stinken": Das ist die Situation in Verl: Wir haben volle Hosen und können uns vieles leisten. Nehmen wir zwei Zahlen: Welche Stadt kann es sich erlauben, innerhalb von fünf Jahren die Personalkosten um 40 Prozent zu steigern? Ich sage nicht, dass das schlecht ist. Ich sage: Wir können es uns leisten, und wir tun es auch. Dann ist es auch relativ einfach, bestimmt Dinge umzusetzen. Das muss man sich ansehen, nicht alles ist schlecht. Wir haben beispielsweise ein Jugendamt in Verl, das hat inzwischen viel höhere Personalkosten als früher, was auch berechtigt ist und für die Stadt viele Vorteile gebracht hat. Als Unternehmensberater komme ich aber aus einer anderen Welt. Ich werde mir die Zahlen dann auch genau ansehen. Auf Effizienz achten. Das heißt nicht die Rückkehr zum Modell &bdquo;sparen, sparen, sparen"; das halte ich für genauso schlecht wie zu viel Großzügigkeit. Aber wir müssen mit dem Geld vernünftig und verantwortungsvoll umgehen. Und ich bin ziemlich sicher, dass ich das beherrsche. Als Herausforderer können Sie naturgemäß nicht so tief in den Themen einer Stadt stecken wie der Amtsinhaber. Sie haben beispielsweise die Mobilitätsstation am Marktplatz gefordert, als die wegen der bevorstehenden Reaktivierung der TWE-Strecke längst Thema war. Sie haben Tabletts für Schüler gefordert, als bereits 600 Stück an die Schulen verteilt und weitere bestellt waren. Ist das dem Umstand geschuldet, dass Sie erst mit Verkündung Ihrer Kandidatur ab Mai tiefer in die Themen dieser Stadt eingestiegen sind? Fleiter: Natürlich ist es so, dass ich nicht in allen Themen stecke. Aber Sie sprachen gerade Themen an, wo wir über Gesamtkonzepte reden und wo der Bürgermeister mit Einzelaktion gekommen ist. Das Fünf-Punkte-Programm, das ich für den Marktplatz vorgeschlagen habe, ist natürlich in vielen Punkten nichts Neues, sondern ein übergreifender Blick. Wir haben kein Gesamtkonzept in Verl, und das bemängele ich. Durchaus richtig, dass das Thema iPads schon abgefrühstückt war. Was nicht richtig ist, dass diese Information öffentlich war. Der Bürgermeister hat das hinter geschlossenen Türen diskutiert, und das war dem Rat nicht bewusst. Im Haupt- und Finanzausschuss und nicht im Schulausschuss wird dann veröffentlicht, dass noch in diesem Jahr 1.000 iPads angeschafft werden. Das war der Nachschlag. Die Schulen können bereits mit 600 Geräten arbeiten. Fleiter: Die 600 waren bekannt. Aber es ist bis jetzt nicht klar, wie die Konzepte der Schulen aussehen. Man hat es den Schulen überlassen, was mit den Geräten gemacht wird. Und das bemängele ich: Es sollte ein Gesamtkonzept geben. Auf die jetzige Situation mit iPads aufzusetzen, da gebe ich Michael Esken Recht, ist zu kurz gesprungen. Aber wir tun nichts daran, das zu verändern. Dass es nicht einfach ist in der Kürze der Zeit, das ist mir bewusst; dafür händele ich komplexe Projekte seit Jahrzehnten. Ein Beispiel: Es gibt einen Runden Tisch zur Digitalisierung, an dem die Schulleiter etc. sitzen, aber ich bemängele die Kommunikation. Man erfährt nicht, was an diesem Runden Tisch diskutiert wurde und was die Ergebnisse dieses Runden Tisches sind, den es schon seit über zwei Jahren gibt. Das ist etwas, das ich anders machen würde. Bei mir würden alle Ratsmitglieder gleichzeitig, in der selben Minute die selbe Information über den Stand der Dinge bei einem Runden Tisch oder aus der Verwaltung bekommen. Nicht zeitversetzt. Das finde ich nur fair. Was würden Sie denn aus Ihrer Tätigkeit als Unternehmensberater ins Rathaus mitnehmen? Fleiter: Mir wurde bei der Podiumsdiskussion auf der Bürmschen Wiese gesagt, ich sei ungeduldig. Das ist so, ich bin relativ ungeduldig. Mit langatmigen Diskussionen tue ich mich schwer. Aber ich habe gelernt, da ich mit Konzernen wie BASF, Volkswagen oder anderen zu tun hatte, und das nicht wenig, dass man auch in großen Konzernen Dinge bewegen kann und dass man dafür Geduld haben muss. Aber es braucht auch Menschen wie mich, die Querdenker sind, die ein bisschen auf die Tube drücken. Unter Druck entfaltet sich manchmal auch positive Kreativität. Deshalb glaube ich, dass die gewisse Ungeduld gepaart mit Lernfähigkeit, und die habe ich bewiesen, für die Verwaltung gut sein wird. Da ich in unterschiedlichen Branchen arbeite, ist es für mich normal, mich in komplett neue Welten einzudenken. Kann man denn eine Stadt so führen wie ein Unternehmen? Fleiter: Nicht eins zu eins. Aber ich kann eine Stadt so führen wie einen großen Konzern, das schon. Wie ein mittelständisches Unternehmen nicht, obwohl ich es mir wünschen würde. Welche Chancen rechnen Sie sich bei der Wahl aus? Fleiter: Ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn wir die absolute Mehrheit der CDU im Verler Stadtrat brechen würden. Ich hoffe sehr stark darauf, dass Michael Esken nicht ganz so viele Stimmen bekommt wie beider vergangenen Wahl. Ich bin auf alles vorbereitet. Ich werde nicht in Schreikrämpfe ausbrechen, wenn ich nicht zum Bürgermeister gewählt werde. Aber ich würde sicher jubeln, wenn es gelänge, auch wenn meine Lebensplanung das definitiv Anfang des Jahres nicht vorgesehen hat. Aber die Möglichkeit, Dinge zu bewegen, bewegt mich. Deshalb habe ich die Kandidatur angenommen.

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