Scharia im Klassenzimmer? Gütersloher Expertinnen über islamistische Vorfälle an Schulen

Hat der radikale Islamismus tatsächlich die Schulen im Kreis Gütersloh erreicht? Claudia Brhel: Was man auf jeden Fall sagen muss ist, dass Islamismus ein Thema ist – auch bei uns an den Schulen im Kreis Gütersloh. Das gilt natürlich ebenso für andersgeartete extremistische Vorfälle. Dabei geht es darum, dass Lehrkräfte, Schulleiter und Schüler Angst haben oder verunsichert sind – und das ist auf allen Ebenen zu sehen. Ira Herdmann: Auf konkrete Einzelfälle können wir nicht eingehen, denn eine der wichtigsten Leitlinien unserer Beratungsstelle ist der Vertrauensschutz. Deshalb können wir nur Informationen geben, die diesen Schutz und unsere Schweigepflicht voll berücksichtigen. Das ist ein Drahtseilakt, denn es ist schließlich trotzdem wichtig, zu benennen, was so vorkommt. Vielleicht können Sie dennoch konkreter werden. Was kommt denn tatsächlich an Schulen im Kreis Gütersloh vor? Herdmann: Ein wiederkehrendes Thema ist das Phänomen der Verhüllung. Ob es nun frei gewählt oder aufgezwungen ist – es kommt vor. Dabei stellt sich die Frage, wie sollen wir damit umgehen? Brhel: Wenn die Verhüllung so weit geht, dass man nicht erkennt, wer unter der Burka steckt, führt das zu großer Verunsicherung aller. Solche Formen der Vermummung stehen dem Identitätsnachweis bei der Schulpflicht und der Teilnahme an Prüfungen entgegen. Herdmann: Missionieren ist ein weiteres Stichwort und ein Charakteristikum der Einflussnahme von Extremisten. Brhel: Und wenn sich dabei Gruppen bilden, kommt man schnell in die Narrative: Ihr und wir. Gläubig und ungläubig. Das führt schnell zu Ängsten und Konflikten. Hat es Koran-Verteilaktionen an Schulen im Kreis Gütersloh gegeben? Brhel: Ja, die gab und gibt es immer noch. Die Schulen haben ein Hausrecht, hält sich jemand nicht an die Schulregeln, wird er oder sie des Platzes verwiesen und es wird die Polizei gerufen. Lesen Sie auch: Islamistische Vorfälle an Schulen - wie sieht die Situation im Kreis Gütersloh aus? Warum werden solche Fälle nicht bekannt gemacht? Herdmann: Grundsätzlich kann etwas, was in der Presse veröffentlicht wird auch Schaden anrichten. Sehr bewusst und achtsam damit umzugehen ist wichtig. Der Pfad zwischen Aufklärung und Stigmatisierung ist dünn. Hier müssen wir aufpassen, dass Menschen nicht in Schubladen gesteckt werden. Aber ein Artikel oder ein Interview kann auch besseres Verständnis für gewisse Sachverhalte schaffen. Allein wenn man mal darstellt, dass ein solches Problem nicht einfach zu bewältigen ist... Herdmann: Ganz genau. Ich glaube, das ist eine echte Kernaussage. Wir haben hier tatsächlich ein echtes Problem – und zwar kein kleines. Hierfür gibt es keine einfachen Antworten. Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, die bisher noch nicht gefunden wurden. Vorfälle, bei denen deutlich gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen wird, brauchen echte Konsequenzen. Hier brauchen wir eine Auseinandersetzung darüber, wie es möglich ist, angemessen zu reagieren. Aus der Lerntheorie wissen wir, dass Konsequenzen ein wichtiges, basales pädagogisches Prinzip zur Verhaltensänderung sind. In der Schulberatung vertreten und vermitteln wir auch die Haltung, durch beharrliche Beziehungsgestaltung, sprich neue Autorität, positive Entwicklungen der Schüler zu unterstützen. Wer ist da gefordert? Herdmann: Nicht die Religion. Gefordert sind eigentlich alle. Letztendlich die Politik. Es sind die Entscheidungsträger gefordert, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, um bis in die Schule hinein handlungsfähig zu sein. Brhel: Die Schulen und vor allem die Schulleitungen dürfen nicht allein gelassen werden. Wie könnten denn Konsequenzen aussehen? Brhel: Gehen wir mal von einem Einzelfall aus: Ein Schüler wird gewalttätig, kriminell. Man nimmt ihn eine Weile aus dem System Schule raus und bringt ihn in eine außerschulische Maßnahme, um eine Verhaltensveränderung und eine Entwicklung anzustoßen. Es gibt hier beispielsweise Werkstätten, in denen Schüler aufgenommen werden können. So etwas wird auch durch das Jugendamt unterstützt. Wenn die Maßnahme ohne Erfolg verläuft, kehrt der Schüler wieder in seine Stammschule zurück, und die vorherige Problematik, inklusive der Bedrohungslage bleibt bestehen. Herdmann: In solch einem Einzelfall stoßen wir an unsere Beratungsgrenzen. Brhel: Glücklicherweise haben wir noch andere gute Netzwerkpartner, die wir um Unterstützung bitten können. Wie etwa die mobile Beratung gegen Rechts auf der rechtsextremen Seite oder im religiös begründeten Extremismus das Projekt Wegweiser, mit beiden haben wir hervorragende Erfahrung gemacht haben Lesen Sie auch: Hassbotschaften per Lieferdienst - Sorge in Gütersloher Moscheen wächst Geht es in Schulen zu liberal zu? Herdmann: Es prallen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Da ist unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Religionsfreiheit, die eher sehr liberal ist und unabhängig von Religion. Aber wenn wir über Islamismus sprechen geht es um die Scharia mit ihren knallharten und stringenten Gesetzen und den Strafempfehlungen mit Aufforderungen zur Gewalt sowie Länder, in denen Religionsausübung und Staatsausübung praktisch nicht voneinander getrennt sind. Hier kommt es verständlicherweise zu Konflikten. Verhalten, Rhetorik, Einstellung – wie lässt sich denn rechtzeitig erkennen, dass sich jemand radikalisiert und in eine Form des politischen oder religiösen Extremismus abgleitet? Brhel: Wir sind ein wenig weggegangen von der Symbolik, weil die sich so rasant ändert. Wir haben nicht mehr den Rechtsradikalen, der mit Springerstiefel und Hakenkreuz daherkommt. Es ist eher das Verhalten der Schüler, was man in den Blick nehmen könnte. Beim Islamismus ist es eine Ablehnung von westlichen Werten oder Produkten. Die Schüler hören auf einmal eine andere Musik. Coca Cola, Nike – alles aus Amerika, diese Sachen lehnen sie ab. Es kommt auch zum Rückzug. Die Religion ist das wichtigste, alles andere wird unwichtig. Bevor sie sich einer Gruppe anschließen, findet leider sehr viel über das Internet statt, im vermeintlich rechtsfreien Raum. Wir zeigen auf Lehrerfortbildungen oft Propagandavideos zur Aufklärung und die Lehrer sind entsetzt darüber, wie professionell die Filme gemacht und aufbereitet sind. Auf den ersten Blick ist es nicht nur für Laien schwer zu erkennen, dass es sich um extremistisches Gedankengut handelt. Darauf haben wir leider als Pädagogen keinen Einfluss mehr. Der Raum ist eben auf vier Wände und das I-Pad begrenzt. Gibt es Appelle, die Sie an Elternhäuser richten können? Brhel: Das sind die gleichen Appelle, die wir an die Lehrer schicken. Hingucken, hinschauen, offen sein, zuhören. Wichtig ist: Die Schule ist ein Schutz- und Schonraum und es ist auch eine Experimentierstätte. Schüler und Jugendliche müssen mal über die Strenge schlagen und sie dürfen sich mal ausprobieren. Aber sie müssen natürlich auch Regeln bekommen und diese einhalten. Herdmann: Einen Teil des Problems haben wir noch gar nicht benannt – das ist die Raumforderung. Es gibt immer mehr Schüler mit grundreligiösem Hintergrund, die Gebetsräume in Schulen fordern. Wie aktuell ist das Thema Gebetsräume an hiesigen Schulen? Herdmann: Tatsächlich fordern vermehrt muslimisch Gläubige Raum für die Ausübung ihrer Religion auch in der Schule. Der Grundgedanke ist, allen gerecht zu werden. Aber es ist schwierig, wenn religiöse Gruppen in Schulen Gebetsräume fordern. Schule kann nicht der Ort sein, Ausübungsstätten für alle Religionsformen zur Verfügung zu stellen. Es sollen alle gleichermaßen gesehen werden, was unser Grundgesetz in der Religionsfreiheit bestätigt. Deshalb informiert Schule über alle großen Religionsformen im Religions- beziehungsweise Ethikunterricht. Brhel: Unabhängig von der der Problematik mit den Gebetsräumen, ist die aktuelle Situation von Gewaltvorfällen an Schulen nicht neu. Seit über 25 Jahren gibt es im Kreis Gütersloh das Netzwerk Gewaltprävention. Man erfindet ja nicht vor 25 Jahren ein solches Netzwerk, wenn das Thema nicht damals schon brisant gewesen wäre. Es ist mit 30.000 Euro Kreismitteln pro Jahr ausgestattet, die wir in die Schulen und alle anderen pädagogischen Einrichtungen einbringen. Die Summe kann auf ganz niederschwellige Art für demokratiefördernde Projekte genutzt werden, in denen es darum geht, Werte und Haltung zu vermitteln. Sie selbst haben aktuell ein Projekt initiiert, in denen Sie Lehrer und Pädagogen zu sogenannten &bdquo;Mit-Trainern“ ausbilden. Was steckt dahinter? Brhel: Wir haben festgestellt, dass es im Bereich Demokratieförderung Bedarfe in den Schulen gibt. Deshalb haben wir mit der Partnerschaft für Demokratie in Rheda-Wiedenbrück und Schloß Holte-Stukenbrock ein gemeinsames Projekt gestartet. Dabei geht es um Demokratie als Lebensform, wir schulen pädagogische Fachkräfte, die am Ende der Ausbildung Workshops für Schüler anbieten können. Herdmann: Das &bdquo;Mit“ steht für Miteinander. Wir schulen 20 Personen in einer sechs Module umfassenden Ausbildung. Sie tragen an Kinder und Jugendliche, die demokratischen Werte und Haltung heran. Es geht darum, dass die Teilnehmer an ihrer Haltung arbeiten und das dann gerne auch weitergeben wollen in die pädagogischen Einrichtungen wie Kitas, Jugendzentren, aber insbesondere auch die Schulen. Das Projekt hat Anfang Februar angefangen und läuft bis in den Sommer. Wir gehen davon aus, dass jetzt erst die Pilotphase ist und dass es zukünftig Wiederauflagen gibt. Brhel: Es ist für das ganze Gütersloher Kreisgebiet ausgeschrieben, aber wir sind auch darüber hinaus aktiv geworden, zum Beispiel an der Uni in Bielefeld. Wir sprechen pädagogische Kräfte an, ausgebildete Lehrer oder Schulsozialarbeiter. Es nehmen aber auch Studenten aus pädagogischen Bereichen teil, die mindestens im fünften Semester sind. Herdmann: Es werden in den Projekten mit Schülern konkret Erlebnisse geschaffen, anhand derer Demokratie im Positiven erfahren wird – auch an den Problemstellen.

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