Autofahrerin droht, in Gütersloher Läufer zu fahren: „Verhalten ist kein Einzelfall“

Gütersloh. Bei gleich zwei Sportveranstaltungen in Gütersloh ist es in den vergangenen Wochen zu traurigen Zwischenfällen gekommen. Eine Frau hat während eines Firmenlaufs am Mittwoch, 5. September, aufgrund einer Straßensperre damit gedroht, in die Läufermenge zu fahren. Sie löste einen Polizeieinsatz aus. Einen Tag später hat ein junger Mann der Neuen Westfälischen über ähnliche Erfahrungen berichtet, die er als Streckenhelfer beim großen Radsport-Ereignis der Deutschland-Tour Ende August in Gütersloh gemacht hat. Der 48-Jährige möchte aus Selbstschutz anonym bleiben und sagt: &bdquo;Solch ein Verhalten ist leider kein Einzelfall – auch in Gütersloh nicht.“ Der 21. August ist ein sonniger Donnerstag, der für Radsport-Fans in Ostwestfalen ein besonderes Highlight bereit hält. Rund 150 Profis sind während des renommierten Etappenrennens auf dem Weg von Essen nach Herford. Sie durchqueren dabei den Kreis Gütersloh. Das ZDF überträgt live. Fahrerin mit Paderborner Kennzeichen wollte die Sperre ignorieren Der durchschnittlich zwischen 40 und 45 km/h schnelle Tross wird begleitet von Hubschrauber, Polizei, Motorrädern und Teamfahrzeugen. Überall sind Straßen gesperrt. &bdquo;Ich war als freiwilliger Helfer im Bereich Spexard, Am Hüttenbrink, eingesetzt“, erzählt der Betroffene, &bdquo;und musste mich gegen aufgebrachte Autofahrer zur Wehr setzen.“ Ein dem Feld vorausfahrendes Polizeieinsatzfahrzeug mit roter Flagge dient den Streckenposten als Signal dafür, die Straße mit Warnbaken und Schrankenzaun für die Tour abzusperren. Nachdem der Gütersloher, unterstützt von seiner Tochter (15), am Fraunhofer Weg die Sperre aufgestellt hat, kommt es in zwei Fällen zum Eklat. Die Fahrerin eines Pkw mit Paderborner Kennzeichen hat offenbar einen dringenden Termin und will die Sperre ignorieren. &bdquo;Sie rief mehrmals Ich fahr Euch um, bedrohte die Zuschauer, meine Tochter und mich“, schildert der Streckenposten. Schock beim Gütersloher sitzt auch Tage später noch tief Zunächst sei die wütende Autofahrerin mit ihrer Tochter an Bord immer noch ein Stück weiter gefahren, berichtet der hauptberufliche Feuerwehrmann. Dann stellt er sich vor den Pkw. &bdquo;Wir wurden bedrängt und überschüttet mit Beleidigungen und Bedrohungen.“ Lesen Sie auch: Radsport-Prominenz zu Gast: Hotel im Kreis Gütersloh erfüllt spezielle Anforderungen Auch der Fahrer eines hellen SUV mit Gütersloher Kennzeichen gerät ob der Streckensperrung in Rage. Auf einem Video, das der Neuen Westfälischen vorliegt, hört man deutlich das Wort &bdquo;Bastarde“ und die Drohung: &bdquo;Ich schwöre bei Gott, ihr werdet Euer blaues Wunder erleben.“ &bdquo;Gemeinsam mit den Zuschauern konnten wir letztlich ein Einfahren der beiden Pkw in die Fahrtstrecke verhindert. Als alle vorbei waren, sind sie mit quietschenden Reifen davongefahren“, erklärt der 48-jährige. Doch der Schock über das Verhalten sitzt auch Tage danach noch tief. Auf eine Anzeige hat der Gütersloher verzichtet, da er Sorge vor Repressalien hat. Gespräche mit der für ihn zuständigen Person der Ordner-Organisation in Spexard seien ergebnislos verlaufen. Einsatzabschnitts-Koordinator ist überrascht von der Rückmeldung &bdquo;Ich habe keine derartige negative Rückmeldung bekommen und bin überrascht“, erklärt Malte Beversdorff. Der 39-jährige Zollbeamte ist als Einsatzabschnitts-Koordinator bei der Deutschland-Tour der Gesamtverantwortliche für den 28 Kilometer langen Streckenverlauf durch den Kreis Gütersloh gewesen. Bei den Einweisungen der Ordner habe man immer wieder darauf hingewiesen, dass &bdquo;keiner Superman spielen“ solle. &bdquo;Generell gilt: Wenn jemand durchbricht, dann gehe ich an die Seite, notiere das Kennzeichen und rufe die 110 an.“ Es sei schade, dass er erst jetzt von dem Vorfall höre, sagt Beversdorff und bietet dem Streckenposten eine Kontaktaufnahme an. Der aktive Radsportler des RSV Gütersloh berichtet selbst von häufigen Reaktionen genervter Autofahrer über Streckensperren. Freiwillige Helfer würden häufig den Unmut zu spüren bekommen. Bielefelder Konfliktforscher äußert sich zu den Vorfällen Das Fell vieler Menschen ist dünner geworden. Seit der Corona-Pandemie nehmen Spannungen und Gewalt gefühlt zu. &bdquo;Wir sehen seit 2021 einen kontinuierlichen Anstieg, etwa von polizeilich erfassten Gewaltdelikten. Allerdings ist es schwer, belastbare Zahlen für spezifische Bereiche zu bekommen“, sagt Jonas Rees. Der Konfliktforscher verweist zudem darauf, dass während der Pandemie das alltäglich Leben weitgehend eingeschränkt war und es dadurch mit Ausnahme von häuslicher Gewalt weniger Gelegenheiten für physische Auseinandersetzungen gab. Als Mitarbeiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld beschäftigt sich Jonas Rees aktuell auch mit einem Forschungsprojekt zur Gewalt gegen Bahnbeschäftigte. &bdquo;Wir wissen aus der Forschung, dass es dabei insbesondere in Kontrollsituationen zu Vorfällen kommt. Wir sehen auch, dass der Tageszeitpunkt eine Rolle spielt“, schildert der Professor für politische Psychologie. Besonders nachmittags und am Wochenende würden sich Fälle häufen. Lesen Sie auch: Stars der Tour de France in Gütersloh: Diese Highlights bietet die Deutschland Tour Dafür, dass sich Menschen immer wieder über Regeln, Verbote oder Absperrungen hinwegsetzen, seien viele Faktoren ursächlich und Frustration spiele eine wichtige Rolle. &bdquo;Das Erleben von Frustration erhöht die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens. Wenn einem buchstäblich etwas in den Weg gestellt wird – also in den vorliegenden Fällen etwa die Absperrungen – erlebt man eine physische Frustration, die das Risiko für Gewalt erhöht.“ Die Gesellschaft sei derzeit in einem &bdquo;gestressten Dauerzustand“ Ein weiterer Ansatz, weshalb gewisse Situationen zu aggressivem Verhalten führen, erkläre Gewalt durch das Zusammenspiel von individueller Veranlagung und situativen Faktoren. &bdquo;Wir Menschen bringen Veranlagungen mit, die es mehr oder weniger wahrscheinlich machen, dass wir aggressiv reagieren.“ Der zunehmende Stress und die Reaktionen spielen ebenso eine Rolle. &bdquo;Aktuell befindet sich die Gesellschaft doch in einem gestressten Dauerzustand. Es geht von einer Krise in die nächste“, sagt der Konfliktforscher. In beiden Fällen in Gütersloh ist im Endeffekt nichts Schlimmeres passiert. Jonas Rees mahnt jedoch tunlichst davor, die Vorkommnisse als belanglos abzutun. &bdquo;Ich finde es bedenklich, wenn wir das Phänomen der Gewaltandrohung normalisieren. Es kann und darf nicht normal sein, Konflikte so zu lösen.“

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