Unternehmen Miele aus Gütersloh in Brüssel: So könnte das Kochen der Zukunft aussehen

Gütersloh. &bdquo;Wir wissen doch auch nicht, was kommt. Aber es ist gut, vorbereitet zu sein.“ Man könnte meinen, das Gespräch mit Andreas Enslin beginnt mit einer Lüge. Er weiß sehr wohl, was kommen wird. Und wüsste er es nicht, würde er einen schlechten Job machen. Der 65-Jährige ist Chef-Designer bei Miele. Er führt ein Team mit rund 50 Mitarbeitern und aktuell 185 Projekten. Keines davon spielt in der Gegenwart, Enslin ist immer einen Schritt weiter. Bringt Miele ein neues Produkt auf den Markt, ist es für ihn schon das Alte. &bdquo;Wir planen zehn Jahre im Voraus.“ Ein Ort, an dem diese Planung erfolgt, ist das Miele Cooking Lab im Brüsseler Forschungshub Living Tomorrow. Es ist ein Schaufenster zur Zukunft, eine innovative und kreative Schnittstelle zwischen Marken und Nutzern. Kurzum: ein Umschlagplatz visionärer Ideen, von insgesamt 80 Firmen. Mit rund 150.000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr zählt die Brüsseler Innovationsplattform zu den meistbesuchten Forschungshubs weltweit. Im Cooking Lab zeigt Miele prototypisch, wie das Kochen künftig aussehen und wie neue Technologien das Kochen erleichtern können. Es verbindet digitale Hightech und Künstliche Intelligenz mit aktuellen Küchengeräten des Unternehmens. Assistenzsysteme leiten beim Kochen an und werden multimodal per Sprache, mit Gesten, über ein Tablet oder eine Touchoberfläche auf der Arbeitsplatte bedient. Das Abwiegen von Zutaten geschieht über eine Waage im Kochfeld. Tagsüber Versuchsküche, abends Edel-Restaurant &bdquo;Wir scheitern billig“, erklärt Andreas Enslin. Wenn in diesem Versuchslabor etwas nicht funktioniert, wird es für einige hundert Euro geändert oder ersetzt. In der Serienproduktion später geht es um Millionen. Bis dahin ist also eine gründliche Vorentwicklung geboten. Lesen Sie auch: Miele-Expertin aus Gütersloh teilt drei Tipps gegen Waschmaschinen-Pannen Der Ausblick ist atemberaubend. Das Cooking Lab befindet sich auf Etage Nummer zwölf. Die breite Glasfront erlaubt einen weiten Blick über Brüssel. &bdquo;Sapor“ steht am Eingang. Es ist das Restaurant von Marc Clément. Wenn das Food Lab Feierabend hat, beginnt die Arbeit des belgischen Spitzenkochs. Er kocht am Abend mit denselben Geräte-Prototypen, um seine Gäste zu bewirten. Es heißt, er sei restlos ausgebucht. Wie sieht die Küche der Zukunft aus? Auf den ersten Blick – rein oberflächlich – nicht ganz viel anders als heute: Arbeitsfläche, Kochfeld, Backofen, Dampfgarer. Aber Kochen wird mehr und mehr als umfassender Prozess verstanden, angefangen bei Ernährungsfragen über die Erstellung von Wochenspeiseplänen bis zur Anleitung bei der Speisenzubereitung. Assistenzsysteme erstellen Speisepläne und kennen Unverträglichkeiten Dabei unterstützen maßgeblich zwei Assistenzsysteme den Menschen. Im Food Lab heißen sie &bdquo;Nutrition Assistant“ und &bdquo;Cooking Companion“. Beide sind Prototypen, die über die Miele Cloud gesteuert werden und mit Funktionen ausgestattet sind, von denen einige schon in wenigen Jahren serienreif sein könnten. Die Vision des Nutrition Assistants: Er ist der Planer im Küchenszenario und kennt die Familienmitglieder, ihre Lieblingsrezepte, aber auch Unverträglichkeiten für bestimmte Lebensmittel oder Diäten, die eingehalten werden sollen. Der Nutrition Assistant erstellt Wochenspeisepläne und berücksichtigt, welche Familienmitglieder jeweils an den Mahlzeiten teilnehmen wollen. Dem Anspruch als Assistent für Ernährung wird er mit einem weiteren Detail gerecht: Auf Wunsch wertet er die Vital- und Aktivitätsdaten des Nutzers aus und kreiert daraus einen individuellen Wochenspeiseplan. &bdquo;Das Schwierigste beim Kochen ist, alles auf einen Punkt fertig zu bekommen. Das kennt jeder“, erklärt Matthias Stahl. &bdquo;Dieses Problem gibt es mit dem Kochassistenten quasi nicht mehr.“ Stahl ist Industrie-Designer und gehört zum Team von Andreas Enslin. Alles im Cooking Lab ist ihm vertraut. Unzählige Stunden hat er hier verbracht gemeinsam mit Systemarchitekt Nils Neumann, der die Softwareprogrammierung koordiniert. Im Cooking Lab interagieren Mensch und Software miteinander &bdquo;Man muss sehr weit nach vorne denken“, erklärt Matthias Stahl, &bdquo;was müssen die Geräte dem Anwender künftig bieten?“ Im Miele Cooking Lab interagieren Mensch, Maschine und Software miteinander. Zeigt das Tablet den nächsten Rezeptschritt &bdquo;Hähnchen 30 Minuten in den Backofen bei 200 Grad“ öffnet sich im Hintergrund bereits die Ofentür. Temperatur und Zeit sind fertig programmiert. Lesen Sie auch: Miele-Sprecher verlässt Gütersloher Unternehmen nach über 15 Jahren: Nachfolger steht fest Als lernendes System kennt der Cooking Companion die Fähigkeiten der Köchinnen und Köche im Haushalt und passt sich kontinuierlich an deren individuelles Arbeitstempo an. &bdquo;Mit so einem intelligenten System kann in Zukunft jeder in seiner Küche gute, gesunde Speisen viel leichter zubereiten – unabhängig von Alter oder Vorwissen“, sagt Andreas Enslin. &bdquo;Künstliche Intelligenz hilft den Ablauf leichter, flexibler und intuitiver zu halten, sie balanciert alles aus. Vor allem passt sie auf, dass nichts anbrennt oder überkocht und steuert den Kochprozess so, dass ein Menü zur gewünschten Zeit fertig wird.“ Während die einen den digitalen Komfort feiern, wittern andere ein Konzept der Bevormundung. Systemarchitekt Nils Neumann kennt die Diskussion und weiß: &bdquo;Nutzer wünschen sich größtmögliche Freiheiten, wollen kreativ sein. Die wollen wir auf jeden Fall erhalten oder sogar erweitern.“ Miele kooperiert mit der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo Aber die Anwendung solcher Koch-Assistenzen ist eine Frage der Perspektive. Mögen manche gesunde Menschen dankend ablehnen, könnte die Assistenz für Menschen mit geistigen, psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen ein Segen sein. Miele kooperiert diesbezüglich mit der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo. In einer Wohnanlage in Detmold hilft der digitale Koch- und Ernährungsassistent seit 2018 in der Gemeinschaftsküche der Einrichtung. Seither kocht das Miele-Entwicklerteam mehrmals pro Jahr mit den Bewohnern. Beim assistierten Kochen bekommen Stahl und Neumann regelmäßig wertvolles Feedback. Auch ältere Menschen mit Demenz könnten profitieren, weil sie länger selbstständig in ihrer Wohnung leben können. &bdquo;Und was speziellen Zielgruppen hilft, hilft allen“, ist sich Matthias Stahl sicher. &bdquo;Die Technik entwickelt sich extrem schnell. Menschen nicht. Die bleiben lieber bei ihren Gewohnheiten“, sagt Chef-Designer Andreas Enslin. &bdquo;Wir sind heute im Designbereich in der komfortablen Situation, uns aufs Design konzentrieren zu können. Es gibt immer weniger Einschränkungen durch die Technik.“ Vielmehr gehe es um die Frage, wie vermittle ich den Nutzen einer technischen Lösung und was nehmen Menschen davon an. Die Technik wandert unter die Arbeitsfläche Ob die Prototypen aus dem Miele Cooking Lab jemals auf den Markt kommen, ist am Ende fraglich. Das Induktionskochfeld mit eingebauter, digitaler Waage ist aus heutiger Sicht eine Errungenschaft – aber die Entwicklung ist schon weiter. &bdquo;Die Technik wandert unter die Arbeitsfläche“, ist sich Enslin sicher. Also eine Arbeitsfläche ganz ohne sichtbares Kochfeld? &bdquo;Ja.“ Oder gar ein normaler Tisch, den man zum Kochfeld machen kann? &bdquo;Ja“, der erfahrene Designer hat keinen Zweifel. &bdquo;Das haben wir schon 2012 als Studie gezeigt.“ Und ergänzt: &bdquo;Was kostet ein Quadratmeter Wohnfläche in München? Wir geben mit derlei integrierter Technik dieser Entwicklung von Geräten belegten Wohnraum an unsere Kunden zurück.“ Lesen Sie auch: Unternehmen Miele in Gütersloh: Schwerbehinderte von Umstrukturierung betroffen Morgen ist es die Koch-Assistenz, übermorgen die Haushalts-Assistenz, denn die Möglichkeiten der digital vernetzten Geräte ist längst nicht ausgeschöpft. Energieeffizienz gewinnt an Bedeutung. &bdquo;Haushaltsgeräte machen statistisch rund 40 Prozent vom Gesamtstromverbrauch eines jeden Haushalts aus“, weiß Enslin. &bdquo;Wir müssen also vom Haus aus denken. Es heißt ja schließlich auch Hausgeräte“, man könne, so Enslin, künftig nicht mehr das eine ohne das andere planen, die Geräte müssten beim Hausbau mitgedacht werden. Serviceroboter im Voco Hotel unterwegs Es gibt ein weiteres Projekt, das Miele im Voco Hotel verwirklicht, das sich über mehrere Etagen des Living-Tomorrow-Gebäudes erstreckt. An der Rezeption und auf den Hotelfluren sind Serviceroboter für die Gäste unterwegs. Die autonom fahrenden Prototypen betätigen sich als Kofferträger und sind mit Schubladen für den Zimmerservice ausgestattet: Der Hotelgast bestellt per App, der Roboter wird in Back-Office oder Küche des Hotels mit der gewünschten Bestellung beladen und kündigt seine Ankunft auf dem Smartphone des Gastes an. Vorbild für die Serviceroboter sind die selbstfahrenden Logistik-Roboter im Gütersloher Waschmaschinenwerk. Lesen Sie auch: Miele, Bertelsmann und Co.: Diese zehn Top-Unternehmen kommen aus Gütersloh Das Cooking Lab mit identischen Geräten hat Miele inzwischen auch in Gütersloh installiert. &bdquo;Wir können ja nicht immer nach Brüssel fahren“, erklärt Enslin mit besonnenem Schmunzeln. Miele hat sich vorbereitet. Man weiß halt nie, was kommt.

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