Gütersloh bald mit den höchsten Gebühren Deutschlands? Unternehmen droht mit Rückzug

Gütersloh. Seit dem 21. Oktober 2019 gibt es im Gütersloher Stadtgebiet die mintgrünen Elektro-Roller zum Leihen. Ob das fünfjährige Jubiläum in der Stadt noch gefeiert wird, steht mehr denn je in den Sternen. Der Anbieter, das Unternehmen Tier aus Berlin, denkt darüber nach, seine Zelte abzubrechen und das Angebot komplett einzustellen. Hintergrund sind die Pläne der Stadtverwaltung, eine monatliche Gebühr von 25 Euro pro Roller zu erheben. &bdquo;Das wäre bundesweit der absolute Höchstwert. Wenn die Stadt das so durchziehen möchte, werden wir uns höchstwahrscheinlich zurückziehen“, kündigt Luisa Lindenthal, Sprecherin von Tier Mobility, gegenüber der &bdquo;Neuen Westfälischen“ an. Aktuell stehen 250 E-Scooter der Firma Tier im Gütersloher Stadtgebiet zur Verfügung. Anfang Juni hatte die Stadt Gütersloh bekannt gegeben, die zehn Jahre alte Sondernutzungs-Satzung hinsichtlich öffentlicher Flächen ändern zu wollen. Beim Anbieter aus Berlin herrscht Ärger über die Pläne in Gütersloh Mit gravierenden Änderungen für die Anbieter von Elektro-Kleinstfahrzeugen wie Scooter oder Motorroller: Konnten sie ihre Flotte bislang kostenlos auf öffentlicher Fläche platzieren, so sollen künftig täglich 2,50 Euro pro Quadratmeter genutzter öffentlicher Fläche anfallen. Das macht aufgerundet im Monat 25 Euro pro Scooter, also 300 Euro im Jahr. Außerdem will die Stadt die Verleihfirmen künftig dazu verpflichten, die Identität der jeweiligen Nutzer des Fahrzeugs zu erfassen, um Ordnungswidrigkeiten ahnden zu können. Lesen Sie auch: &bdquo;Ich habe Angst“: Ärger über rücksichtslose E-Scooter- und Radfahrer im Kreis Gütersloh &bdquo;Wir sind von den Plänen der Stadt Gütersloh relativ überrascht worden. Das Vorhaben ist in dieser Form für uns absolut nicht nachvollziehbar. 25 Euro Gebühr pro E-Scooter im Monat – das ist finanziell nicht darstellbar, zumal wir die Summe eins zu eins an die Kunden weitergeben müssten“, erklärt die Unternehmens-Sprecherin. Beim Berliner Anbieter herrscht Unverständnis – in mehrfacher Hinsicht. Kopfschütteln bei Tier über Äußerungen des Ordnungsdezernenten Auch die Äußerungen des Gütersloher Ordnungsdezernenten Thomas Könnecker sorgen in Berlin für Kopfschütteln. Er hatte von einem Fakt gesprochen, nachdem die E-Scooter nachweislich nicht zur Mobilitätswende beitrügen, sondern als reine &bdquo;Spaßfahrzeuge“ zu verstehen seien. &bdquo;Wir sehen anhand unserer Daten für das gesamte Bundesgebiet, dass fast ein Viertel der Fahrten an ÖPNV-Haltestellen endet, außerdem die Leute im Peak zwischen 7 und 8 Uhr morgens mit den Scootern zur Arbeit fahren. Das Gleiche gilt für den Feierabend-Verkehr ab 16 Uhr, also die klassischen Pendler-Zeiten“, schildert Tier-Sprecherin Luisa Lindenthal. Die Stadt Gütersloh gibt als einen Grund für die Gebühreneinführung sowie das ID-Verfahren auch eine bessere Steuerungsmöglichkeit an. So soll verhindert werden, dass Gefahrensituationen im öffentlichen Raum entstehen, wenn dort die Roller kreuz und quer abgestellt werden. Diese alternativen Ansätze schlägt der Verleiher vor Aus Sicht von Johannes Knippenberg, Regional Manager der Firma Tier für den Bereich Westdeutschland, gebe es allerdings deutlich bessere Ansätze: Basierend auf der Erfahrung in mittlerweile 350 Städten, seien vielmehr &bdquo;feste Abstellflächen in Kombination mit dem Free-Floating-Prinzip die optimale Lösung“. Das heißt: Parkflächen werden festgelegt und markiert, etwa auf umgewandelten Pkw-Parkplätzen. Ferner würden die E-Scooter so programmiert, dass die Mietdauer nur innerhalb dieser Flächen beendet werden kann. Dafür müssten in Gütersloh ausreichend Flächen ausgewiesen werden. Lesen Sie auch: E-Scooter sind im Kreis Gütersloh alle 17 Tage an einem Unfall beteiligt Denn es benötige einen zeitnahen und flächendeckenden Auf- und Ausbau der Infrastruktur, um einen noch größeren Beitrag zur Mobilitätswende leisten zu können, sagt Johannes Knippenberg. Er verweist auf die Stadt Düsseldorf, in der es gegenwärtig 140 markierte Abstellplätze gebe. In Köln gehen Sharing-Anbieter bereits vor Gericht gegen Gebühren vor Seit dem Start in Gütersloh vor knapp fünf Jahren haben laut Anbieter Tier 28.000 Nutzer fast 410.000 Fahrten mit seinen Scootern absolviert und dabei eine Strecke von rund 700.000 Kilometer zurückgelegt. Über eine App auf dem Smartphone kann der Roller gemietet werden. &bdquo;Man zahlt einen Euro als Aktivierungsgebühr und 29 Cent die Minute“, erläutert die Sprecherin. Die Gebührenforderung aus Gütersloh hält man bei Tier für extrem hoch bemessen – auch im Vergleich zu anderen Städten. Gütersloh würde im Tarif-Ranking unangefochten auf Platz eins liegen – mit weitem Abstand. &bdquo;Dahinter wäre Köln mit derzeit 12,50 Euro, also der Hälfte“, erläutert Luisa Lindenthal. In der Domstadt würden sich bereits diverse Sharing-Anbieter gegen weit überzogene Gebühren in Höhe von bis zu 150 Euro pro Jahr vor Gericht wehren. Politiker reagieren überrascht auf die Pläne in Gütersloh Zum Vergleich: Die durchschnittliche Gebührenhöhe liegt in ganz Deutschland bei etwa 30 Euro für einen E-Scooter. Die Stadt Bielefeld liegt mit 40 Euro jährlich darüber, Osnabrück mit 24 Euro darunter, in Neuss zahlt ein Anbieter 10 Euro pro Jahr und Scooter. Tier hat seinem Ärger in einem Schreiben an die Gütersloher Stadtverwaltung am vergangenen Donnerstag kurzfristig Luft gemacht – eine Kopie ging an alle Fraktionen. Diese zeigten sich im Hauptausschuss am Montagabend einigermaßen überrascht von den aufgeführten Fakten. &bdquo;Warum liegen wir mit der Gebührenforderung acht bis zehn mal so hoch wie in Bielefeld oder Herford?“, wollte CDU-Fraktionschef Heiner Kollmeyer von der Verwaltung wissen. Er machte den Vorschlag, die Beratung zu dem Thema zu vertagen, &bdquo;immerhin drohen in der Angelegenheit Klagen.“ Verwaltung nimmt mögliches Aus von Tier scheinbar billigend in Kauf Auch die Grünen zeigten sich irritiert: &bdquo;Wie kommen wir denn zu diesen Preisen?“ Kämmerer Thomas Könnecker erklärte, man liege mit 300 Euro pro Jahr zwar am obersten Rand, &bdquo;wir sind aber zuversichtlich, dass die Satzung rechtlich zulässig ist.“ Die Höhe der Gebühr halte er für angemessen und übrigens sei sie für die Verwaltung &bdquo;nicht mehr diskutabel“. Die Begründung lieferte Könnecker gleich mit: &bdquo;Jeder kennt den Wildwuchs mit den abgelegten Scootern. Die maßgebliche Steuerung ist die Gebühr.“ Damit gab die Verwaltung das Signal, dass sie billigend in Kauf nimmt, wenn sich Tier aus dem Stadtgebiet zurückzieht und das Scooter-Problem sich damit in Luft auflöst. Noch tut es das nicht. Die Politik sieht Beratungsbedarf und hat das Thema vertagt auf die nächste Sitzung des Hauptausschusses am 26. August. Der Rat tagt am 30. August. So lange rollen die E-Scooter garantiert durch Gütersloh.

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