Unruhe in Gütersloh – verkommt der Bürgermeister-Wahlkampf zur Schlammschlacht?

Gütersloh. Wer gehofft hatte, dass der Wahlkampf ums Gütersloher Bürgermeisteramt nach all den Aufregungen der zurückliegenden Jahre nun sachbezogen und in ruhigen Bahnen verläuft, wurde jetzt eines anderen belehrt. Diverse Nachrichten sorgten für erhebliche Unruhe in der Stadt. Sie fordern auch den Berichterstatter heraus, der die Relevanz dieser Geschehnisse einzuordnen und zu entscheiden hat, was in welcher Form berichtenswert ist. Und damit ist nicht nur die Wahlempfehlung von Norbert Morkes gemeint. Der Reihe nach. Am Samstag wurde die Vergangenheit des CDU-Kandidaten Henning Matthes als Mitglied der Zeugen Jehovas bekannt. Matthes war demnach in eine Familie, die dieser Glaubensgemeinschaft angehörte, hineingeboren worden. Er habe sie aber vor 13 Jahren bewusst verlassen, weil er die Überzeugungen und Lebensführung nicht mehr teile. Muss darüber berichtet werden? Zumal der Sachverhalt wohl kaum zufällig zu diesem Zeitpunkt lanciert wurde? Zeugen Jehovas: Reine Tatsache taugt nicht zur Skandalisierung Die NW-Redaktion Gütersloh hat sich entschieden, den Bürgermeisterkandidaten nach der Enthüllung um ein kurzes Statement zu bitten. Dieser Text wurde im Rahmen eines Porträts gebracht. Ungeachtet der Frage, ob die Wählerinnen und Wähler überhaupt ein Anrecht darauf haben, über diese Episode im Leben von Henning Matthes Bescheid zu wissen, taugt die reine Tatsache allerdings nicht zur offensichtlich beabsichtigten Skandalisierung. Die Zeugen Jehovas sind den großen Glaubensgemeinschaften gleichgestellt und gelten nicht mehr als Sekten. Zudem sind religiöse Überzeugungen Privatsache, in diesem Falle sogar lange zurückliegend. Ehemalige Zeugen Jehovas berichten häufig davon, dass sie mit dem Austritt aus der Glaubensgemeinschaft auch ihr gesamtes Umfeld verloren haben. Freunde, sogar Eltern und Geschwister, brechen den Kontakt oft völlig ab. Achtung für Henning Matthes – nicht Verächtlichmachung Wer einen solch einschneidenden Schritt vollzieht, hat deshalb Achtung verdient, nicht Verächtlichmachung. Wir wissen nicht, wie es bei Henning Matthes war. Das ist Privatsache. Ein Bürgermeisterkandidat muss sich nicht völlig nackt machen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Plötzlich wollte Morkes nochmal antreten Einige Worte darf man indes über die neue Wortmeldung des abgewählten Bürgermeisters verlieren. Es ist unübersehbar, dass Norbert Morkes die Kränkung seiner Abwahl noch nicht überwunden hat. Wie anders ist zu erklären, dass er kurzzeitig sogar einen fruchtlosen Versucht unternommen, selbst anzutreten. Zudem zeugt seine eigenartige Haltung, die Qualifikation für das Bürgermeisteramt in Gütersloh einzig davon abhängig zu machen, ob die Kandidaten an seiner Abwahl mitgewirkt haben, eher von Ichbezogenheit denn von Souveränität. Ebenso ist die Wortwahl, mit der der ehemalige Amtsinhaber Henning Matthes und Gitte Trostmann beschreibt, nicht geeignet, die Gräben in der Stadtgesellschaft zuzuschütten. Sie kontaminiert auch die Empfehlung für Matthias Trepper, der dazu das aus seiner Sicht einzig Richtige tut: Er schweigt. Lesen Sie auch: Norbert Morkes’ Wahlempfehlung: So äußern sich die Gütersloher Bürgermeister-Kandidaten Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Nobby Morkes (@nobbymorkes) AfD hat jahrelang nicht mehr der &bdquo;NW“ gesprochen Morkes empfiehlt in dem Video auch, sich argumentativ mit dem Kandidaten der AfD, Torsten Drescher, auseinanderzusetzen und ihn nicht auszugrenzen. Tatsächlich ist die AfD in Gütersloh meines Wissens weder im Stadtrat, noch im Kreistag durch eine verfassungsfeindliche Wortwahl aufgefallen, noch hat sie versucht, parlamentarische Abläufe zu torpedieren wie jüngst die AfD im neuen Thüringer Landtag. Ihre Ausgrenzung hat sie allerdings auch selbst vollzogen, indem sie beispielsweise jahrelang nicht mit der &bdquo;NW“ geredet und zuletzt auch die Einladung zu einer Homestory ausgeschlagen hat. Bei der NW-Wahl-Arena am Donnerstag, 7. November, 19 Uhr im kleinen Saal der Stadthalle Gütersloh stellt sich allerdings Torsten Drescher zusammen mit den anderen Kandidaten der Diskussion. Fragen können per Mail an guetersloh@nw.de eingereicht werden. Dann kann sich zeigen, wie anschlussfähig unter anderem die Leugnung des wissenschaftlichen Konsens’ zum menschengemachten Klimawandel ist. War das nur eine wahlstrategische Ungeschicklichkeit? An dem Sonntag, an dem Norbert Morkes sein Video am Rathaus Gütersloh drehte, hatte die Gütersloher AfD mit Martin Reichardt einen Gastredner eingeladen, dessen Landesverband (Sachsen-Anhalt) vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Und mancher fragt sich: War das lediglich eine wahlstrategische Ungeschicklichkeit? Oder hat die Gütersloher AfD hier erstmals ihre bürgerliche Maske gelüftet und ihr wahres Gesicht gezeigt? Vielleicht weiß Torsten Drescher am 7. November auch darauf eine Antwort. Argumente, nicht Anschuldigungen sind gefordert So viel ist aber sicher: Die jüngsten Vorkommnisse nutzen niemandem, sondern verstärken nur die allgemeine Politikverdrossenheit. Dabei hat Gütersloh genügend kleine und große Probleme, die gelöst werden müssen und für die die Wähler zu Recht Initiativen und Ideen der Kandidaten verlangen. Da darf bei allen vier Parteien gerne noch mehr Konkretes geliefert werden. Argumente, nicht Anschuldigungen sind gefordert. Bleibt zu hoffen, dass die letzten vier Wochen bis zur Wahl mit Anstand über die Bühne gehen. Schlammschlachten hatten wir mehr als genug.

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