Landwirte protestieren bei Tönnies: "Nicht nur Sie schreiben miserable Zahlen"

Rheda-Wiedenbrück. Landwirte fordern bundesweit mehr Geld für ihre Erzeugnisse. Unternehmer Clemens Tönnies überreichten Tierhalter erst vor wenigen Tagen ein Papier, in dem sie für jedes Kilogramm Schweinefleisch mindestens 50 Cent mehr fordern. Doch statt zu steigen, ist die so genannte Schweinenotierung am Mittwoch gesunken - und zwar um 8 Cent auf nun 1,19 Euro pro geschlachtetem Kilogramm Schweinefleisch. "Das ist ein Zehnjahrestief", sagt Georg Wester-Ebbinghaus, Bauer aus Verl. Donnerstag war er wieder bei Tönnies, zusammen mit rund 40 Landwirten aus der Region. Eindringlich fordern sie einen Trilog: Erzeuger, Verarbeiter und Handel müssten zusammenkommen, "um kurzfristig und nachhaltig gewinnbringende Erzeugerpreise für alle durch die deutsche Landwirtschaft erzeugten Produktgruppen zu erzielen". Das gelte auch für Rinder, Geflügel und Milch. Die seit Monaten "ruinösen Preise" deckten gerade "noch zwei Drittel der Kosten", informiert der Verein Land schafft Verbindung (LSV). 113 Euro pro Schlachtschwein gehen an den Bauern Die Bauern machten vor dem Fleischwerk deutlich, was sie von den Verantwortlichen erwarten: "Einen Vorschlag, wie alle Beteiligten ins Gespräch kommen", sagt Jörg Düfelsiek, Landwirt aus Steinhagen. Er erklärt auf Nachfrage, wie viel Geld ein Mäster pro Schwein bekommt. 20 Prozent werden vom Gewicht des lebenden Tieres, beispielsweise wegen der Innereien, abgezogen. Bleiben 95 Kilogramm übrig, erhält der Landwirt 113 Euro pro Tier. Das sei zu wenig. Festgelegt hat den neuen Schweinepreis die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG). Ihr gehören Schlachtereien, Handel und Viehvermarktungsorganisationen an. Die Schlachtbranche spricht also bei der Preisgestaltung mit, auch das Fleischwerk Tönnies. Konzernsprecher André Vielstädte erklärt: "Wir haben uns seit Wochen gegen weiter sinkende Preise gewehrt, haben klar gemacht, dass der Preis mindestens stabil bleiben, auf Dauer aber steigen muss." Doch habe sich Tönnies mit der Haltung, dass mindestens 1,40 bis 1,50 Euro pro Kilogramm Schweinefleisch gezahlt werden müssten, nicht durchsetzen können. Einen Alleingang könne sich das Unternehmen nicht erlauben, so Vielstädte. Zwar sei Tönnies der "vielleicht größte Fleischproduzent Deutschlands" mit einem Marktanteil von etwa 30 Prozent. 70 Prozent entfielen aber auf andere Firmen. Und: Der europäische Markt sei derzeit geflutet mit Fleischprodukten. Gründe dafür seien die wegen Corona geschlossene Gastronomie sowie das Exportverbot wegen der afrikanischen Schweinepest. Nun dürfe auch Dänemark nicht mehr nach China liefern. "Auch diese Produkte kommen auf den europäischen Markt." Gegenüber den Bauern betonte Vielstädte: "Nicht nur Sie schreiben miserable Zahlen, wir auch." Geld verdiene Tönnies derzeit nicht, es sei das schwierigste und schlechteste Jahr in der Unternehmensgeschichte. Der Konzern appelliere an die Politik, dass "Deutschland endlich die Regionalisierung beim Handelsabkommen mit China hinbekommt". Das heißt: Nicht Erzeugnisse aus der ganzen Bundesrepublik wären von einem Exportverbot belegt, weil ein Wildschwein in Brandenburg die afrikanische Schweinepest habe, sondern nur die Region. "Das würde uns eine Absatzmöglichkeit von 20 Prozent bringen", erklärt Vielstädte. Der LSV fordert Solidarität von den Schlachthöfen, um den Schweinestau zu reduzieren. Er nennt noch einen Grund für seine Kritik an der mangelnden Wertschöpfung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse: die Schlachtmaske. Abliefern sollen die Bauern Normschweine. Schlachthöfe legen fest, dass geschlachtete Tiere maximal 104 Kilogramm wiegen, "um sie zu gleichmäßig großen Schnitzeln verarbeiten zu können", sagt Bauer Düfelsiek. Doch durch den Schweinestau haben viele Tiere inzwischen mehr Lebendgewicht. Bezahlt bekommen die Bauern die zusätzlichen Kilos mit 67 Cent. "Wer sich nach eigener Aussage als Partner der Landwirte sieht, der muss diese auch so behandeln" Als Ausweg aus dem Dilemma sehen die Landwirte eine Lösung: höhere Preise. "Handel und Verbraucher greifen zum billigsten Angebot, zahlen aber alle mehr, wenn das Preisniveau flächendeckend abgehoben wird", so der LSV. Der sieht sie Verarbeiter in der Verantwortung. "Wer sich nach eigener Aussage als Partner der Landwirte sieht, der muss diese auch partnerschaftlich behandeln." Dazu gehöre nicht nur eine mindestens kostendeckende Bezahlung durch die Schlachtbetriebe. Dazu gehörten auch Rahmenbedingungen von der Politik für alle an der Wertschöpfungskette Beteiligten - vom Handel bis zur Landwirtschaft. Denn: "Wenn es so weiter geht, hat auch Tönnies bald keine Lieferanten mehr", sagte Andreas Westermeyer, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbands. Damit es so weit nicht kommt, bot Vielstädte an, zeitnah alle Bundestagsabgeordneten des Kreises und der Umgebung zu einem gemeinsamen Austausch mit den Landwirten bei Tönnies einzuladen. "Dann führen wir einen Trilog." Das Angebot nahmen die Landwirte an. Bei dem Gespräch allerdings würde der Handel fehlen.

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