Kommentar

Familienunternehmen im Kreis Gütersloh in der Krise: Ein Paukenschlag für die Region!

Das Familienunternehmen Reinert gehört bald womöglich dem Schlachtriesen PFG (früher Tönnies). Reinerts Heimat verliert damit ein weiteres Stück wirtschaftlicher Identität.

Clemens Tönnies (l.) und Hans-Ewald Reinert beim Unternehmertag 2015 in Versmold. | © Archiv/Jan Herrmann

28.06.2025 | 28.06.2025, 16:22

Kreis Gütersloh. Man muss sich das alles noch einmal ganz langsam vorsagen. Gewissermaßen um zu verstehen, was da kürzlich verkündet wurde. Um sich die gesamte Tragweite dieser Mitteilung in drei Schritten klarzumachen.

Erstens: Der Fleischkonzern TFB, in den das Versmolder Traditionsunternehmen Reinert sich als gleichberechtigter Partner eingebracht hatte, soll mehrheitlich verkauft werden. Die Premium Food Group (früher Tönnies) will mit gut 50 Prozent die Mehrheit übernehmen.

Zweitens: Hans-Ewald Reinert (62), der Reinert in dritter Generation geführt hat, der Produkte wie „Bärchen“ mitentwickelte und selbst die Weiterentwicklung zum Konzern „In Family Foods“ forcierte, zieht sich bei TFB als Gesellschafter komplett zurück. Er gibt die Wurstfabrik auf, die Reinert-Identität, quasi die DNA des Familienunternehmens, als das sich die Loxtener 94 Jahre inszeniert haben.

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Drittens: Und das ist die niederschmetterndste Nachricht für den heimischen Wirtschaftsstandort: Wenn der Schlachtriese aus Rheda-Wiedenbrück nicht zugreifen würde, dann stünde TFB wohl vor der Insolvenz. Anders lässt sich die Antwort des Unternehmens auf die Anfrage, was passiert, wenn das Bundeskartellamt diesen Deal nicht genehmigt, wohl nicht deuten: „Sollte das Kartellamt wider Erwarten keine Zustimmung geben, steht TFB vor kaum lösbaren Finanzierungsproblemen.“

Gerry Weber und Reinert schienen lange unangreifbar

Wenige Wochen nach der Eröffnung des neuerlichen Insolvenzverfahrens bei Gerry Weber mit der Aufgabe des Geschäfts und dem Verkauf der Marke steht damit ein weiteres heimisches Traditionsunternehmen vor den Scherben seiner Bemühungen, am Markt zu überleben. Gerry Weber und Reinert, zwei der schillerndsten und stärksten ostwestfälischen Marken – bis vor wenigen Jahren schienen sie unangreifbar.

Die einen bauten quasi nebenbei noch ein Stadion, in dem sie Weltklasse-Tennis präsentierten, die anderen traten dort und an anderer Stelle im Spitzensport als Großsponsor auf. Immer nach vorne, immer mit neuen Ideen, immer mit dem nächsten Marketing-Coup im Köcher.

Doch wie in der Mode haben sich auch bei der Wurst die Zeichen der Zeit gewandelt. Es ist nicht so, als dass Hans-Ewald Reinert nicht realisiert hätte, dass sich der Wind dreht. Immerhin hatte er nach den fetten 70er- und 80er-Jahren und dem Wende-Boom als junger Manager schon die BSE-Krise zu meistern.

2013 präsentierte Reinert seine Sommerwurst-Kampagne, auf der Firmenchef Hans-Ewald Reinert, Sohn Carl Ewald Reinert und Vater Hans Reinert gemeinsam auf dem Generationen-Fahrrad sitzen. - © Reinert
2013 präsentierte Reinert seine Sommerwurst-Kampagne, auf der Firmenchef Hans-Ewald Reinert, Sohn Carl Ewald Reinert und Vater Hans Reinert gemeinsam auf dem Generationen-Fahrrad sitzen. | © Reinert

Aber anders als bisher hatte er jetzt offenbar kein Rezept mehr, um der Position seines Unternehmens bei steigendem Kostendruck und sinkender Nachfrage auf einem gesättigten Markt neue Würze zu verleihen. Zumal sich der 62-Jährige selbst aus dem operativen Geschäft bei der Wurst zunehmend zurückgezogen hatte. Er wollte lieber in der neu gegründeten Holding „In Family Foods“ über den Töchtern TFB, TPB (vegetarische Produkte) und TCB (Laborfleisch-Entwicklung) viel weitreichendere Fäden spinnen.

Schon die Reinert-Fusion geschah unter Druck

Schon die Fusion von Reinert und dem Konkurrenten Kemper aus Nortrup bei Osnabrück im Jahr 2020 geschah letztlich unter Druck: Zwei große Spieler auf dem Markt wollten zu einem noch größeren werden – um Branchenprimus Zur Mühlen (aus dem Hause Tönnies) herauszufordern – aber in erster Linie auch, um das eigene wirtschaftliche Überleben zu sichern.

Nun lässt sich sagen, dass die Hochzeit des auf die effiziente Produktion von SB-Produkten in großer Stückzahl spezialisierten Herstellers (Kemper) und des Markenspezialisten mit dem Fokus auf die Positionierung als Familienunternehmen (Reinert) nicht funktioniert hat.

Bald womöglich nur noch eine Fabrik unter vielen: die Versmolder TFB-Produktionsstätte in Loxten. - © TFB
Bald womöglich nur noch eine Fabrik unter vielen: die Versmolder TFB-Produktionsstätte in Loxten. | © TFB

Wofür „TFB“ letztlich stand – aus dem sperrigen Dinglish „The Family Butchers“ lässt sich das nicht herauslesen -, war selbst den anfangs 2.600 Mitarbeitenden offenbar nie so richtig klar. Jetzt sind es nach mehreren Werkschließungen noch 2.300 - und die werden nach diesem Paukenschlag noch mehr als bisher um ihre Zukunft bangen.

Die Hintergründe: Traditionsunternehmen im Kreis Gütersloh in der Krise – Premium Food Group steigt ein

In Wahrheit suchte man schon damals einen Rettungsanker

Sorgen hatten sie ohne Frage schon länger. Erst der harte Sparkurs unter Sanierer Georg Hürth ab April 2023 - und dann die alarmierende Nachricht aus dem vergangenen Herbst: Man suche einen „strategischen Partner auf der Rohstoffseite“. Um den Nachteil bei dem Bezug von Fleisch gegenüber den Konkurrenten mit eigenen Fleischwerken (siehe Zur Mühlen aus der Premium Food Group) auszugleichen, hieß es damals. Es könne auch ein Investor sein.

In Wahrheit suchte man schon damals einen Rettungsanker. Und der ist nun ausgerechnet im Mutterkonzern des größten Konkurrenten am Markt gefunden, von dessen Lieferungen man ohnehin schon abhängig war. Die Premium Food Group wird sich – sollte das Bundeskartellamt Ja sagen – TFB sehr gründlich anschauen. Und dann ohne zu zögern knallharte wirtschaftliche Entscheidungen treffen.

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So wie es 2014 schon beim anderen Versmolder Traditionsunternehmen Nölke geschah, das von Zur Mühlen übernommen wurde. Heute firmiert die Fabrik in Versmold als „HN Produktion“ – ins Rampenlicht wird nur ihre Marke „Gutfried“ gerückt.

Bei Nölke wandte sich die Familie einst zunehmend vom Unternehmen ab – jetzt zieht sich auch die Familie Reinert zurück. Das „Bärchen“ bleibt zwar in der Familie, weil Hans-Ewald Reinert die Lizenzrechte behält. Aber er und Tochter Johanna Lena wollen sich lieber auf das vegane Segment mit der Marke „Billie Green“ fokussieren, das in Osnabrück zu Hause ist. Bliebe also nur noch die Familie Kemper im neuen TFB-Konstrukt – wenn diese ihre Anteile kurz- oder mittelfristig nicht auch noch an einen Investor abgeben möchte.

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Der Geist eines Familienunternehmens ist verloren

Und was bleibt nun? Sicher, in Versmold-Loxten wird auch künftig viel Wurst hergestellt. Aber das wird dann nur eine Fabrik unter vielen sein, in einem weit größeren Unternehmensnetzwerk. Gut möglich, dass hier noch lange effizient produziert wird – wo die Verwaltung von TFB künftig zu Hause ist, steht indes in den Sternen.

Und eines ist in jedem Fall verloren: der Geist eines Familienunternehmens, das sich seinem Heimatstandort und den Arbeitsplätzen verbunden fühlt, das immer wieder neue Akzente setzt und eine Kleinstadt auf die Karte holt. Versmold hat in diesen Tagen wie Halle ein wenig von seinem Stolz verloren.