Geschäft im Kreis Gütersloh schließt nach 41 Jahren - Nachfolger vergeblich gesucht

Harsewinkel. Die Wehmut ist ihr deutlich anzumerken. Doch die intensive Suche nach Nachfolgern blieb vergeblich. Am Gründonnerstag, 28. März, wird Annette Jürgensmeier das letzte Mal am Morgen ihre Buchhandlung für ihre Kundschaft aufschließen. Nach 41 Jahren, mit beinahe 79 Jahren, schließt die Harsewinkelerin ihr Lebenswerk ab. Endgültig wird sie das Ladenlokal an der Dr.-Zurbrüggen-Straße der Stadt Mitte April übergeben, an die sie die Immobilie verkauft hat. Als Nachfolger werden dort die Bezirkspolizisten, die bis jetzt noch am Rathaus im Gebäude der Stadtwerke Wache halten, einziehen. &bdquo;Die haben sich das schon genau angeguckt und einen Plan gemacht, wie die Polizeiwache hier reinpassen wird", sagt Annette Jürgensmeier. Die Stadtwerke benötigen mehr Platz, lautet die Begründung für den Umzug. Bis dahin muss sie ihren Bestand, der noch viele Tausende von Bücher umfasst, abverkaufen oder ausräumen. Immerhin muss sie sich in den letzten vier Wochen nicht mehr an die gesetzliche Buchpreisbindung halten. &bdquo;Ab 1. März darf ich Preisnachlässe gewähren", sagt sie und hofft, dass die Leseratten kräftig zuschlagen werden. Sie erinnert ihre Kunden daran, bis zur Geschäftsaufgabe noch alle Gutscheine einzulösen. So lange es geht, wird sie auch noch Bestellungen aufnehmen. Lesen Sie auch: Tiktok macht Bücher im Netz populär - Gütersloher Händlerin berichtet vom Trend Ältere Bücher sind bereits reduziert Ältere Bücher bietet sie bereits reduziert an, ein erklecklicher Teil ist schon verkauft. Am Taschenbuchständer meldet die Stadtbücherei Interesse an, alle anderen eingebauten Regale wird sie wohl entsorgen müssen. Es sei denn, dass sich noch jemand finden sollte, der diese abbauen und mitnehmen möchte. Ich kann mir nicht vorstellen, hier morgens nicht mehr zu stehen", blickt sie auf die Hälfte ihres Lebens zurück, die die Buchhandlung prägte. &bdquo;Aber mit 80 wollte ich ja auch nicht mehr hinterm Tresen stehen", sagt sie. Irgendwann sei eben mal Schluss. &bdquo;Ich muss mich um meine Gesundheit kümmern", deutet sie an, dass die vergangenen vier Jahre sie gebeutelt haben. Dank der Hilfe dreier Aushilfen und einiger Freundinnen wie die gestorbene Gunhild Hinney, die immer wieder mit angepackt hatten, hat sie schwierige Zeiten gemeistert. Zweimal bildete sie in all den Jahren auch junge Menschen aus. Eine junge Frau schloss ab, die andere gab zwischendurch auf. Hunderttausende Bücher wurden in mehr als 40 Jahren verkauft Ihre eigene Liebe zu Büchern hatte die gelernte Fremdsprachenkorrespondenten, die von 1971 bis ’78 bei Claas als Übersetzerin für Konstruktionsanleitungen in Englisch, Französisch und Spanisch arbeitete, mit 41 Jahren bewogen, als &bdquo;Ungelernte" eine Buchhandlung aufzumachen. In die Materie fuchste sie sich schnell ein, bezog über den Großhandel ihre Bücher. &bdquo;Als kleine Buchhandlung hatte ich nicht jedes Buch gleich 20 mal im Regal stehen", sagt sie. Auf Kommission konnte sie nicht einkaufen. &bdquo;Alles, was hier besteht, ist auch bezahlt", betont Jürgensmeier. Die Nachteile der kleinen Buchhandlung gegenüber großen Ketten liegen auf der Hand. Für den Service des Bücherwagens, der jeden Morgen von Erfurt aus auch Harsewinkel anfährt und nach Belieferung und Kilogramm abrechnet, muss sie eine erhebliche Gebühr zahlen. Die Zahl der Bücher, die sie in mehr als 40 Jahren verkauft hat, geht in die Hunderttausende. Ein Bestseller war &bdquo;Ganz unten", die Sozialstudie von Günther Wallraff, der die Arbeitswelt in der deutschen Industrie erlebte und beschrieb. Natürlich gingen auch &bdquo;Tschick" oder &bdquo;Der Vorleser", die vielfach als Schullektüre bestellt wurden, oft über den Ladentisch. Rafik Schami ist der Lieblingsautor der Buchhändlerin Genauso wie Krimis. Wobei sie selbst überhaupt keine Affinität für diese Genre entwickelte, die dank der hohen Nachfrage aber einen großen Platz in den Regalreihen einnehmen. Jürgensmeiers persönlicher Lieblingsautor ist Rafik Schami, dessen neuen Bestseller sie natürlich prominent platziert hat. &bdquo;Das ist ein toller Erzähler", schwärmt sie von dessen Stil. Heinrich Böll oder Erich Maria Remarque haben ihre literarische wie politische Welt mit geprägt. Annette Jürgensmeier hat sich als Vorreiterin für Frauenrechte, etwa im Arbeitskreis Sozialdemokratischer Frauen (ASF), engagiert. Da passt Elke Heidenreich als weitere favorisierte Autorin natürlich dazu. Überhaupt Bücher! Im April 1945 auf der Flucht vor den Russen geboren und dann im Lipperland aufgewachsen, gab es im Haus ihrer Mutter keine Bücher. &bdquo;Die hätten wir uns gar nicht leisten können", sagt Annette Jürgensmeier. Dafür habe sie in der Schule alles verschlungen, was die kleine Schulbücherei hergab. Bücher seien immer ihre besten Freunde gewesen, sagt sie &bdquo;Bücher waren immer meine besten Freunde. Gerade, wenn ich Kummer hatte", sagt sie und erinnert sich an die Zeiten, wo sie mit der Taschenlampe unter der Bettdecke nachts einen Karl-May-Schmöker nach dem anderen verschlungen hat. Was an Neuerscheinung bei ihr reinkommt, hat sie so gut wie immer zumindest quer gelesen, um ihre Kundinnen und Kunden auch entsprechend gut beraten zu können. &bdquo;Nur einmal bin ich gescheitert. Da ist mir wirklich der Kragen geplatzt", erzählt sie wie eine Kundin auch nach dem x-ten Versuch völlig beratungsresistent blieb, bis sie entnervt aufgegeben hat. &bdquo;Die Dame, habe sich dann auch noch über die Bücher Cover mokiert. Da habe ich ihr gesagt: ’karierte Maiglöckchen haben wir nicht’". Die Anekdote blieb die absolute Ausnahme. &bdquo;Ansonsten sind meine Kundinnen und Kunden sehr nett. Es hat so etwas positives, Bücher zu kaufen", vermutet sie. Über 40 Jahre lernte sie Generation von Familien kennen. &bdquo;Jetzt kaufen schon Großeltern mit ihren Enkeln bei mir, die ich selber als Schulkinder schon bedient habe", macht sie den Wandel der Zeit deutlich. Gern erzählt sie die Geschichte vom Rechtsanwalt Jürgen Wegener, der bei ihr regelmäßig im Laden stand, wenn am Abend zuvor im Fernsehen das &bdquo;Literarische Quartett" den Daumen über Literatur hob oder senkte. Erinnerungen an Harry-Potter-Nächte mit dem Verkauf neuer Bände Humor hat ihr über schwierige Zeiten geholfen. Davon zeugen die Sprüchetafeln: &bdquo;Wir sind kein Geilmarkt. Wir sind kein Blödmarkt. Wir sind ein Fachhandel", nimmt sie die Werbung anderer Branchen aufs Korn. Und dann sind da die Erinnerungen an außergewöhnliche Veranstaltungen wie die Harry-Potter-Nächte, wenn ein neuer Band herausgekommen und der Verkauf ab Mitternacht möglich war. Vermissen wird sie vor allem die Begegnung mit ihren Kunden. Wie auf Bestellung kommt in dem Moment ein kleines Mädchen samt Puppe mit seiner Mutter durch die Tür. Mit großen Augen nimmt das Mädchen das bestellte Kinderbuch entgegen und stapft stolz wieder zur Tür hinaus.

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