Trotz Gerichtsbeschluss: Schüler aus dem Kreis Gütersloh darf nicht zum Unterricht

Halle. Marlon ist 17. Seit vergangener Woche geht er wieder zur Schule. Das ist keineswegs selbstverständlich. Acht Wochen lang musste er zuhause bleiben. Gezwungenermaßen. Weil Kreisgymnasium, Behörden und Gerichte nach Auffassung seines Vaters einen schlechten Job gemacht haben. Das Problem beginnt mit einem Antrag im Januar. Marlon hat Schwierigkeiten in der Schule, hat krankheitsbedingt viel Stoff verpasst. Er besucht die 11. Klasse (Q1) des Kreisgymnasiums und hat das Gefühl, am KGH nicht mehr gut aufgehoben zu sein. &bdquo;Er hat sich uns offenbart und mitgeteilt, dass er sich dort unwohl fühle mit dem Lernklima und der Begleitung", berichtet sein Vater Stefan Bramhoff. Seit der fünften Klasse seien die Noten ständig schlechter geworden. &bdquo;Zuletzt hatte er einen Notenschnitt von 3,5 mit sieben Vieren und einer Vier minus", so Stefan Bramhoff. Das mache seinem Sohn zunehmend Stress. Marlon sieht schließlich keinen anderen Ausweg mehr, als sich in die Einführungsstufe (EF) zurückstufen zu lassen und zur Gesamtschule zu wechseln. Am 11. Januar stellt die Familie einen entsprechenden Antrag auf Rücktritt. Während zwei Mitschüler grünes Licht für den Wechsel erhalten, lehnt die einberufene Lehrerkonferenz sechs Tage später Marlons Ansinnen ab. Begründung: Die Leistungen seien dafür nicht schlecht genug. Er habe mit der Vier minus im Englisch-Grundkurs nur ein Defizit, zwei aber seien notwendig. Eilantrag wird erst nach 26 Tagen entschieden Dagegen legt die Familie Widerspruch ein, meldet Marlon auf Rat des Anwalts gleichzeitig am Kreisgymnasium ab und an der Gesamtschule an. Die Gesamtschule jedoch erklärt, man könne ihn aufgrund des schwebenden Verfahrens nur in die Q1 übernehmen. Das Problem: Dort wird Marlon mit ein Jahr älteren Schülerinnen und Schülern unterrichtet, da im Gegensatz zum Gymnasium an der Gesamtschule weiterhin das G9-Abitur gilt. Am 31. Januar schließlich reagiert die Bezirksregierung auf den Widerspruch und gibt der Familie bis zum 10. Februar Gelegenheit ihn zu begründen. Die stellt daraufhin am 1. Februar beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag, eine Zwischenentscheidung zu treffen. Mit dem Ziel, dass Marlon, der noch bis zum 3. Februar mit ärztlichem Attest vom Schulbesuch befreit ist, möglichst schnell die Gesamtschule besuchen kann. Mit dem Eilantrag, für den der Anwalt der Familie einen Beschluss innerhalb weniger Tage prognostiziert, hat es das Verwaltungsgericht aber offensichtlich nicht ganz so eilig. Erst am 27. Februar, also 26 Tage später, verkündet es ein Vergleichsangebot in der Sache. &bdquo;Marlon wird zurückgestuft und wechselt die Schule, die Eltern tragen die Verfahrenskosten", so lautet der Vorschlag des Richters. Dem stimmt die Familie zu. Doch die Bezirksregierung lehnt ab. Am 8. März verfügt daher das Verwaltungsgericht in einer einstweiligen Anordnung: &bdquo;Die Bezirksregierung muss sicherstellen, dass Marlon in die Einführungsstufe der Gesamtschule wechseln kann." Bezirksregierung ignoriert Gerichtsentscheid Damit ist die Sache klar – zumindest für Marlon und seine Eltern. Am Donnerstag, 9. März, gehen sie zur Gesamtschule und besprechen die Fächerauswahl. Am Montag darauf soll endlich wieder ein geregelter Schulalltag beginnen. Doch die Freude hält nur einen Tag. Freitag meldet sich die Gesamtschule und erklärt, die Bezirksregierung habe trotz Gerichtsbeschlusses die Aufnahme in die Einführungsstufe untersagt. Wieder geht es zum Anwalt, der am Montag, 13. März, eine Zwangsvollstreckung des Beschlusses beantragt. Noch am Mittwoch, 22. März, teilt das Verwaltungsgericht mit, dass die "Kammer beabsichtigt, am Tag darauf in dieser Sache zu entscheiden". Dazu aber kommt es nicht mehr. Denn inzwischen hat das Oberverwaltungsgericht Münster den Widerspruch der Familie behandelt, das Urteil des Verwaltungsgerichts gekippt und am 24. März entschieden, dass Marlon zwar die Schule wechseln darf, nicht aber zurückgestuft wird. Schon am 27. März erhält die Familie ein Schreiben von der Bezirksregierung, in der sie aufgefordert wird, den Sohn unverzüglich wieder zur Schule zu schicken, andernfalls drohe ein Zwangsgeld bis zu 100.000 Euro. Fatal für das Rechtsempfinden &bdquo;Acht Wochen lang hat sich niemand darum geschert, ob Marlon zur Schule geht oder nicht und jetzt diese Drohung", sagt Stefan Bramhoff. Man habe daraufhin intensive Gespräche mit Marlon führen müssen, um ihn zum Schulbesuch zu überzeugen. &bdquo;Denn natürlich ist das fatal für das Rechtsempfinden eines jungen Menschen. Marlon musste erleben, dass eine Behörde sich nicht an einen Gerichtsbeschluss hält. Jetzt fragt er sich doch, warum muss ich mich dann daran halten", erklärt sein Vater. Der ist nun sauer auf Behörden und Gerichte. Er habe null Verständnis dafür, dass die Bezirksregierung ohne Konsequenzen einen Gerichtsbeschluss ignorieren durfte. "Natürlich hat das Auswirkungen auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes gehabt. Denn ich glaube nicht, dass die Richter Marlon wieder aus der Klasse genommen hätten, wenn er erst einmal in die Einführungsstufe der Gesamtschule gegangen wäre", sagt Stefan Bramhoff. Möglicherweise Nötigung Eine Sprecherin der Bezirksregierung erklärte auf Anfrage, warum Detmold einen Gerichtsbeschluss nicht ausgeführt habe: "Mittlerweile hat das Oberverwaltungsgericht Münster der Entscheidung der Bezirksregierung Detmold Recht gegeben. Grundsätzlich ist ein Schulformwechsel innerhalb eines laufenden Schuljahres nicht zulässig. Ausnahmen sind immer Einzelfallentscheidungen. Wechsel der Jahrgangsstufe und Wiederholungen regeln sich nach der &bdquo;Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der Gymnasialen Oberstufe". Auf die erneute Nachfrage, warum sich die Bezirksregierung nicht an die klare Anweisung des Gerichts gehalten habe, antwortete die Sprecherin: "Die Bezirksregierung Detmold ist verpflichtet, sich an Recht und Gesetz zu halten. Diesem Auftrag kommt die Behörde nach. Die Bezirksregierung hat den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden ausgewertet und die notwendigen Schritte zur Umsetzung eingeleitet. Gleichzeitig hat sie Rechtsmittel eingelegt. Der Einschätzung der Bezirksregierung hat das Oberverwaltungsgericht Münster Recht gegeben, bevor der Beschluss des Verwaltungsgerichtes umgesetzt werden konnte." Ziel: Schlecht sein, um zu wiederholen Der rechtliche Vertreter der Familie, der Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Wolfgang Wesener, lässt diese Argumentation nicht gelten. "Mit ein bis zwei Tagen Verzögerung hätte der Gerichtsbeschluss zwingend umgesetzt werden müssen", sagt er. In der Tatsache, dass die Bezirksregierung über zwei Wochen verstreichen ließ, sieht er vielmehr eine "Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze". Und die Anweisung an die Schulleiterin, Marlon trotz Gerichtsbeschlusses nicht in die Einführungsstufe aufzunehmen, könne sogar den Straftatbestand der Nötigung erfüllen, sagt der Fachanwalt. "Diejenigen, die das angeordnet haben, müssen, wenn nicht strafrechtlich, zumindest dienstrechtlich zur Verantwortung gezogen werden", erklärt er weiter. Seit vergangenen Mittwoch geht Marlon nun wieder zur Schule. Mit der Bürde, acht Wochen verpasst zu haben und nun auf der Gesamtschule mit ein Jahr Älteren lernen zu müssen. &bdquo;Die Vorgabe ist jetzt klar. Marlon muss so schlecht sein, dass er die Jahrgangsstufe anschließend wiederholen kann", sagt sein Vater. Das ist doch einmal ein Ziel.

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