Karrierechancen im Kreis Gütersloh: Experte gibt Einblick in den Arbeitsmarkt

Herr Hübenet, wie ist die Lage am Ausbildungsmarkt im Kreis Gütersloh? Frank Hübenet: Die Lage hat sich etwas entspannt. Wir haben einen leichten Zuwachs bei den Bewerberinnen und Bewerbern um duale Ausbildungsstellen und einen stabilen Ausbildungsmarkt. Das heißt, wir haben nach wie vor gute Chancen für Bewerberinnen und Bewerber, eine betriebliche Ausbildung zu bekommen. Wir nennen das einen bewerberfreundlichen Ausbildungsmarkt. Wie ist die Zuschreibung &bdquo;bewerberfreundlich“ zu verstehen? Die Chancen sind gut, eine Ausbildungsstelle zu bekommen, wenn man realistische Berufswünsche hat. Dazu gehört auch, entsprechende Alternativen wahrzunehmen beziehungsweise man sollte auch willens sein, den ein oder anderen Kompromiss zu machen. Was sind in solchen Fällen realistische Vorstellungen? Wir haben bei uns eine Zumutbarkeitsgrenze. Die Zumutbarkeitsgrenze für junge Bewerber bei der Wegzeit zur Ausbildungsstätte beträgt etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten unter Berücksichtigung aller Warte- und Umstiegszeiten im öffentlichen Verkehr. Lesen Sie auch: Studium, Ausbildung und Co. - Gütersloher Schüler sprechen über die Zeit nach dem Abi Jugendliche sind jedoch nicht gezwungen, Vorschläge anzunehmen, und können Bewerbungen ohne Zwang ablehnen. Als Faustregel gilt, dass eine Gesamtwegzeit von bis zu zweieinhalb Stunden pro Tag als zumutbar angesehen wird. Für einen jungen Menschen aus Gütersloh wäre also eine Ausbildungsstelle in Herne zumutbar? Das ist sportlich, wäre aber gerade noch im Rahmen der Zumutbarkeit. Apropos ausbildungsfreundlicher Markt. Steigen wir mal in das konkrete Zahlenwerk ein. Wie stellt sich der Ausbildungsmarkt im Kreis Gütersloh in Zahlen dar? Wir messen immer von September zu September in Einjahresintervallen. Im vergangenen Intervall von September 2023 bis September 2024 kamen im Kreis Gütersloh 146 unversorgte Bewerber auf 278 unbesetzte Ausbildungsstellen. Zum Vergleich: In Bielefeld kamen im selben Zeitraum 187 unversorgte Bewerber auf 174 unbesetzte Ausbildungsstellen. Im Vorjahr gab es im Kreis noch über 400 unbesetzte Ausbildungsstellen. Das stimmt. Viele Stellen konnten dieses Mal im Vorfeld besser besetzt werden. Die Zahl der unversorgten Bewerber ist ungefähr gleich geblieben. Das liegt unter anderem daran, dass Stellen von manchen Unternehmen zurückgezogen wurden. Wenn diese Unternehmen Passungsprobleme mit den, von ihnen angebotenen Stellen, haben, entscheiden sie sich dann lieber ein bis zwei Jahre zu warten und erst mal keinen Jugendlichen einzustellen. Gleichzeitig geht die Gesamtzahl der Ausbildungsbetriebe leicht aber stetig zurück. Wie ist das zu bewerten? Das ist schon so. Die Anzahl der Ausbildungsplätze ist bundesweit und im Kreis Gütersloh in den letzten 15 Jahren zurückgegangen, was unter anderem auf die Zunahme von Studierenden und schulischen Bildungswegen zurückzuführen ist. Einige Betriebe stellen aufgrund des Mangels an Auszubildenden eher Beschäftigte ein, anstatt auszubilden. Lesen Sie auch: Trotz Abi: 19-Jähriger aus Kreis Gütersloh entscheidet sich für Ausbildung statt Studium Trotzdem hat der Kreis Gütersloh mit einer Ausbildungsbetriebsquote von 25 Prozent - über dem nordrhein-westfälischen Durchschnitt von rund 20 Prozent – immer noch eine gute Position. Auch der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Jugendlichen in Ausbildungsverhältnissen ist mit 4,9 Prozent ähnlich hoch wie im NRW-Durchschnitt, was auf eine insgesamt stabile Lage im Kreis Gütersloh hinweist. Wenn auf einen Bewerber zwei Ausbildungsstellen kommen, dann ist das Matching, also das Zusammenführen beider Parteien, sicherlich besonders wichtig, oder? Ja und das ist wirklich eine schwierige Arbeit. Es gibt eine Diskrepanz zwischen verfügbaren Ausbildungsplätzen und suchenden Bewerbern, wobei häufig in denselben Berufsfeldern sowohl unbesetzte Stellen als auch unvermittelte Bewerber existieren. Das ist zum Beispiel im Einzelhandel der Fall. Um diese Passungsprobleme zu beheben, ist es notwendig, mit jungen Menschen, Betrieben und weiteren Akteuren im Netzwerk zusammenzuarbeiten und Defizite zu identifizieren. Manchmal mangelt es an der Bildung oder Einstellung auf der einen Seite und an Flexibilität im Umgang mit Jugendlichen auf der anderen Seite. Beide Seiten müssen lernen, aufeinander zuzugehen und sich kennenzulernen. Praktika und der direkte Kontakt nach der Schule sind wichtige Elemente, um diesen Prozess zu fördern, da reine Online-Portale nicht ausreichen. Wie sieht so eine Maßnahme konkret aus? Da gibt es verschiedene Ansätze. Wir haben ein sehr umfangreiches Förderportfolio für junge Leute, damit sie Betriebe kennenlernen können. Wenn ein Betrieb beispielsweise Interesse an einem Jugendlichen hat, aber für das aktuelle Jahr bereits Auszubildende gefunden hat, kann eine Einstiegsqualifikation vereinbart werden. Dabei erhält der Arbeitgeber einen Zuschuss und zahlt dem Jugendlichen eine Praktikumsvergütung. Der Jugendliche wird wie ein Auszubildender behandelt, besucht die Berufsschule und lernt den Beruf kennen. Gleichzeitig kann der Betrieb prüfen, ob der Jugendliche ins Unternehmen passt und ihn eventuell im nächsten Jahr als Auszubildenden einstellen. Dieses Kennenlern-Programm kann zwischen vier und zwölf Monaten dauern und bietet beiden Parteien eine langfristige Möglichkeit, sich auf eine Zusammenarbeit einzulassen. Wie wird das Programm angenommen? Sehr gut, tatsächlich. Die Initiative zur Suche eines Ausbildungsbetriebs kann sowohl von den Ausbildungsplatzsuchenden als auch von den Betrieben ausgehen. Die Agentur für Arbeit bietet Unterstützung und Tipps, wie man Betriebe ansprechen kann, und nutzt dabei Netzwerke wie die Handwerkskammer oder die IHK. Interessierte Jugendliche oder deren Eltern können Betriebe direkt kontaktieren und auf die mögliche Unterstützung durch die Agentur hinweisen. Wichtig ist, dass der Betrieb ein anerkannter Ausbildungsbetrieb ist und dem Jugendlichen eine echte Chance bietet, nicht nur als gering bezahlter Praktikant. Die Ausbildung soll gemäß der Ausbildungsverordnung verlaufen. Es gibt auch Hilfesysteme, wie die Berufseinstiegsbegleitung, die bereits während der Schulzeit ansetzen. Die Arbeit wird zur Hälfte vom Land und von der Agentur für Arbeit finanziert. Wie funktioniert das? Wenn zusätzliche Finanzierungsmittel wie aktuell vom Land verfügbar sind, bietet die Agentur für Arbeit an ausgewählten Schulen in Absprache mit den Schulämtern Berufseinstiegsbegleitung an. Diese beginnt in der 9. Klasse zum Halbjahr und unterstützt Jugendliche, die Schwierigkeiten beim Erreichen des Schulabschlusses oder beim Übergang in eine Ausbildung haben könnten. Zusätzlich gibt es Berufsberater und Übergangscoaches an vielen Schulen, wie zum Beispiel in Gütersloh, wo Übergangscoaches an allgemeinbildenden Schulen tätig sind. Diese arbeiten eng mit den Schulen und der Agentur für Arbeit zusammen, um Jugendlichen dabei zu helfen, Stolpersteine auf dem Weg in die Ausbildung aus dem Weg zu räumen und passende Berufsentscheidungen zu treffen. Diverse Unterstützungssysteme sind speziell für Schüler der 9. und 10. Klassen im Einsatz. Dieses Projekt wird es aller Wahrscheinlichkeit nach im kommenden Jahr nicht geben, weil das Land diese Leistung zur Kofinanzierung aus dem Haushalt streichen möchte, ist das richtig? Ja, ich denke, für das nächste Jahr ist der Hammer gefallen. Aktuell gibt es eine Maßnahme zur Berufseinstiegsbegleitung für 105 Jugendliche in 7 Schulen des Kreises, darunter hauptsächlich Förderschulen und spezifische Schulen wie die Geschwister Scholl Realschule in Gütersloh und die CJD-Sekundarschule im Nordkreis. Die Jugendlichen werden seit der neunten, Klasse unterstützt und die Begleitung setzt sich fort, bis sie eine Ausbildungsperspektive haben, und auch während der Ausbildung, um die Eingliederung in das Ausbildungsverhältnis zu festigen. Lesen Sie auch: Diskriminierung bei Bewerbung im Kreis Gütersloh: Trans-Person erzielt Teilerfolg Die Finanzierung der Berufseinstiegsbegleitung erfordert Kofinanziere und ist, wie gesagt, für das nächste Jahr noch nicht gesichert. Das gilt nur für die Berufseinstiegsbegleitung. Die Arbeit der Coaches ist nicht gefährdet und ist nicht von den finanziellen Kürzungen betroffen. Zerschlägt man so nicht eine funktionierende Struktur? Eindeutig ja. Die Arbeit muss aufgefangen werden. Das wird nicht einfach werden. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten direkt an den Schulen, sie haben dort ihre Büros, die Jugendlichen sind in den Pausen da und bauen Beziehungen auf zu den Coaches auf. Wenn das wegfällt, dann können wir oder die Schulsozialarbeit das nicht leisten. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Zahlen zu den Ausbildungsabbrüchen stetig steigen. Mittlerweile brechen 30 Prozent der Auszubildenden ihre Ausbildung ab. Es besteht die Hoffnung, dass die Berufseinstiegsbegleitung möglicherweise ab 2026 in irgendeiner Form wiederbelebt werden könnte, wenn alternative Finanzierungsmöglichkeiten gefunden werden. Wünschenswert wäre es jedenfalls.

Meistgelesen