Gütersloher Chefarzt geht in den Ruhestand: „Früher hatten wir mehr Zeit für Patienten“

Gütersloh. Im Büro steht eine große Papiertonne. &bdquo;Das Aussortieren fällt mir schwer“, gibt Ulrich Kemper zu. So peu à peu räumt der Chefarzt der Bernhard-Salzmann-Klinik sein Büro aus, findet hier noch das Standardwerk seines großen Vorbildes Professor Klaus Dörner &bdquo;Irren ist menschlich“, dort eine Karte mit dem Rühmann-Zitat &bdquo;Sorgen ertrinken nicht in Alkohol. Sie können schwimmen“. Ende des Monats geht Ulrich Kemper in den Ruhestand. 34 Jahre war er als Psychiater und Psychotherapeut am LWL-Klinikum tätig, ein Vierteljahrhundert hat er die Klinik für Suchtmedizin und die Bernhard-Salzmann-Klinik geleitet. Die Verwaltungsarbeit, die will der 63-Jährige jetzt aufgeben. Aber die Arbeit mit den Patienten, die möchte er noch nicht missen. &bdquo;Ich werde noch stundenweise in der Suchtambulanz arbeiten“, erzählt er. &bdquo;Der Bedarf ist da.“ Zuerst Assistenzarzt im Team von Klaus Dörner Der direkte Kontakt mit dem Patienten, das war auch der Grund, warum er Psychiater geworden ist. Aufgewachsen in Lippstadt, studierte Ulrich Kemper in Münster Medizin und begann zunächst als Kinderarzt in Hamm an der St.-Elisabeth-Kinderklinik. Lesen Sie auch: Gütersloher Suchtexperte: &bdquo;Keine Schule, an der sie kein Gras kaufen können“ &bdquo;Damals gab es noch kein Arbeitszeitgesetz, ich hatte sehr viele Dienste“, erinnert er sich. Als er Vater wurde, bewarb er sich als Assistenzarzt im Team von Klaus Dörner in Gütersloh. &bdquo;Ich war froh, als ich die Stelle bekommen habe“, blickt er zurück. Am 1. Oktober 1990 fing er in der Bernhard-Salzmann-Klinik an. Er zog mit seiner Familie - eine Tochter, heute 31 Jahre und Psychotherapeutin, zwei Söhne 34 und 28 Jahre - in die direkte Nähe zum LWL-Klinikgelände an die Buxelstraße. Kemper schätzt die Nähe zu seinen Patienten &bdquo;Mittlerweile wohne ich auf der anderen Seite des Geländes, in der Siedlung gegenüber der Polizei, die seinerzeit für Pflegekräfte des Landeskrankenhauses gebaut worden ist. Fünf Minuten mit dem Rad“, erzählt er. Ulrich Kemper schätzt die Nähe zu den Patienten. &bdquo;Ich treffe sie auf dem Markt, im Lidl.“ Die Verbindung von Medizin und Gesellschaft, so wie Klaus Dörner sie immer propagiert hat, ist ihm wichtig. &bdquo;Wir müssen die Möglichkeiten, die die Kommune, der Sozialraum, bietet, nutzen“, sagt er. Er verweist seine Patienten auf die Angebote in der Stadt. &bdquo;Die Bibliothek ist ein echtes Schatzkästchen“, findet er, &bdquo;da gehe ich auch gerne hin“. Psychische Erkrankungen hätten nicht immens zugenommen Lesen, das ist Ulrich Kempers große Leidenschaft. &bdquo;Meine Kinder sagen immer, ich sei lesesüchtig“, sagt er mit einem Schmunzeln. Er lese bis zu acht Bücher parallel - je nach Stimmung. &bdquo;Abends Krimis. Und es sind auch immer ein, zwei Fachbücher dabei.“ &bdquo;Früher hatten wir mehr Zeit für die Patienten“, sagt er rückblickend. Und er widerspricht der These, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen immens zugenommen habe. &bdquo;Die Menschen sind nicht mehr krank als früher, aber sie gehen mehr in Behandlung.“ Bei Depressionen sei das positiv, da würden sich die Menschen viel eher Hilfe holen. &bdquo;Dörners Ziel war es immer, einen Teil der psychischen Probleme außerhalb des medizinischen Systems abzufangen.“ Freunde, Familie, Nachbarschaft könnten das übernehmen. &bdquo;Nehmen Sie nur Trauer - das ist keine Krankheit. Was man da braucht, sind Menschen, die einem zuhören.“ Alkohol bleibt weiter Droge Nummer eins Auch beim Thema Sucht ist Zuhören wichtig - und der Versuch, der Sucht etwas Positives entgegenzusetzen. &bdquo;Malen, Tanzen, Rennrad fahren - das kann für jeden etwas anderes sein.“ Droge Nummer eins sei immer noch Alkohol, so der Suchtmediziner. &bdquo;Früher wurde auch am Arbeitsplatz getrunken - das ist weniger geworden.“ Ganz langsam setze ein gesellschaftlicher Wandel ein. &bdquo;Die Meldung, dass mehr alkoholfreies Bier produziert wird, ist doch positiv“, findet er. Und die Mär, dass ein Glas Rotwein abends gesund sei, sei inzwischen auch widerlegt. EM verstärkt das Problem mit Sportwetten Heroin habe heute weniger Bedeutung als noch vor 30 Jahren, stattdessen bereiten ihm synthetische Drogen und vor allem Cannabis Sorge. &bdquo;Wir ich zur Freigabe stehe, ist Ihnen ja bekannt“, sagt er ernst. Der THC-Gehalt des Cannabis sei heute viel höher als früher - die Folge seien ein vermehrtes Auftreten von schwerwiegenden psychiatrischen Folgestörungen wie Psychosen, kognitiven Einbußen und Impulskontrollstörungen. &bdquo;Wir behandeln gerade wieder vier Patienten mit schweren Psychosen nach Cannabis-Konsum.“ Spielsucht ist ebenfalls ein Thema, für dessen Behandlung die Bernhard-Salzmann-Klinik bekannt ist. &bdquo;Jetzt während der EM fällt die aggressive Werbung für Sportwetten auf“, so Ulrich Kemper. Gerade junge Männer seien da anfällig. &bdquo;Sie sind sport-affin und meinen, sie kennen sich aus“, sagt er. Offizieller Abschied am 19. Juli Im &bdquo;Bündnis gegen Sportwetten“, setzt er sich für ein Werbeverbot ein. Er engagiert sich auch im Fachverband Glückspielsucht und im Verein Komet zur sozialen Rehabilitation. Tätigkeiten, die er auch im Ruhestand fortführen will. Am Freitag, 19. Juli, ist nun sein offizielle Verabschiedung. Bis dahin wird Ulrich Kemper beim Ausräumen noch viele Papiere in die Hand nehmen.

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