Familienunternehmen im Kreis Gütersloh in der Krise: Wie realistisch ist eine Übernahme?

Versmold. Zwar hatte sich die Schieflage des heimischen Fleischwarenherstellers TFB (zuletzt 2.300 Mitarbeitende, Jahresumsatz 700 Millionen Euro) schon länger dokumentiert: durch den Sanierungskurs von CEO Georg Hürth, durch die Schließung zweier Werke und vor allem durch die Suche nach einem &bdquo;strategischen Partner“ ab Herbst 2024. Dennoch bedeutet der geplante Einstieg der früher unter Tönnies firmierenden &bdquo;Premium Food Group“ bei TFB eine Zäsur für den heimischen Wirtschaftsstandort – die in dieser Tiefe wohl nicht erwartet worden wäre. Denn dass PFG mit 50,025 Prozent die Mehrheit beim Wettbewerber des eigenen Tochterunternehmens (Zur Mühlen) übernehmen will und TFB damit womöglich vor einer Insolvenz bewahrt, war womöglich nicht einmal Branchenkennern in dieser Dramatik bewusst. Entsprechend schockiert fallen manche Reaktionen aus, vor allem in den sozialen Netzwerken. Übernahme sei besser als eine Insolvenz, heißt es im Netz Dort gibt es zahlreiche Kommentare zur Berichterstattung – und die befassen sich in erster Linie mit zwei Aspekten: der Perspektive des Unternehmens ohne Übernahme und dem &bdquo;neuen Taktgeber“ bei TFB. Einige Stimmen betonen, dass eine Übernahme durch den Schlachtkonzern immer noch besser sei als eine Insolvenz. Denn so könnten zumindest die Mitarbeitenden mit größerer Wahrscheinlichkeit ihre Jobs behalten, heißt es. Am früheren Reinert-Stammsitz in Versmold-Loxten, heute einer der beiden Hauptsitze des TFB-Konzerns, arbeiten aktuell 665 Menschen. Spekuliert wird allerdings auch, ob die PFG eventuell mit &bdquo;eisernem Besen“ kehren und verschärfte Arbeitsbedingungen durchsetzen könne, zum Beispiel über angepasste Verträge. Was in einem Unternehmen mit Haustarifvertrag (ausgehandelt Anfang 2024 mit der Gewerkschaft NGG) allerdings kein realistisches Szenario darstellen dürfte. Kommentatoren beschreiben frühere Tönnies-Gruppe als gierigen &bdquo;Hai“ Generell wird die frühere Tönnies-Gruppe in manchen Kommentaren indes als gieriger &bdquo;Hai“ oder &bdquo;Heuschrecke“ beschrieben, die sich immer mehr Konkurrenten einverleibe. Um dann eventuell Sparmaßnahmen durchzudrücken. Ein Kommentar nennt als Beispiel die Abschaffung des Werksverkaufs bei HN Produktion (früher Nölke) nach der Übernahme durch die PFG-Tochter Zur Mühlen. Doch an anderer Stelle wird auch davor gewarnt, die &bdquo;Premium Food Group“ immer als &bdquo;die dunkle Seite der Macht“ zugehörig einzustufen. Und letztlich liegen die Fakten auf dem Tisch: Ohne den Einstieg des Schlachtgiganten gäbe es für TFB und damit auch für die Mitarbeitenden wohl deutlich schlechtere Perspektiven. Lesen Sie auch: Familienunternehmen im Kreis Gütersloh in der Krise: Ein Paukenschlag für die Region! Weil so einen &bdquo;großen Happen“ abseits von PFG kaum ein Unternehmen der Branche verdauen könnte, drohte dem Fleischkonzern andernfalls womöglich die Zerschlagung – mit wesentlich ungewisseren Perspektiven für die Arbeitsplätze. PFG war die Übernahme von Vion-Standorten untersagt worden Aber wie realistisch ist denn nun der Einstieg von PFG? Immerhin hat das Bundeskartellamt der Unternehmensgruppe vor Kurzem die Übernahme von vier Standorten des Schlachtkonkurrenten Vion untersagt. Und die Behörde muss auch hier entscheiden. Zunächst einmal scheint es vor diesem Hintergrund erstaunlich, dass der Mutterkonzern des größten deutschen Wurstherstellers (Zur Mühlen) die Nummer zwei auf dem Markt übernehmen darf. Zur Mühlen selbst misst sich einen Marktanteil von 22 Prozent zu. Nach der Fusion von TFB war 2020 die Rede davon, dass der neue Konzern über die verschiedenen Teilmärkte verteilt auf Anteile von 10 bis 20 Prozent komme. Dieses Stück vom Kuchen dürfte in den vergangenen fünf Jahren auch aufgrund des selbst verordneten Schrumpfkurses kleiner geworden sein. Und aus der Fusion entstände demnach keine marktbeherrschende Position mit mehr als 40 Prozent Marktanteil, die gemeinhin als kritisch gilt. Entscheidung des Kartellamtes wird mit Spannung erwartet Zudem dürfe in die Bewertung des Bundeskartellamtes mit einfließen, dass TFB ohne die Übernahme eine Insolvenz und damit das Verschwinden vom Markt drohen würde – und das kurbelt den Wettbewerb nun mal überhaupt nicht an. Auf der anderen Seite ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass in PFG ein mächtiger Schlachtkonzern seinen Einfluss auf der nachgelagerten Wertschöpfungsstufe noch weiter ausbauen würde – die Entscheidung der Kartellwächter wird in jedem Fall mit Spannung erwartet. Sicher auch vom Unternehmerverband für den Kreis Gütersloh. Dessen Geschäftsführer Burkhard Marcinkowski traut sich auf Anfrage zwar keine inhaltliche Bewertung des geplanten Megadeals zu, weil er die wirtschaftlichen Hintergründe nicht kenne. Aber er betont, worauf es aus Sicht seines Verbandes in dieser Situation ankomme: &bdquo;Wichtig ist, dass in dieser Situation so viele Industrie-Arbeitsplätze wie möglich erhalten bleiben. Und man sollte auch berücksichtigen, dass hier zwei heimische Unternehmen beteiligt sind.“ So äußert sich Versmold Bürgermeister zum geplanten Mega-Deal Auch wenn es immer erstrebenswert sei, möglichst viele eigenständige Familienunternehmen zu erhalten, komme es in erster Linie darauf an, &bdquo;dass die Investitionsentscheidungen hier vor Ort getroffen werden“. Und darauf setzt er bei den beiden heimischen Spielern – zumal bereits angekündigt wurde, an der Modernisierung des Werkes in Loxten festzuhalten. Lesen Sie auch: Erst Dr. Oetker, jetzt Tönnies: Weiteres Unternehmen in OWL wehrt sich gegen Fake-News Diese Standort-Faktoren stehen auch für Versmolds Bürgermeister Michael Meyer-Hermann im Fokus: &bdquo;Dass Veränderungen bei TFB anstanden, war ja schon länger klar. Hans-Ewald Reinert hat mich im Vorfeld dann über die geplanten Schritte informiert.“ Natürlich gehe durch Reinerts Ausstieg ein Stück familiengeführte Tradition verloren – &bdquo;aber die Branche steht nun mal unter enormem Druck“, so Meyer-Hermann. &bdquo;Der Schritt war also notwendig, und Herr Reinert hat mir versichert, dass sich am Standort Loxten mit Blick auf dessen Mitarbeiterzahl nichts ändern soll.“ Und auch die Familie Reinert werde ihrer Heimatstadt verbunden bleiben und sich weiter einbringen. Und was die Gewerbesteuer angehe, sei man bei den knapp 20 Millionen Euro Einnahmen ohnehin nicht mehr so abhängig wie früher von der Fleischwarenbranche – und vor allem nicht von einzelnen Unternehmen. Übernahmen seien für den Arbeitsmarkt nicht zwingend kritisch Die Industrie- und Handelskammer OWL ordnet die aktuelle Krise der Unternehmen auf Anfrage ein: Diesmal sei besonders die Industrie betroffen. &bdquo;Den Kreis Gütersloh, als industrielles Schwergewicht innerhalb Ostwestfalens und auch in ganz NRW, trifft dies in besonderer Weise. So sind die Industrieumsätze im Kreis Gütersloh im vergangenen Jahr um 13,1 Prozent zurückgegangen.“ Auf dem heimischen Arbeitsmarkt wirke sich dies bislang allerdings nur abgeschwächt und verzögert aus. Übernahmen an sich seien dabei nicht zwingend kritisch zu bewerten: &bdquo;Auch in wirtschaftlich guten Jahren gab es Übernahmen von Unternehmen und Konsolidierungen.“ Entscheidend sei, dass die regionale Wertschöpfung und Beschäftigung erhalten bleiben. Generell werde es auch in Zukunft punktuell Stellenabbau geben, aber die Chancen für Betroffene, eine neue Beschäftigung zu finden, seien besser als in früheren Krisen. &bdquo;Viele Unternehmen suchen auch in der jetzigen Lage qualifizierte Fachkräfte.“ Ein weiterer Hoffnungsschimmer seien die jüngst angehobenen Konjunkturprognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die erste positive Effekte noch in diesem und vor allem für das kommende Jahr erwarten lassen. Was bleibt von den heimischen Marken nach der Mega-Übernahme? Wäre noch die Frage, was von den bekannten heimischen Marken nach der Mega-Übernahme bleiben würde. Nach dem Kauf von Nölke durch Zur Mühlen setzten die Verantwortlichen voll auf die Marke &bdquo;Gutfried“, die sie seit Jahren durchaus erfolgreich forcieren. Lesen Sie auch: Neue Werbung von Wurstkonzern im Kreis Gütersloh - Unternehmer-Sohn plötzlich im Fokus Bei der Marke &bdquo;Bärchen“ aus dem Hause Reinert liegen die Dinge nun etwas anders. Deren Lizenzrechte liegen weiter bei Hans-Ewald Reinert – sowohl er als auch die Premium Food Group dürften aber ein großes Interesse daran haben, dass sie weiter bei TFB produziert und prominent am Markt platziert wird. Ein Kommentator im Netz befürchtet nun, dass die traditionsreiche &bdquo;Reinert Sommerwurst“ durch den Mega-Deal beschädigt werden könnte. Auch hier bleibt abzuwarten, welche Strategie TFB in der neuen Struktur verfolgen würde: Es wäre auch durchaus möglich, dass die Marke &bdquo;Reinert“ aufgrund ihrer Tradition künftig nach Gutfried-Vorbild noch prominenter als bisher platziert wird. Nur eben nicht mehr von einem Familienunternehmen.

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