Schüler (17) aus dem Kreis Gütersloh erreicht sein Schuljahresziel - und bleibt sitzen

Halle. Marlon Becker hat sein Schulziel für dieses Jahr erreicht. Er wird die Klasse wiederholen. Wohl kaum ein Schüler dürfte eine Sechs in Chemie so wohlwollend zur Kenntnis genommen haben wie der 17-Jährige aus Künsebeck. Denn das gibt ihm die Möglichkeit, die Q1, also die 12. Klasse, an der Gesamtschule Halle noch einmal zu durchlaufen. Marlon Becker wollte zum Ende des Schulhalbjahres vom Kreisgymnasium Halle auf die Gesamtschule Halle wechseln und sich dabei gleichzeitig eine Klasse tiefer einstufen zu lassen. Als Grund nannte er, dass er sich in dem Lernklima unwohl fühle. Seit der fünften Klasse seien seine Noten ständig schlechter geworden. Das mache seinem Sohn zunehmend Stress, berichtete sein Vater. Die Lehrerkonferenz jedoch stimmte dem Ansinnen nicht zu, weil die Noten dafür nicht schlecht genug waren. Und so begann ein juristisches Verfahren. In dessen Verlauf blieb Marlon Becker insgesamt acht Wochen der Schule fern, auch, weil die Bezirksregierung in Detmold entgegen dem anderslautenden Gerichtsbeschluss der Gesamtschule untersagte, den 17-Jährigen aufzunehmen. Schließlich hob das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf und verfügte, dass Marlon zwar die Schule wechseln, nicht aber zurückgestuft werden dürfe. An der Haller Gesamtschule wird er seitdem mit einem Jahr Älteren unterrichtet, da auf der Gesamtschule im Gegensatz zum KGH das G9-Abitur gilt. Das Ziel, sitzenzubleiben, wurde klar kommuniziert &bdquo;Es war keine einfache Zeit für alle Beteiligten", sagt Marlons Vater Stefan Bramhoff. Denn von Beginn an sei klar gewesen, dass Marlon die Q1 wiederholen wollte. Eine ungewöhnliche Situation für den Schüler wie auch die Lehrkräfte. &bdquo;Marlon möchte ja an der Schule sein Abitur machen. Da ist es nicht leicht, einerseits zu zeigen, ich will, andererseits aber so schlecht sein zu müssen, um die Stufe wiederholen zu können", sagt Bramhoff. Dieses Ziel sei von Beginn an der Schule und den Lehrkräften offen kommuniziert worden. Die Eltern von Marlon erhielten in dieser Zeit noch einmal Post von der Bezirksregierung. Obwohl der 17-Jährige bereits seit Ende März die Gesamtschule besuchte, erreichte ein am 19. April verfasster gelber Einschreibebrief die Familie. Er enthielt eine Ordnungsverfügung, nach der Marlon Becker umgehend am Präsenzunterricht des KGH teilnehmen solle. Andernfalls drohe ein Zwangsgeld von 2.500 Euro. Verdutzt nahm die Familie das Schreiben zur Kenntnis. Die Bezirksregierung erklärte den Vorgang damit, dass ihr am 19. April keine Schulbescheinigung vorgelegen habe. Somit sei unklar gewesen, ob der Schüler überhaupt eine Schule besuche. Die dafür notwendige Bescheinigung sei im Schreiben vom 27. März angefordert worden und hätte ohne weitere Aufforderung von den Eltern eingereicht werden müssen. Sie begründete indes nicht, warum sie in der Ordnungsverfügung forderte, dass Marlon Becker umgehend am Präsenzunterricht des KGH teilzunehmen habe, obwohl das Oberverwaltungsgericht entschieden hatte, Marlon könne zur Gesamtschule wechseln. Verwaltungsgericht übt scharfe Kritik an der Schulbehörde In ungewöhnlich scharfer Form kritisierte das Verwaltungsgericht Minden die Schulbehörde. Es entschied nicht nur, dass die Bezirksregierung die Kosten für einen Vollstreckungsantrag zu tragen habe, den die Familie Bramhoff/Becker gestellt hatte, weil die Behörde trotz anderslautenden Urteils, der Gesamtschule untersagt hatte, ihn aufzunehmen. Sie übte darüber hinaus auch scharfe Kritik an der Vorgehensweise. "Grundsätzlich liegt es nicht in der Hand der Exekutive, eine gerichtliche Entscheidung nicht umzusetzen. Das widerspricht der verfassungsrechtlich verankerten Trennung der Aufgaben der Staatsgewalten. Hier liegt es in der Natur einstweiliger Anordnungen, dass sie wegen Eilbedürftigkeit vor Abschluss eines Hauptverfahrens eine vorläufige Regelung treffen, die unverzüglich umzusetzen ist", heißt es dort unter anderem. Bis heute hat sich die Bezirksregierung nicht dafür entschuldigt, dass sie das Gerichtsurteil zwei Wochen lang nicht umgesetzt und damit verhindert hatte, dass Marlon Bramhoff die Gesamtschule besuchen durfte. Auf erneute Anfrage erklärte die Behörde: "Nach dem Urteil des VG Minden hat die Bezirksregierung das gerichtlich geforderte Verfahren eingeleitet. Das Kreisgymnasiums Halle als bisherige Schule wurde beteiligt. Noch während dieser Vorgang lief, kam die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, welche die Rechtsauffassung der Bezirksregierung bestätigte und den Beschluss des Verwaltungsgerichtes aufhob, sodass eine Umsetzung nicht mehr erforderlich war." Dem widerspricht der rechtliche Vertreter der Familie entschieden. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Wolfgang Wesener hatte bereits im April erklärt: &bdquo;Mit ein bis zwei Tagen Verzögerung hätte der Gerichtsbeschluss zwingend umgesetzt werden müssen", sagt er. Die Anweisung an die Schulleiterin, Marlon trotz Gerichtsbeschlusses nicht in die Einführungsstufe aufzunehmen, könne sogar den Straftatbestand der Nötigung erfüllen, so der Fachanwalt. Peinlicher Fehler: Im Schreiben taucht ein anderer Name auf Die Antwort der Bezirksregierung auf unsere Anfrage lässt jedoch nicht darauf schließen, dass sie ein eigenes schuldhaftes Verhalten anerkennt. Indes räumt sie einen anderen Fehler ein. Denn in der Ordnungsverfügung an die Familie Bramhoff/Becker, die offensichtlich in einem Standarddokument erstellt worden ist, war vergessen worden, den Namen einer anderen Schülerin und deren Schule zu löschen. "Der Vorfall wurde entsprechend aufgearbeitet und eine entsprechende Nutzungsänderung veranlasst", heißt es. &bdquo;Das waren lehrreiche Zeiten. Das Ziel haben wir letztlich nur über Umwege erreicht", sagt Stefan Bramhoff. Sein Sohn habe dadurch einiges in der Schule verpasst. &bdquo;Doch wichtig ist, dass Marlon gespürt hat, dass wir hinter ihm stehen", sagt sein Vater. Nun sei es an ihm, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die Schulziele von Marlon Becker werden sich dabei auf alle Fälle ändern.

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