Schon Hausputz ist zu viel: Seltene Krankheit raubt Frau aus Kreis Gütersloh die Kraft

Schloß Holte-Stukenbrock. Wenn Eva von ihrem Tagesplan auch nur geringfügig abweicht, kann das schlimme Folgen für sie haben. Eine kleine Anstrengung mehr als vorgesehen, wie beispielsweise fünf Minuten länger spazieren zu gehen, verursacht wahrscheinlich tagelange Erschöpfung und Schmerzen im ganzen Körper. Dann hilft nur noch, im Bett zu liegen, die Augen zu schließen und maximal ein Hörspiel zu hören. Für manche Erkrankte sind aber auch schon Geräusche zu viel. Eva leidet an ME/CFS. In Deutschland gibt es nur zwei Anlaufstellen für Erkrankte, eine für Kinder und Jugendliche und eine für Erkrankte aus der Region Berlin/Brandenburg. Kaum jemand kennt sich mit der Krankheit aus, kann sie diagnostizieren oder behandeln. Ein zugelassenes Medikament gibt es noch nicht. Doch Eva hat Hoffnung, weil nach jahrzehntelanger Ignoranz der Erkrankung diese endlich in der Politik ernstgenommen und daher hoffentlich schnell auch in der Ärzteschaft, den Sozialsystemen und vielleicht auch in der Gesellschaft bekannter werde. Zur Aufmerksamkeit trägt der heutige internationale ME/CFS-Tag bei. Betroffene aus dem Kreis Gütersloh: "Long Covid kann in ME/CFS enden" Eva ist nicht ihr richtiger Name. Sie will ihre Geschichte anonym erzählen, um über die Erkrankung aufzuklären. Betroffene stoßen in der Regel auf Unverständnis, Irritation und Unglauben. Ärzte und manchmal auch das persönliche Umfeld stempeln sie ungerechtfertigterweise als Simulanten ab. Eva ist 43 Jahre alt, verheiratet, kinderlos und lebt in SHS. Sie ist in der Selbsthilfegruppe für ME/CFS in Bielefeld und Umgebung, der etwa 15 Betroffene angehören. Auch Long-Covid-Betroffene haben sich der Gruppe angeschlossen. &bdquo;Long Covid kann in ME/CFS enden“, erklärt Eva. Die Abkürzung steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. In Deutschland wird im Zusammenhang mit der Krankheit oft vom Fatigue-Syndrom oder chronischem Erschöpfungssyndrom gesprochen. Betroffene lehnen diese Bezeichnungen aber ab, weil sie nur einen Aspekt der Krankheit abbilden und sie damit verharmlosen. &bdquo;Erschöpft oder müde ist jeder einmal“, sagt Eva. Nach einem anstrengenden Tag oder einer stressigen Woche. Das sei mit ihrer Krankheit aber in keiner Weise vergleichbar. Auslöser der Krankheit ist in vielen Fällen eine Infektion ME/CFS ist eine schwere neuroimmunologische Krankheit, wie auch Multiple Sklerose. Sie hat Auswirkungen auf das Immunsystem, das Nervensystem und den Energiestoffwechsel. Auslöser ist in vielen Fällen eine Infektion. Häufig bringen Betroffene die Infektion und die spätere Erschöpfung gar nicht in Zusammenhang. Die Symptome treten verzögert auf. Und die Krankheit wird schleppend intensiver, wenn nicht die richtigen Vorkehrungen getroffen werden. Bei manchen Patienten verläuft sie in Schüben. Eva ist derzeit in einer guten Phase und steht daher für ein Gespräch bereit. Sie kann sich dann durchaus eine Stunde auf den Gesprächspartner einlassen – anderen Betroffenen wäre das schon zu viel. Die Krankheit hat viele verschiedene Ausprägungen auf körperliche und geistige Fähigkeiten. Eva ist körperlich stark eingeschränkt. Alle Variationen haben aber ein Kernsymptom, erklärt sie: eine Belastungsintoleranz. Diese zeigt sich durch die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM), das bedeutet eine gravierende Zustandsverschlechterung nach geringfügiger Belastung, die zeitverzögert auftreten kann. Evas Körper kann nicht so viel Energie erzeugen wie andere. &bdquo;Stellen Sie sich einen Akku vor, der nur zu 25 Prozent geladen ist.“ Alltagsarbeiten wie Hausputz, Müll rausbringen oder den Einkauf vom Auto ins Haus tragen sind für sie unmöglich. Den Haushalt übernimmt ihr Mann. Wenn sie kocht, kann sie die Zutaten schnippeln, braucht dann aber mindestens 20 Minuten Pause. &bdquo;Ich gehe so langsam wie meine Oma mit 85“, sagt sie. Studien zu Long Covid können Erkrankten und Ärzten helfen Das war nicht immer so. Im Studium hat sie zum ersten Mal festgestellt, dass sie manchmal ein paar Tage lang erschöpft war. Ärzte sagten ihr, es handele sich um eine Virusinfektion, aber das Blutbild ließ nichts erkennen. Im Lauf der Zeit wurden die Phasen ohne Beeinträchtigung kürzer und die Phasen mit Beeinträchtigung länger. Trotzdem absolvierte sie ihr BWL-Studium und arbeitete viele Jahre in Vollzeit. Nach psychischen oder körperlichen Belastung, wie beispielsweise in der Erkältungszeit, fiel sie dann aber schon wochenlang aus; seit 2020 befindet sie sich in einer akuten Phase, ein mehrjähriger Schub, wie sie sagt. Seitdem kann sie nicht mehr arbeiten. Ärzte erkennen ME/CFS oft nicht, sagt Eva, und diagnostizieren eine Depression. Sie wollen mit Antidepressiva und Bewegung therapieren. Eine Aktivierungstherapie bewirke aber genau das Gegenteil: Der Gesundheitszustand der Erkrankten verschlechtert sich deutlich, bei manchen für immer. Eine Behandlung könne schulmedizinisch aktuell nur symptomorientiert erfolgen, sagt sie. Eva will irgendwann wieder im Wald wandern oder joggen Das wirkungsvollste Instrument ist für viele das sogenannte Pacing. Eva legt nach Anstrengungen, wie beispielsweise Duschen, automatisch Ruhephasen ein und zählt ihre täglichen Schritte. Nach mehr als 3.000 bis 3.500 würde sie aktuell eine deutliche Verschlechterung erleben. Manchmal aber erst ein bis zwei Tage später. Ihre Hoffnung liegt darin, dass der 50-jährige Forschungsrückstand endlich aufgeholt wird. Vorreiter ist die Charité Berlin, die an Medikamenten forscht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat zudem Studien zu Long Covid angekündigt, die auch ME/CFS-Erkrankten helfen würden. Aber in erster Linie den Neurologen, damit sie die Erkrankung erkennen, die Patienten ernst nehmen und richtig behandeln. Denn irgendwann will Eva wieder im Wald wandern oder joggen. Oder sogar auf einer Party tanzen.

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