Abwahlverfahren von Bürgermeister Norbert Morkes: Gütersloher verlangen Antworten

Gütersloh. Man könnte meinen, es hat nie Streit gegeben, so ruhig ist es im Rathaus in den vergangenen Wochen geworden. Mehr noch: Die Dinge laufen gut, etliche Projekte kommen in Bewegung. Fast harmonisch das Ganze – wären nicht die vielen offenen Fragen. Die Politik hat ein Abwahlverfahren in Gang gesetzt, ohne juristisch erhärtete Tatsachen vorweisen zu können. Für viele Gütersloher Bürger lautet deshalb die zentrale Frage: Haben sich dennoch genügend Erkenntnisse ergeben, die die Suspendierung des Bürgermeisters rechtfertigen? In dieser Woche wurde bekannt, dass die Ermittlungen der Gütersloher Polizei abgeschlossen sind. Die Beamten kommen zu dem Ergebnis, dass Bürgermeister Norbert Morkes kein sexualisiertes Verhalten gegenüber Frauen vorgeworfen werden kann, das mit den Mitteln des Strafrechts zu ahnden wäre. Die Nachricht der Polizei ist noch kein Freispruch Wie nicht anders zu erwarten, fluten Morkes (72) und seine Befürworter die sozialen Netzwerke mit dieser Nachricht. Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, dass an der ganzen Sache nie was dran war, dass &bdquo;Nobby“ zu Unrecht beschuldigt, Opfer einer Kampagne wurde. War es also doch die CDU mit ihrem Intrigenspiel, weil sie nicht verkraftet hat, den Bürgermeisterposten nicht zu besetzen? Wohl kaum. Halten wir an dieser Stelle Folgendes fest: Die Nachricht der Polizei ist kein Freispruch. Es ist eine Zwischenbilanz – bei der Vorsicht geboten ist, sie verkürzt wiederzugeben. Den Vorwurf der Untreue, wonach Morkes den Dienstwagen privat genutzt haben soll, sieht die Gütersloher Kriminalpolizei in einigen Fällen erhärtet. Die Akten liegen bei der Bielefelder Staatsanwaltschaft, die die Sachlage jetzt juristisch bewertet. Dass die Äußerungen gegenüber Frauen strafrechtlich relevant sein könnten, davon war nie die Rede Ob es zu einer Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage, einem Strafbefehl oder zu einer Anklage mit Prozess kommt, weiß die Behörde noch nicht. Ob sie es bis zum ?9. Juni weiß, ist fraglich. Die Staatsanwaltschaft lässt sich nicht unter zeitlichen Druck setzen, der Wahltermin dürfte ihr vollkommen schnuppe sein. Lesen Sie auch: &bdquo;Neustart für Gütersloh“: Kampagnen zur Abwahl von Bürgermeister Norbert Morkes starten Die disziplinarrechtliche Beurteilung der Vorwürfe durch den Kreis Gütersloh steht auch noch aus. Dort liegen die sexuellen Anspielungen und frauenfeindlichen Sprüche ebenfalls auf dem Tisch – und dort gehören sie auch hin. Dass die im Beigeordneten-Schreiben 16 aufgelisteten Fälle strafrechtlich relevant sein könnten, davon war nie die Rede. Die Frage lautet vielmehr, ob sich der oberste Repräsentant einer großen Stadt und Chef von rund 1.600 Beschäftigten so verhalten darf. Im Kreishaus sieht man keine Notwendigkeit, das Disziplinarverfahren vor der Wahlentscheidung der Gütersloher Bürger abzuschließen. Bis zum 9. Juni wird es vermutlich auch keine Antwort aus dem Kreishaus geben &bdquo;Die Verfahren sind rechtlich völlig unabhängig“, heißt es aus dem Kreishaus, und vielleicht möchte Landrat Sven-Georg Adenauer genau das auch unter Beweis stellen. Es wird bis zum 9. Juni wohl keine Antwort geben – zumindest keine, die sich manche wünschen, weil sie vermeintlich objektiv und als Wahlgrundlage unabdingbar sei. Die Bürger wollen trotzdem Antworten, denn so kann man schlecht wählen gehen, oder? Die Gütersloher Politik hat dieses Problem erkannt, möchte liefern, aber kann nicht. Morkes hat Verleumdungsklagen auf den Weg gebracht, jede öffentliche Aussage stößt schnell an rechtliche Grenzen und bleibt für die Beteiligten somit nicht ohne Konsequenzen. Wir befinden uns in laufenden Ermittlungen. Das Papier der fünf Beigeordneten mit all den Anschuldigungen gegen Morkes, das Papier, das so viele Gütersloher gerne mal sehen würden, darf (bislang) nicht publiziert werden. Was drinsteht, ist dennoch in weiten Teilen bekannt. Der Vorwurf, zum Nachteil der Stadt gehandelt zu haben, ist bisher zu kurz gekommen Dienstwagen und Verhalten gegenüber Frauen haken wir jetzt mal ab. Ein Vorwurf der Beigeordneten, der mir persönlich in all den Diskussionen viel zu kurz kommt, lautet, dass Morkes als Bürgermeister zum Nachteil der Stadt Gütersloh gehandelt hat. Was dahintersteckt? Weit mehr als ein Imageverlust. Bei der Auseinandersetzung um das umstrittene Postareal mit der Firma Hagedorn soll Morkes im Alleingang Gespräche mit Partnern geführt haben, ohne den Verwaltungsvorstand in Kenntnis gesetzt zu haben. Es soll intern und extern keine verbindlichen Abstimmungen gegeben haben, sodass von zwei bis drei &bdquo;verschwendeten“ Jahren die Rede ist. Kaum ist Morkes suspendiert, finden Stadtverwaltung, Lokalpolitik und Hagedorn im April einen Kompromiss. Zufall? Wie viele Anfragen mag der Bürgermeister noch ignoriert haben? Ähnliches soll für das Marten-Areal gelten, wo sich Morkes unabgestimmt in die Gespräche mit der Tönnies-Tochter Asset Immobilien eingebracht haben soll. Die Marriott-Gruppe hatte großes Interesse, neben dem Theater ein großes Hotel zu bauen. Die Finanzierung stehe, versicherte ein beauftragter Gütersloher Unternehmensberater der &bdquo;NW“ schon Ende 2023. Er habe Morkes mehrmals schriftlich und telefonisch um ein Gespräch gebeten. Der aber habe nicht reagiert. Null. Wie viele Anfragen mag der Bürgermeister noch ignoriert haben? Dass Gütersloh dringend Gewerbeflächen benötigt, ist bekannt. Sich an dem interkommunalen Gewerbegebiet Rietberg-Langenberg zu beteiligen wäre vielleicht eine Option gewesen. Rietbergs Bürgermeister Andreas Sunder sprach sich im Herbst 2023 aber deutlich dagegen aus. Flüchtlingsunterkunft am Flughafen hatte offenbar Morkes selbst ins Spiel gebracht Nicht weil er etwas gegen Gütersloh hat, sondern weil die Kommunikation mit seinem Amtskollegen eine Katastrophe gewesen sein muss. Außerdem war es wohl ein weiterer Alleingang von Morkes. Die Verwaltungsspitze und die Politik sollen erst aus der Zeitung über die Vorgänge in Rietberg erfahren haben. Pikant wird es schließlich bei der Unterbringung von Geflüchteten, der sogenannten Notunterkunft des Landes für bis zu 800 Menschen. Im Herbst 2022 wollte die Bezirksregierung neue Flüchtlings-Unterkünfte aufbauen. &bdquo;Erst über das Protokoll der Bürgermeisterkonferenz am 15. November sei bekannt geworden, dass es Norbert Morkes war, der der Regierungspräsidentin vorgeschlagen habe, den ehemaligen Flughafen für die Unterbringung zu nutzen. Diese Liegenschaft hatte die Bezirksregierung bis dahin nicht auf dem Schirm.“ Auch dies soll – so beteuern fünf Beigeordnete in ihrem Schreiben – weder mit ihnen noch mit der Politik oder der Gewerbepark Flughafen GmbH abgestimmt gewesen sein. All diese vermeintlichen Alleingänge sind nicht strafrelevant Die gesellschaftlichen Auswirkungen und der finanzielle Schaden all dieser vermeintlichen Alleingänge von Morkes sind kaum zu ermessen. Auch wird er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Nichts davon ist strafrelevant. Es wird keine Polizei und keine Staatsanwaltschaft ermitteln, die Ereignisse werden verklingen wie die Altherrenwitze. Soll er weiter die Stadt führen? Gegen den erklärten Willen nahezu aller Ratsfraktionen, selbst seiner eigenen? Diese Bürgermeisterfrage werden die Gütersloher am 9. Juni entscheiden. Die juristische Informationsgrundlage dafür wird fehlen, die politische und moralische ist hingegen ausreichend erläutert.

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