Diese Frau aus dem Kreis Gütersloh ist Glücks-Lehrerin - was dahinter steckt

Frau Sticht, Sie befassen sich beruflich mit dem Glück. Warum wünschen sich die Menschen ein &bdquo;glückliches neues Jahr“ und nicht ein friedliches oder ein gesundes? Sandra Sticht: Glück beinhaltet auch Gesundheit, Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und Frieden. In der deutschen Sprache ist das Wort undifferenziert, anders als im Englischen, wo es Luck (Zufallsglück) und Happiness (Fröhlichkeit, Freude) gibt. Nach dem Philosophen Wilhelm Schmid gibt es drei Arten von Glück: Zufallsglück, Wohlfühlglück und Glück der Fülle, also Lebensglück. Wenn wir uns ein glückliches neues Jahr wünschen, meinen wir das Lebensglück, die Lebenszufriedenheit. Sie unterrichten seit diesem Schuljahr das Fach Glück am Ratsgymnasium. Wie sind Sie Glückslehrerin geworden? Ich habe als Kind gerne die Serie &bdquo;Wunderbare Pollyanna“ gesehen und mich in diesem Optimismus und der Lebensfreude wiedergefunden. Diese Liebe zum und diese Neugier auf das Leben wollte ich gerne teilen und anderen vermitteln. Das war ein Grund, warum ich Lehrerin geworden bin. Ich wollte nicht nur Fachwissen vermitteln, sondern Lebensfreude, wollte zeigen, dass das Leben nicht nur anstrengend ist, sondern viel zu bieten hat und das Glück und die Zufriedenheit oft in kleinen Dingen und immer in einem selbst verborgen liegen. Wie kam das bei Ihren Kommilitonen im Studium an? Ich wurde von manchen dafür belächelt. Jeder hat nur sein Fach hoch gelobt. Aber vor allem wussten die Seminarleiter wohl schon, dass es schwierig wird, Raum dafür zu schaffen, Glück im Schulalltag zu vermitteln und näherzubringen. Was haben Sie studiert? Sport und Geografie, da ich auch diese Fächer liebe und es leider kein Fach Glück oder Lebensfreude gab (lacht). Das kam also später. Erst mal habe ich in meinen beiden Fächern als Lehrerin gearbeitet und mich in der Rolle gefunden. Aber die Sehnsucht blieb, einen Weg zu Lebensfreude und persönlicher Entwicklung zu vermitteln. Denn was nützt mir all das Fachwissen, wenn ich nicht weiß, wer ich bin – mit meinen Stärken, Schwächen, Glaubenssätzen – und was ich will – meine Wüschen und Visionen? Und wie sind Sie an das Fach Glück gekommen? Zufällig bin ich auf eine Ausschreibung zum &bdquo;Schulfach Glück“ von Martina Reiske (Rektorin der Sudbrackschule in Bielefeld) aufmerksam geworden. Nach einer Fortbildung bei ihr hat sie mir die große Jahresfortbildung am Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg empfohlen, beim Gründer des &bdquo;Schulfachs“ Glück. Ging das neben Ihrer Arbeit? Von meinem Schulleiter Martin Zurwehme wurde ich unterstützt, dort die einjährige Ausbildung einmal im Monat am Wochenende zum Coach für Persönlichkeitsentwicklung zu machen. Wie reagierte Ihr Umfeld? Ich habe viel positiven Support bekommen, auch von Kollegen, von denen ich es nicht erwartet hatte. Da war ich vorher – zugegebenermaßen – doch auch skeptisch. Seit Sommer unterrichten Sie Glück. Was sind Ihre Erfahrungen? Es macht, wie erwartet, sehr viel Spaß. Wir haben ein offenes Klima, die Schülerinnen und Schüler machen alle Übungen mit, auch wenn diese grundsätzlich freiwillig sind. Man lernt die Schüler viel besser kennen und baut eine ganz andere Beziehung zu ihnen auf, da in diesem Fach der Schüler und die Schülerin im Mittelpunkt stehen. Was erwidern Sie Leuten, die das Fach Glück für esoterischen Schnickschnack halten? Dass es wissenschaftlich fundiert ist, und zwar größtenteils in der Psychologie. Es gibt Übungen, die helfen, Entwicklungspotenziale zu entdecken, Stärken, Ziele und Herzenswünsche. Es geht also darum zu erkennen, wer ich bin, was ich brauche, was ich kann und will. Jeder Mensch hat drei psychologische Grundbedürfnisse: Freiheit, Sicherheit und Sinn. Diese korrelieren mit den Gefühlen Wut, Angst und Trauer. Fehlt uns zum Beispiel die Sicherheit, bekommen wir Angst, fehlt uns Freiheit, werden wir wütend. Das war in der Pandemie gut zu sehen, als Sicherheit fehlte, die Menschen teils eingesperrt und unfrei waren und sich fragten, wohin das alles führen wird. Gibt es etwas, das alle Menschen glücklich macht? Das ist individuell unterschiedlich, weshalb Schülern im Glücksunterricht der Raum gegeben wird, zu sich selbst zu finden – in unserer oft gehetzten Zeit, mit viel Social Media, wo man sich durch den Alltag wischt. Es ist aufwendig und zeitraubend, sich zu fragen: Wer bin ich, was möchte ich und was brauche ich? Warum braucht es für die Antworten eine Gruppe? Weil andere sehen, was man selbst nicht sieht, da entwickelt sich etwas in der Kooperation. Darum sollten auch an jeder Schule Glückslehrer arbeiten. Was würde das bewirken? Die Beziehung zu den Schülern wird eine andere, sie öffnen sich, es entsteht eine Vertrauensbasis. Sie merken, dass wir als Lehrer an ihnen interessiert sind, dass sie im Fokus stehen und dass ihnen nicht nur Wissen vermittelt wird. Darum geht es aber hauptsächlich in der Schule, oder? Es ist unser Bildungsauftrag, dass Schüler für das Leben lernen, dass sie als mündige Bürger die Schule verlassen. Das ist aber mehr als Fachwissen, dazu gehört zum Beispiel auch der Umgang mit Trauer, wenn man einen lieben Menschen verliert, oder wie man sich selbst aufbaut, wenn einem etwas Schlimmes passiert. Da könnten auch Erwachsene noch viel lernen. Ja, das ist ein lebenslanger Prozess. Nur lernen die Schüler jetzt schon, wofür Erwachsene teure Seminare besuchen. Was nehmen die Schüler aus dem Glücks-Unterricht mit? Sie gehen auf eine Abenteuerreise zu sich selbst. Sie erkennen gemeinsam ihre Stärken, lernen, dass es auch wichtig ist, Schwächen zu integrieren, erforschen Tugenden, die für sie bedeutsam sind, stellen eine Wertepyramide auf, sozusagen einen Sternenhimmel, der den Weg weist. Sie sprengen die Mauern, die unseren Visionshorizont einschränken, um zu entdecken, was der momentane Herzenswunsch ist und wie man ihn umsetzt. Das wirkt später noch nach? Die Schüler legen Mappen an, womit sie ein Tool haben, um immer wieder in die persönliche Entwicklung zu gehen. Es ist, wie gesagt, ein lebenslanger Prozess. Bieten Sie Elternabende an, um zu erklären, warum sich die Kinder wegen des Glücks-Unterrichts vielleicht verändern? Noch nicht, aber mich haben schon Eltern angesprochen und darum gebeten. Sie finden es interessant, was ihre Kinder erzählen und mitbringen. Ich fände es interessant zu sehen, wie Eltern und Kinder zusammenarbeiten. Sie geben Ihr Glücks-Wissen kreisweit an Kollegen weiter? Der erste Kurs war auf 21 Leute begrenzt. Ende Januar startet der zweite, weil die Warteliste voll war. Am Ende möchte ich diese Kolleginnen und Kollegen zusammenbringen, damit sie sich vernetzen und austauschen können über Ideen und Materialien. Gehen Sie selbst nur glücklich durchs Leben? Das Wissen und das Umsetzen sind zwei verschiedene Sachen. Ich habe auch schlechte Phasen und Tiefpunkte. Manchmal möchte ich auch einfach schlecht gelaunt sein. Aber ich kann mich schneller wieder aufbauen und weiß, wohin ich meinen Fokus richten muss. Machen Sie die Verbreitung von Glück zu Ihrer Lebensaufgabe? Ich habe keinen missionarischen Eifer (lacht). Aber am liebsten hätte ich weltweit Glücksunterricht an Schulen. In Süddeutschland, Österreich und Schweiz ist das auf einem guten Weg. Wir im Norden hinken etwas hinterher. Haben wir es heute nötiger als vor 20 Jahren, uns dem Glück zu widmen? Zumindest haben wir den Luxus, uns mit der Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen zu können, weil unsere Grundbedürfnisse gestillt sind. Wir hungern und wir frieren nicht. Vielleicht sind wir heute aber auch übersättigt, vieles hatte früher eine andere Wertigkeit. Wovon hängt es ab, ob man glücklich ist? Das ist von den Genen und den äußeren Umständen abhängig, aber auch von Einstellungen und Verhaltensweisen – also sind Glück und Zufriedenheit erlernbar. Aber vor allem ist Glücklichsein eine Entscheidung, ein Lebensgefühl, das man wählen kann. Wir haben nicht immer einen Einfluss darauf, was im Außen passiert, aber wir haben einen Einfluss darauf, wie wir darauf reagieren, was im Außen passiert, was wir denken und welche Entscheidungen wir treffen. Und mit jeder Entscheidung, die wir treffen, anstatt dass sie jemand anderes oder das Leben für uns trifft, wählen wir unseren Weg. Das klingt nach einem guten Vorsatz für 2023. Ja, fangen wir doch an, im neuen Jahr die richtigen Entscheidungen zu treffen und vom Erdulder zum Gestalter unseres Lebens zu werden. Welche Entscheidung wartet darauf, endlich getroffen zu werden? Was würde man bereuen, nicht getan zu haben? Sie sprachen von Übungen. Beschreiben Sie bitte eine, um 2023 glücklicher zu sein. Die Einstiegsübung, die ich gerne mache, ist das Quadrat des Wohlbefindens. Dazu überlegt man sich zwei Dinge und schreibt sie auf. Dinge, die einen kurzfristig ein wenig glücklich und sehr glücklich machen, sowie Dinge, die einen langfristig ein wenig und sehr glücklich machen. Was könnte das sein? Bei fast allen Menschen sind es der Kaffee am Morgen oder ein Stück Schokolade bei Stress, die kurzfristig ein wenig glücklich machen. Es sind Erlebnisse, in die man etwas investiert wie Urlaub oder ein Treffen mit Freunden, die einen kurzfristig sehr glücklich machen. Strukturen, die wir uns geschaffen haben, wie Haus, Fahrrad oder Handy machen uns langfristig ein wenig glücklich. Aber Beziehung und Entwicklung, das ist es, was fast alle langfristig sehr glücklich macht. Ist man sich dessen wirklich bewusst, erkennt man, dass es nicht die Dinge sind, wonach wir oft streben und wo die Werbung uns vorspielt, dass wir sie unbedingt benötigen. Sondern es sind die Familie, die Freunde, die Beziehung zu Tieren, zu uns selbst und unsere Entwicklung, die uns langfristig sehr glücklich machen. Also nehmen wir uns einen Moment der Dankbarkeit für all die Menschen und Erfahrungen in unserem Leben. Das kann man jederzeit tun? Um das Glück direkt zu spüren, schließt man die Augen und denkt an eine Person oder eine Erfahrung, für die man dankbar ist, und spürt noch mal diesen Moment. Dann denkt man an etwas, wofür man in diesem Augenblick dankbar ist, und fühlt diese Dankbarkeit. Abschließend denkt man an etwas, wofür man in Zukunft dankbar sein wird, und an etwas, was man erleben möchte, beispielsweise einen Menschen treffen oder eine Erfahrung machen. Auch diese Situation und die Dankbarkeit fühlt man. Das klingt eigentlich einfach. Die Dankbarkeit ist der schnellste und wirkungsvollste Weg, das Glück im Hier und Jetzt zu spüren.

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