Warum die Kultkneipe im Kreis Gütersloh wirklich schließt

Harsewinkel. &bdquo;Die Vielfalt macht zu.“ Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht in diesen Tagen unter Harsewinkels wackeren Kneipengängern. Allerdings mit schrägen Nebentönen, wie Betreiber Frank Brune und seine Lebenspartnerin Alexandra Haase feststellen. &bdquo;Da werden unglaubliche Gerüchte gestreut“, sagt der 52-Jährige. Von &bdquo;Pleite“ über &bdquo;die machen was Neues auf“ bis zu &bdquo;Abriss des gesamten Hauses“ wird da geflüstert. Nichts davon stimmt. Jetzt gehen Frank und Alex (43), die gelernte Restaurantfachfrau ist, seit 2015 in der Vielfalt kellnert und den Veranstaltungskalender fest im Griff hat, im Gespräch mit der &bdquo;NW“ an die Öffentlichkeit. Und erklären, warum sie nach 15 Jahren ihre Kultkneipe an der Dr.-Pieke-Straße aufgeben: &bdquo;Wir wollen einfach mehr Zeit für uns und Privatleben mit unseren Familien haben“, sagt der Vater dreier Kinder. Alex bringt vier &bdquo;Große“ mit in die Patchworkfamilie. Betreiber kündigten erst kürzlich den Pachtvertrag Die Entscheidung, jetzt der Gastronomie endgültig den Rücken zu kehren, sei in den vergangenen zwei Jahren gereift. Erst in der vorletzten August-Woche haben sie fristgerecht bei ihrer Vermieterin Karin Gerbaulet den Pachtvertrag gekündigt. &bdquo;Gesagt haben wir ihr das aber schon Anfang des Jahres“, sagt Alex. Was Karin Gerbaulet bestätigt. &bdquo;Ich bin bereits mit einigen potenziellen Interessenten im Gespräch“, hofft sie auf einen möglichst nahtlosen Übergang. Auch sie muss seit Tagen in vielen Gesprächen mit neugierigen Harsewinkelern immer wieder versichern, dass das Haus so bleibt wie es ist. &bdquo;Als Kneiper bist Du heute mehr Buchhalter, Einkäufer und Verwalter als alles andere“, erklärt Brune, der nach der Schule zunächst eine Tischlerlehre absolvierte, seine Beweggründe. Und hinterm Tresen sei er zudem je nach dem Psychologe, Eheberater oder Paartherapeut. Erst vor ein paar Wochen haben sie hier eine Frau von gegenüber gerettet, deren Partner mit einem Messer hinter ihr her war. Betreiber rutscht früh in Familienbetrieb hinein Brune junior, der früher mit seiner langen &bdquo;Matte“ als &bdquo;Winnetou vom Moddenbach“ bei der TSG in der Landesliga kickte, rutschte so früh wie selbstverständlich in den Familienbetrieb rein. Sein Vater Eberhard fing in den 60ern mit der &bdquo;MiBiCo“-Bar (&bdquo;Milch, Bier, Cola“) an und führte in den 70ern das &bdquo;King George“ als Vorläufer des legendären &bdquo;Rockpalast“. Der Junior startete mit seiner verrückten Idee, ein Eiscafé wie ein Bistro aufzumachen, in dem es auch Weizen vom Fass, &bdquo;Premiere“ für Fußballfans und Auftritte von Livebands gab. &bdquo;Zur Beachparty haben wir tonnenweise Sand reingekippt und bei der Karnevalsveranstaltung mit Stripper standen 500 Frauen eine Stunde vor Einlass vor der Tür“, erinnert er sich. Mit seinen Kontakten baute er nebenher seine Agentur &bdquo;Events & More“ auf. 2004 stieg Dominik Klima mit ein. Beschallt haben sie Harsewinkel immer wieder vom Feinsten. Die &bdquo;Söhne Mannheims“ mit Xavier Naidoo traten in Harsewinkel auf. Und bei den legendären Schlagerparaden standen Jürgen Drews, Guildo Horn, Micky Krause und der Wendler auf der Bühne. Dass sie NDW-Star Hubert K. vor seinem Auftritt (&bdquo;Der wollte unbedingt noch in die Wunderbar“) mal Puderzucker als den von ihm verlangten &bdquo;Koks“ untergejubelt haben, gehört zu jenen Geschichten, die das Show-Biz auch in Harsewinkel schreibt. Betreiber kennt die Kehrseite des Geschäfts Nicht alles klappte immer. Brune kennt auch die Kehrseite des Geschäfts, wenn’s mal nicht lief, fiel hin – und stand jedes Mal wieder auf. Mit der &bdquo;Vielfalt“ gestaltete er seit 2008 genau die Form von Kneipe, die er sich immer gewünscht hat: &bdquo;Wir sind offen für alle, hier ist jeder willkommen, nur nicht für die Extremen“, beschreibt er das einmalige Flair. Hier haben es knallharte Rockbands wie &bdquo;Haudegen“, &bdquo;V2A“ oder &bdquo;Lucifer Starmachine“ krachen lassen. Alleine das Auflisten der Stammtische vom Kirchenchor über die BVB-Truppe bis zur dritten Kompanie der Bürgerschützen zeigt, dass es hier keine Berührungsängste gibt. Tänzer, Handballer, Männergesangverein oder die Feuerwehrrentner zum Frühstück kehren hier regelmäßig ein. &bdquo;Im Biergarten quatscht ein Punk auch mit einem vom Kolping“, bringt er das Miteinander auf den Punkt. Ohne die &bdquo;Vielfalt“ und dem &bdquo;Underground“, jenem &bdquo;berüchtigten“ Mehrzwecksaal im Keller, in dem von Hochzeitsfeier bis Halloweenparty schon alles stattgefunden hat, was das Harsewinkeler Partyvolk hergibt, wird das Nachtleben in der Innenstadt ärmer, da sind sich alle einig. Als die Engländer noch da waren, die sich den Namen &bdquo;Vielfalt“ nicht merken konnten, kamen die einfach in ’Fränks Bar’“. Gerne auch zu Karaoke-Nächten. &bdquo;Irgendwann haben wir spontan die Ladys Night erfunden. Für die brauchten wir keine Werbung zu machen, das lief alles von selbst über Facebook“, erzählt er die nächste Anekdote. Fokus liegt Künftig auf den Events seiner Agentur Selbst zu Coronazeiten, als die Gastronomie am Boden lag, ging in der Vielfalt mit der Sommerkulturbühne und 40 Veranstaltungen in zwei Monaten immer noch was. Mit der Noa Konzertagentur von Nobby Morkes verschmolz &bdquo;Events & More“ schon 2009 zum erfolgreichen Unternehmen, das nun den zweiten gewichtigen Grund für den Wendepunkt in seinem Leben ausmacht. &bdquo;Wir machen inzwischen 20 mehrtägige Großveranstaltungen wie Annotopia in ganz Deutschland“, erklärt er, wo demnächst seine Ideen, sein Organisationstalent und sein handwerkliches Geschick noch mehr gebraucht werden. Noch einmal verantwortlich hinterm Tresen? Frank und Alex winken unisono ab. &bdquo;Wir kommen aber als Gäste hier hin“, verspricht er. Und wenn Not am Mann sei, würde er auch mal zapfen. &bdquo;Wir hätten ja auch den Wilhalm mitübernehmen können“, erinnert er an die Diskussionen am Anfang, ob der subventionierte Kulturbetrieb nun Konkurrenz oder Belebung für die Szene sei. Für Frank Brune, der die Kneipenkultabende richtig klasse findet, ist der Dritte Ort auf jeden Fall ein Gewinn für die Innenstadt. Von un an läuft der Countdown für die Vielfalt. Die letzte &bdquo;Spanische Nacht“ gibt es an diesem Samstag. Am 23.12. wird letzmals das Kolpingorchester das Warten aufs Christkind verkürzen. Und in der Silvesternacht werden nicht nur viele Hektoliter Bier fließen. Sondern auch viele Tränen.

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