Früherer Kripo-Beamter aus Gütersloh verärgert über Sparpläne bei der Polizei

Nach dem Terroranschlag in Solingen mit drei Toten forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Der Ruf ist nicht neu. Er steht aber in krassem Gegensatz zu den Sparplänen auf Landesebene. In Düsseldorf fehlt das Geld. Erst vor acht Wochen forderte NRW-Innenminister Herbert Reul deshalb die Landräte auf, Sparvorschläge für die Polizei zu machen. &bdquo;Jetzt reichts!“ lautete ihre Antwort in einem Leserbrief an die NW darauf. Herr Justus, was genau reicht Ihnen denn? Ralf Justus: Als &bdquo;frischer“ Pensionär nach 45 Polizeidienstjahren in den Polizeiabteilungen in Köln, Bünde, Düsseldorf und Bielefeld habe ich so einige Sparmaßnahmen erlebt. Bei der damaligen Ölkrise sind wir keine Streifen mehr gefahren, sondern nur noch zu den Einsätzen, um Sprit zu sparen. Danach habe ich auch bei der Kriminalpolizei erlebt, dass wir jede Kopie, die wir getätigt hatten, per Strichliste aufgeschrieben haben. Zudem wurden mittlerweile das 13. Monatsgehalt das Weihnachts- und Urlaubsgeld weitgehend gestrichen. Und bei der Kriminalpolizei wurden vor knapp 15 Jahren durch eine sogenannte Funktionszuordnung höherwertige A12-Stellen gestrichen. Nur die Freie Heilfürsorge als Krankenversicherung ist geblieben, die früher privat war. Und dann lese ich vor knapp zwei Jahren in einem kleinen Artikel der &bdquo;NW“, dass die neue Landesregierung von CDU/Grüne eine Milliarde Euro im Bildungsbereich ausgibt, um die Lehrkräfte an den Grundschulen von A12 nach A13 anzuheben. Und das, ohne eine zusätzliche Stelle in den Schulen zu schaffen. Ich sehe noch die lächelnden Gesichter von Hendrik Wüst und Nora Neubaur auf dem Foto vor mir. Zum Lachen war mir dabei nicht zumute. Jetzt macht unser Innenminister den Vorschlag, bei der Polizei zu sparen? Da &bdquo;kippen Sie aus den Latschen“, wie Herr Reul manchmal pflegt zu formulieren. Und das setzt Emotionen frei – nicht nur bei mir. Es mangelt also an Wertschätzung? Ja. Unser Bundespräsident wurde nach dem &bdquo;Sturm auf den Reichstag“ im August 2020 zitiert, dass die Demokratie lebt. Und lobte die Standhaftigkeit der einschreitenden Polizeibeamten, die sich den knapp 400 Demonstranten in den Weg stellten. Anschließend wurden diese Polizeibeamten ins Plenum eingeladen und beklatscht. Ob es eine finanzielle Wertschätzung gegeben hat, weiß ich nicht. Auch weiß ich nicht, ob es anschließend eine Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten gab. Im Ergebnis sei es den Pädagogen gegönnt, dass sie in eine höhere Gehaltsstufe kommen. Auch lassen sich höhere Diäten von Zeit zu Zeit begründen. Nur fragen sich doch allmählich viele Polizeibeamtinnen und -Polizeibeamte, die Tag und nacht für die Sicherheit – auch von Lehrkräften und Politikern – verantwortlich sind und unter Umständen ihr Leben riskieren, warum ausgerechnet bei Ihnen gekürzt und gestrichen wird. Gerät der Verdienst der Polizeibeamten ins Hintertreffen? Was sind denn Ihre Erwartungen? Nun, ich denke, alle Eltern möchten, dass ihre Kinder in den Schulen durch gut ausgebildete Lehrkräfte unterrichtet werden. Wenn die mir zur Verfügung stehenden Zahlen richtig sind, stehen dafür rund 100.000 Lehrkräfte im Land NRW zur Verfügung. Nunmehr ab einer Besoldung ab A13 bis A16. Die Polizei muss für ihren Arbeitsbereich insbesondere in vier oder fünf Schichten 24/7 mit knapp 45.000 Kolleginnen und Kollegen auskommen. Überwiegend mit A9 bis A11. Und da hätte ich eigentlich die Erwartung, dass die Landesregierung einen finanziellen Schwerpunkt auch für die Innere Sicherheit setzt. Und das nicht erst nach den schrecklichen Ereignissen in Mannheim und Solingen. Damit meine ich, die magere Polizeizulage deutlich zu erhöhen, um auch die finanzielle Wertschätzung der für meine Kolleginnen und Kollegen im Polizei- und Kriminaldienst auszudrücken. Auch gehen die meisten Polizisten mit A11 in den Ruhestand. Da sind Stellen bei der Stadt und im Bildungsbereich deutlich besser gestellt. Als Beispiel sind unsere Leitungen der Mordkommissionen in Bielefeld mit A11 oder A12 bewertet. Da arbeiten gestandene Kolleginnen und Kollegen mit über 20-jähriger Berufserfahrung. Und das im Anforderungsprofil der Leitung je nach Einzelfall mit 20 bis 50 Mitarbeitende oder mehr im Einsatz mit den Spezialeinheiten, Einsatzhundertschaften, Hubschraubern und vieles mehr. Und vor allen Dingen mit dem Aufklärungsdruck der Öffentlichkeit. Da wäre aus meiner Sicht eine Stellenbewertung unter A13 kein Spielraum. Und das sage ich nicht nur als ehemaliger Geschäftsführer des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) des BV Bielefeld. Übrigens sehen das auch Lehrkräfte aus dem Bildungsbereich so, ohne Ausnahme, mit denen ich persönlich darüber gesprochen habe. Die Stellen der Lehrer sind demnach deutlich besser bewertet als die Mehrzahl der Stellen bei der Polizei. Die beiden Jobs lassen sich allerdings schwer miteinander vergleichen, oder können Sie eine echte Ungleichbehandlung der Berufsgruppen beim Land erkennen? Ja, das sehe ich so. Durch eine vor rund 15 Jahren eingeführte &bdquo;Funktionszuordnung“ wurden von den ungefähr 45 A12-Stellen etwa 20 Stellen der Kriminalpolizei in Richtung Schutzpolizei geschoben. Das führte dazu, dass Leitungen und Abwesenheitsvertretungen der Kriminalkommissariate nur noch mit A11 bewertet sind. Zum Beispiel wurden die Leitungen der Kriminalwache in Bielefeld von A13 auf A11 herunter gesetzt. Diese Kollegen sind zuständig für alle Kriminaldelikte wie Raub, Brand, Sexualdelikte, Tötungsdelikte in einer Stadt mit über 300.000 Einwohnern im Spät- und Nachtdienst und an den Wochenenden. Zudem sind sie Ansprechpartner für bestimmte Delikte wie Mord, Staatsschutz, sexueller Kindesmissbrauch, Organisierte Kriminalität in ganz OWL mit über zwei Millionen Einwohner. Für mich ein Unding, denn diese Funktionsordnung sollte kostenneutral in der Polizei erfolgen. Wenn ich dann die Investition von einer Milliarde im Grundschulbereich sehe, handelt die NRW-Politik ungleich. Diese einseitige finanzielle Schwerpunktsetzung der Politik im Bildungsbereich kann ich nicht nachvollziehen. Was wäre aus Ihrer Sicht eine angemessene Bezahlung für Polizeibeamte, wo müsste konkret gehandelt werden? Ich persönlich habe mir, als ich vor 40 Jahren selbst im Streifendienst war, gewünscht, dass der wichtige und anstrengende Dienst auf den Polizeiwachen im Früh-, Spät- und Nachtdienst nach einer bestimmten Reifungszeit mit A11 als Polizeihauptkommissar bewertet wird. Das ist überwiegend erreicht. Aufgrund der deutlich raueren Einsatzatmosphäre mit immer mehr Kriminalitätsphänomenen, hätte ich mir gerade unter der Regierungsbeteiligung der CDU in NRW mehr finanzielles Engagement für die Polizei gewünscht. Vor knapp 40 Jahren haben wir die mitgeführten Schutzwesten angelegt, wenn bei bestimmten gefährlichen Situationen eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestand, etwa bei Banküberfällen. Lesen Sie auch: Gewerkschaft warnt: Polizei in OWL muss mit weniger Beamten auskommen Heute tragen meine Kolleginnen und Kollegen im Wachdienst ständig diese Schutzwesten, weil sie im Einsatz nicht wissen, ob das polizeiliche Gegenüber eine Schusswaffe, ein Messer oder andere gefährliche Gegenstände bei sich hat. Bei jeder Fahrzeugkontrolle wissen sie nicht, wie die Insassen des Fahrzeuges agieren bzw. reagieren. Die deutliche Anhebung der Polizeizulage, die seit über 45 Jahren bei knapp 100 Euro brutto liegt, wäre eine finanzielle Wertschätzung der Politik für die Polizei und somit für die Innere Sicherheit in NRW. Und dafür müsste der Finanzminister deutlich weniger als eine Milliarde in die Hand nehmen. Die betroffenen Lehrkräfte wünschten sich eine Gleichbehandlung mit Lehrern anderer Schulformen. Auch hier ging es um eine notwendige Anpassung und Anerkennung. Ich freue mich für die Lehrkräfte in NRW, wenn sie sich die Anhebung nach A 13 wünschen und die Landesregierung zu Beginn der Legislaturperiode diesen Wunsch mit einem Investment von einer Milliarde Euro erfüllen. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass im Landtag in NRW viele Lehrkräfte und Rechtsanwälte anzutreffen sind. Und dass die Lobby der Lehrer recht stark ausgeprägt zu sein scheint. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die jüngste Finanzspritze im Bildungsbereich ohne große Aktionen der Lehrerverbände mehr oder wenig geräuschlos erfolgte. Und wenn im Finanzausschuss eine Vertreterin des Lehrerverbands für alle Lehrkräfte A13 mit Zulage fordert, frage ich mich, was wollen die denn noch? Vielleicht würde sich die finanzielle Situation der Polizei in NRW deutlich verbessern, wenn mehr Polizeibeamte im Landtag vertreten wären. Und ich bleibe dabei, durch die tägliche Polizeiarbeit mit Sondereinsätzen bei Demonstrationen, Fußballeinsätzen, nach erfolgreicher Veranstaltung der Fußball EM, Sondereinsätze in Ermittlungskommissionen nachts und am Wochenende bei mageren Zulagen für Nacht- und Wochenendeinsätzen halte ich auch eine finanzielle Wertschätzung für die Polizeibeamten für unverzichtbar. Das beißt sich mit Sparvorschlägen. &bdquo;Und das weiß sogar meine Oma“, um noch einmal mit den Worten von Herrn Reul zu sprechen. Ja, Herr Reul ist ja von Hause aus Lehrer. Er weiß doch jetzt, was die Polizei leistet. Deshalb kann ich die den Wunsch nach Sparmaßnahmen bei der Polizei nicht ernst nehmen. Im Gegenteil. Im Ergebnis hätte ich mir von der CDU deutlich mehr finanzielles Engagement für die Polizei in NRW gewünscht. Die Piloten fordern, streiken und bekommen letztendlich fast alle ihre Forderungen erfüllt. Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in NRW dürfen nicht streiken. Das darf aber nicht dazu führen, dass dies zum finanziellen Nachteil der Polizei ausartet. Motivation definiert sich in der Regel nicht ausschließlich übers Geld. Geht es auch um andere Stellschrauben? Natürlich ist Geld nicht Alles. Ich persönlich bin insbesondere unter dem Motto &bdquo;Dein Freund und Helfer“ zur Polizei gegangen und habe dies auch 45 Jahre gelebt. Wie hieß es immer so schön bei der Wache im Fernsehen: &bdquo;Immer Mensch bleiben.“ Aber nicht nur heutzutage ist auch die finanzielle Seite neben der oft von der jungeren Generation eingeforderten &bdquo;Work-Life-Balance“ wichtig. Und zur Familienplanung gehört auch eine finanzielle Basis. Meine Nichte staunt über ihre Freundinnen, die Abitur gemacht haben. Die eine fängt bei der Polizei an und beginnt nach dem Fachhochschulstudium mit Besoldungsgruppe A9 als Kommissarin. Lesen Sie auch: Mehr Polizeischutz für Gütersloher Event: Reaktion auf Attacke in Solingen Die andere studiert Lehramt. Ohne Aufnahmeprüfung, ohne viele rechtlichen Problemstellungen, ohne Nachtdienste im Praktikum, ohne körperliche Auseinandersetzungen, ohne mit der Waffe zu drohen beginnt sie ihre Stelle in der Grundschule mit A13. Und das bei drei Monaten unterrichtsfreie Zeit im Jahr. Da kommt der eine oder andere schon ins Grübeln. Über dem Geld steht natürlich der Wunsch, dass meine Kolleginnen und Kollegen aus jedem Einsatz gesund nach Hause kommen. Dort warten Partner, Kinder und Familien. Jetzt am 1. September haben 3.000 Kommissaranwärterinnen und -anwärter ihre Ausbildung bei der Polizei begonnen. Zum zweiten Mal in Folge erreicht die Polizei Nordrhein-Westfalen damit ihr selbst gestecktes Ziel an Neueinstellungen. Innenminister Herbert Reul ist stolz und verkündet: &bdquo;Wir haben keine Nachwuchsprobleme.“ Bei der Ausgangslage scheint doch gar kein Handlungsdruck vorhanden zu sein, oder? Nun ja, das ist natürlich erst einmal positiv zu bewerten, dass die Landesregierung die 3.000 Stellen anpeilt. Ich erlebe die jungen Kolleginnen und Kollegen motiviert, erfrischend höflich nett und kompetent. Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass einige oder deutlich mehr die Prüfungen nicht schaffen und somit nicht für den Polizeidienst zur Verfügung stehen. Zudem ist ja die Frage, ob alle, die durchkommen, auch bei der Polizei bleiben. Mehr Personal lautet die Forderung, aber ist die womöglich viel zu pauschal? Wo genau benötigt denn die Polizei Verstärkung. Es heißt, dass vor allem die Kripo gestärkt werden müsse, da alle Herausforderungen bei ihr lägen im Kampf gegen Kindesmissbrauch, Clan- oder Cyberkriminalität. Der zusätzliche Bedarf an Kripobeamten soll im fünfstelligen Bereich liegen? Konkrete Zahlen kann ich zu den personellen Bedarfen nicht nennen. Fakt ist, dass die Kriminalkommissare deutlich überaltert sind, junge Kolleginnen und Kollegen dringend in den Kriminalkommissariaten benötigt werden. Doch leider gehen die jungen Kommissare erst in die Hundertschaft, dann in den Wach- und Wechseldienst und stehen vielleicht erst nach mehr als fünf Jahren für die Kriminalpolizei zur Verfügung. Zudem ist es leider so, dass die reine Ermittlungsarbeit in den sogenannte &bdquo;Massenkommissariaten“ wie Diebstahl, Körperverletzung und Betrugsdelikten nicht so attraktiv bei den Neuen ankommt. Zudem ist der Vorgangsdruck in einigen Kommissariaten sehr hoch. Du machst Urlaub und anschließend ist dein Fach wieder voll mit Ermittlungsvorgängen. Und die zusätzlichen Einsätze nachts und am Wochenende in Ermittlungskommissionen und zusätzliche Rufbereitschaften macht die &bdquo;Work-Life-Balance“ nicht einfach. Ein konkreter Weg wäre natürlich auf der Fachhochschule Studierende für den Dienst in der Kriminalpolizei auszubilden, damit diese nach dem Studium sofort die Kriminalpolizei verstärken. Es gibt wohl einige Abiturienten, die sehr wohl sich direkt bei der Kriminalpolizei bewerben würden. Nur diesen Weg geht das NRW-Innenministerium leider nicht. Rheinland Pfalz, einige Bundesländer und das BKA sind da deutlich weiter. In Zeiten knapper Personalressourcen setzt die Polizei Bielefeld inzwischen auch auf die Wiederbeschäftigung bereits pensionierter Polizeibeamter. Fünf sogenannte Rentner-Cops sind derzeit in Bielefeld tätig. Das geht aus einer Mitteilung des Innenministeriums hervor. Hat man bei Ihnen auch schon angefragt? Gute Frage. Ich bin quasi im Scherz mehrmals gefragt worden, ob ich es mir vorstellen könnte. Ich kenne Kollegen, die jetzt ihr Fachwissen mit Freude und Motivation dem &bdquo;Nachwuchs“ beibringen. Und das ist gut so. &bdquo;Habe fertig“, sagte einmal ein bekannter Fußballtrainer. Nach 45 Dienstjahren mit den verschiedensten und auch unschönen Kriminalfällen möchte ich mich nunmehr wirklich mit angenehmeren Dingen beschäftigen. Und das fühlt sich gut an.

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