
Schloß Holte-Stukenbrock. Das Unternehmen Sartorius Xell entwickelt im Gewerbegebiet Helleforthstraße Nährlösungen für die medizinische Zellforschung. Jetzt will der Spezialist seine Produktion in SHS ausbauen und dafür auch einen 21 Meter hohen Turm errichten. Das Vorhaben überrascht die direkten Anwohner. Sie sind erst jetzt über den Baustart im Oktober informiert worden. Das wirft auch Fragen in der Lokalpolitik auf.
Die Anwohner am Waldweg, Brinkeweg und der Helleforthstraße fühlen sich überrumpelt. Das Unternehmen hat sie vergangene Woche zu einem Infoabend eingeladen und das Vorhaben erläutert. Der Bauantrag ist seit 2022 genehmigt. Der Unmut der Anwohner richtet sich nicht gegen das Unternehmen, sondern gegen die Bauaufsicht, die weder Bürgerinnen und Bürger noch die Politik seitdem in Kenntnis gesetzt hat.
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Das Projekt im Bauausschuss der Politik vorzustellen, sei versäumt worden, gesteht Fachbereichsleiter Martin Venne ein. Zu einer Bürgerbeteiligung sah er keinen Anlass. „Mit so einem Widerstand war nicht zu rechnen“, sagt er im Gespräch mit der NW. Denn für ihn sind die Ausbaupläne baurechtlich nicht zu beanstanden. Der Turm hat eine Grundfläche von zehn mal zehn Metern und wird 13 Meter versetzt von der Außenwand aus dem bestehenden Gebäude emporragen. Die Abstände zu den Nachbargrundstücken seien gewahrt, eine erdrückende Wirkung sehe er nicht, sagt Venne.
Anwohner im Kreis Gütersloh fühlen sich beobachtet
Die Anwohner sind anderer Meinung. Sie argumentieren, dass der Turm, der für einen Mahltrichter zur Herstellung eines Zellnährstoffpulvers benötigt wird, maximal elf Meter hoch sein dürfe. Auch halten sie es für unglücklich, dass Teile des Turms verglast werden, dort würden sich auch Mitarbeiter aufhalten und könnten direkt in die Gärten und in die rückwärtigen Fenster gucken, befürchtet Leo Kleinegrauthoff, der dort seit 60 Jahren lebt. „Man fühlt sich beobachtet.“
Gravierende Einschnitte der Lebensqualität sehen die Anwohner nicht nur im Turm. Der Ausbau zieht auch mehr Verkehr nach sich. Sartorius Xell will auf Drei-Schicht-Betrieb umstellen, zudem werde der Lieferverkehr erhöht. Zu rechnen ist daher mit zusätzlichem Lastwagen-Verkehr in der ohnehin engen Straße – die auch als Europaradweg ausgewiesen ist – und einer höheren Lärmbelästigung. Nicht nur durch die Fahrzeuge, sondern auch durch den Betrieb der Mahlwerke und der An- und Absauganlagen.
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Auch halten die Anwohner den Laborbetrieb (Stufe 2, mittleres Risiko) für bedenklich. Wird neben ihren Häusern mit infektiösen Erregern gearbeitet?
Anwohner kritisieren die Größe des Neubaus
Den „Schandfleck von Liemke“ nennt Betina Kleinegrauthoff den Turm bereits vor seiner Entstehung. Man wolle eine Expansion der Unternehmen vor Ort nicht torpedieren, zumal in einem Gewerbegebiet. „Aber muss es gleich so ein Palast sein?“
Dem Unternehmen halten die Anwohner zugute, dass es überhaupt zu der Infoveranstaltung geladen hat. „Das Übel liegt im Rathaus“, sagt eine Anwohnerin. Und an das haben sie sich bereits schriftlich gewendet. Sie haben 60 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt, fordern Akteneinsicht und schließen eine Klage nicht aus, sollte sich kein Kompromiss finden.
Einen Ausgleich befürwortet auch die Lokalpolitik. CDU-Ratsherr Michael Brechmann, selbst Unternehmer (Ari), hat im Stadtentwicklungsausschuss angeregt, das Gespräch mit Sartorius Xell und den Anwohnern zu suchen, „damit es nicht vor Gericht landet“.
Sartorius Xell: Standort schafft dringend benötigte Kapazitäten
Standortleiter Christoph Heinrich von Sartorius Xell äußert sich auf Nachfrage der NW nicht zu einem möglichen Kompromiss. „Mit dem genehmigten Neubau im Gewerbegebiet schaffen wir dringend benötigte Kapazitäten für Zellkulturmedien, mit deren Hilfe lebenswichtige Medikamente hergestellt werden. Gleichzeitig sichern wir so Arbeitsplätze vor Ort“, lässt er sich zitieren.
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„Wir wissen, dass wir Verantwortung tragen – als Arbeitgeber, als Nachbar und als Teil der Stadt. Deshalb ist uns der Austausch und ein gutes Miteinander mit den Anwohnerinnen und Anwohnern wichtig.“
INFORMATION
Anwohner stehen vor vollendeten Tatsachen
So etwas darf nicht passieren. Warum werden weder die Anwohner noch die Politik über ein ortsprägendes Bauvorhaben informiert, während es auf der anderen Stadtseite in Stukenbrock bei einem ähnlichen Projekt eine öffentliche Beteiligung gibt?
Die Parallele: An der Augustdorfer Straße will die Firma „Groku“ ein Hochregallager bauen. Auch hier überschreitet der Bau mit geplanten 32 Metern die zulässige Höhe im Gebiet. Institutionen und Anwohner sind frühzeitig beteiligt worden. Alle Einwände haben Fachleute bewertet und abgewägt. Mit dem Ergebnis, dass das Lager leicht nach Westen verschoben wird. So hat es die Politik zu Wochenbeginn mehrheitlich beschlossen.
An der Helleforthstraße stehen die Anwohner dagegen vor vollendeten Tatsachen. Hätte die Firma nicht selbst zum Informationsabend geladen, hätten die Anwohner wohl erst von dem Turm erfahren, wenn die Baufahrzeuge angerückt wären. Ein Kompromiss ist in diesem Fall nicht in Sicht. Zu weit fortgeschritten sind die Pläne, Sartorius Xell wird wohl kaum vier Wochen vor Baubeginn umplanen oder die Pläne abspecken.
Um eine Klage der Anwohner zu verhindern, müsste die Stadtverwaltung wohl das Bauvorhaben stoppen und ein Genehmigungsverfahren einleiten. Oder frustrierte Bürgerinnen und Bürger in Kauf nehmen.