Gütersloher Ex-Schulleiter erklärt: Deshalb sind Mädchen in der Schule besser als Jungen

Herr Rotthaus, statistischen Angaben zufolge haben 1990 erstmals mehr Mädchen als Jungen in NRW Abitur gemacht. Seit inzwischen 35 Jahren hat sich daran nichts geändert. Schön für die Mädchen, oder sollten wir uns Sorgen um die Jungs machen? AXEL ROTTHAUS: Schön, dass die Benachteiligung der Mädchen aufgehoben ist. Noch 1965 machten etwa doppelt so viele Jungen Abitur wie Mädchen. Lange herrschte die Haltung, dass sich das Abitur für Mädchen nicht lohnt, weil auf sie ein Leben als Ehefrau und Mutter wartete und nicht ein Leben als Wissenschaftlerin. Zehn Jahre später herrschte bundesweit Gleichstand und in den letzten Jahren liegen die Mädchen, wie Sie schon sagten, vorn. Natürlich bedeutet das auch, dass wir darüber nachdenken müssen, was wir für die Jungen tun können. Einen grundsätzlichen Begabungsunterschied halte ich für unwahrscheinlich. Es ist wohl eher so, dass Mädchen alles in allem mehr von der Ausbildung in der Schule profitieren. Mädchen haben aufgrund ihrer Erziehung und aufgrund von Rollenstereotypen Vorteile. Auf welche Vorteile spielen Sie an? Ihr Arbeitsverhalten ist besser, Mädchen machen zum Beispiel regelmäßiger ihre Hausaufgaben, sie sind eher bereit, eigene Bedürfnisse zurückstellen und können besser selbstgesteuert lernen. Außerdem lösen sie Konflikte häufiger konstruktiv. So erhalten sie positive Rückmeldungen zu ihrer Person – das motiviert sie dann, sich weiter anzustrengen. Jungen lernen eher, sich körperlich durchzusetzen und Vorgaben infrage zu stellen – damit stoßen sie bei ihren Lehrerinnen und Lehrern selten auf Gegenliebe. Ein Mädchen, das einen guten Text für Englisch schreibt, kommt besser weg als der Junge, der beim Gamen zwar stundenlang Englisch chattet, darüber aber vergisst, seine Hausaufgaben zu machen. Das klingt, als ob Schule das klassische &bdquo;brav sein“ belohnt. Wer nicht nervt, kommt besser ins Ziel? Mädchen bekommen bessere Noten – die Frage ist, ob der Grund dafür eher ihr in der Schule erwünschtes Verhalten ist oder ob sie tatsächlich bessere Kompetenzniveaus erreichen. Internationale Vergleichsstudien wie Pisa zeigen, dass Mädchen auch international bessere Leseleistungen erzielen. Sie tun sich leichter damit, Texte zu verstehen, sie zu strukturieren und zu analysieren. Das hilft nicht nur im Deutschunterricht, sondern in vielen anderen Fächern, in denen mit Texten gearbeitet wird. Lesen Sie auch: 1.300 Zuschauer bei Abi-Duell im Gütersloher Heidewald – bekannte Unternehmer im Publikum Die Jungen schneiden traditionell in Mathematik und zum Teil in den Naturwissenschaften besser ab. Der Abstand ist den letzten Jahren allerdings geringer geworden. Das ist wohl mit den Angeboten der Schulen und Hochschulen zu erklären, mehr Mädchen und Frauen für die MINT-Fächer zu gewinnen. Hilft es in der Schule, brav zu sein? Wahrscheinlich schon. Schülerinnen und Schüler, die sich an die Regeln halten, im Unterricht mitarbeiten, ihre Hausaufgaben machen und die Vokabeln lernen, sammeln Pluspunkte und das zu Recht. Ich würde aber auch davon ausgehen, dass Schülerinnen und Schüler, die Konflikte konstruktiv lösen, die Kritik und Änderungswünsche so vortragen, dass alle Beteiligten das Gesicht wahren können, bei den Noten insgesamt besser wegkommen. Jungen erhalten im Unterricht häufiger positives Feedback und die die Anerkennung der Gleichaltrigen, wenn sie den Ablauf stören. Das kann ein Verhalten verstärken, das auch unabhängig von der objektiven Leistung zu schlechteren Noten führt. Zahlenmäßig sind die Mädchen den Jungs beim Abitur überlegen, sind sie es auch qualitativ bei den Noten? Ja, es machen mehr Mädchen das Abitur und sie erreichen die besseren Ergebnisse: Laut amtlicher Schulstatistik lag in den letzten Jahren der Anteil der Abiturientinnen bei etwa 55 Prozent. Im Abiturdurchgang 2022/23 betrug der Durchschnitt für die Mädchen 2,3, der der Jungen 2,5. Abschlussjahrgänge 2025 im Kreis Gütersloh: Alle Fotos und Namen im großen Überblick 13,4 Prozent der Abiturientinnen und damit mehr als jede achte erreichten einen Notendurchschnitt von 1,4 oder besser. Bei den Jungen waren es 9,5 Prozent, also knapp jeder zehnte. Das entspricht auch meinen persönlichen Erfahrungen: Als Schulleiter habe ich immer mehr Mädchen als Jungen für besonders gute Leistungen im Abitur beglückwünscht. Die Mädchenschule gehört der Vergangenheit an. Aber ist es aus ihrer Sicht eigentlich völlig abwegig, geschlechterspezifisch zu unterrichten, um Mädchen und Jungen gerechter zu werden? Ich habe mein Abitur selbst an einem Knabeninstitut gemacht und bin froh, dass Jungen und Mädchen heute gemeinsam zur Schule gehen. Das ist, finde ich, fast immer alternativlos. Die kleine Einschränkung bedeutet: Die komplexen Gruppenprozesse in einer Klasse können es in Einzelfällen sinnvoll erscheinen lassen, Jungen und Mädchen für eine gewisse Zeit zum Beispiel im Sportunterricht zu trennen. Unter dem Vorzeichen der Mädchenförderung wird gelegentlich vorgeschlagen, Schülerinnen in den Naturwissenschaften in reinen Mädchengruppen zu unterrichten. Unter diesen Bedingungen, so wird argumentiert, werden geschlechtsspezifische Stereotype weniger wirksam und die Mädchen können sich besser entwickeln. Lesen Sie auch: Größte aramäische Gemeinde Deutschlands kämpft in Gütersloh für bundesweit neues Abi-Fach Mein Eindruck ist, dass Mädchen stark genug sind, sich in gemischten Gruppen zu behaupten. Als Mathematikerinnen und Physikerinnen an der Universität und im Beruf werden sie sich später auch in einem Umfeld bewegen, in dem – jedenfalls derzeit noch – die Männer deutlich in der Überzahl sind.

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