Nach Stellenabbau-Ankündigung: Gütersloher Miele-Mitarbeiter in großer Sorge

Gütersloh. Der Regen nieselt beim Schichtwechsel, es ist ungemütlich. An der Einfahrt zum Werktor 5 von Miele weht an diesem frühen Dienstagnachmittag ein eisiger Wind. Kameras sind in Position gerückt. Sie warten darauf, Stimmen einzufangen und jene in den Fokus zu rücken, die von den einschneidenden Veränderungen beim Weltkonzern aus der Dalkestadt betroffen sind – die Mitarbeiter. 5.650 Menschen sind es derzeit, die am Stammsitz arbeiten. Die ersten von ihnen sind einer anderthalbstündigen Informationsrunde von 12.15 bis 13.45 Uhr in die Pläne des Hausgeräteherstellers &bdquo;eingeweiht“ worden. Athanasios Lykopoulos ist einer von ihnen, 46 Jahre alt, Vater von fünf Kindern. Er redet ruhig und gefasst, spricht aber von einem &bdquo;Schlag ins Gesicht, der schwer zu verdauen ist“. Existenzen sind bedroht - viele Mitarbeiter in Sorge Wachstumsinitativen, Kostensenkung, 500 Millionen Euro an Einsparungen bis ins Jahr 2026 – darüber reden wollen die wenigsten. Die Stimmung gleicht dem Wetter. Ein Mann winkt kopfschüttelnd ab, hastet zum Parkplatz gegenüber. Ein anderer sagt: &bdquo;Ich war in der Versammlung, aber ich werde mich nicht äußern.“ Die wenigen, die sich auslassen, schwanken spürbar zwischen Beherrschung und Bewegtheit. Er arbeite seit zehn Jahren in der Montage, erzählt Athanasios Lykopoulos. Und dass dieser Job die Lebensgrundlage für seine Familie sei. Was nun kommt? Genau wisse er das noch nicht. Bekannt sei eben nur, dass 2.700 Stellen weltweit vom Abbau und Verlagerung betroffen seien. Markus Miele informiert die Gütersloher Mitarbeiter persönlich Markus Miele persönlich, einer der beiden geschäftsführenden Gesellschafter, hatte die Belegschaft in einer der ersten Präsenzveranstaltungen kurz nach Mittag über die Entwicklung und Pläne unterrichtet. &bdquo;Es wurde uns gesagt, dass man daran arbeite, dass möglichst wenige Leute entlassen werden. Es soll alles sozialverträglich passieren, doch genaue Daten gibt es nicht. Es steht noch nichts fest und es weiß auch keiner genau, wer betroffen ist“, fasst Athanasios Lykopoulos zusammen. Der Mann mit der kräftigen Statur, Vollbart und Brille wirkt äußerlich gefasst. Dann gewährt er einen Einblick ins Innere: &bdquo;Ich habe Angst. Angst, dass ich meinen Job verliere.“ Die Stimmung in der Belegschaft sei besorgniserregend und unruhig, sagt Lykopoulos. Man habe nicht damit gerechnet, dass es soweit kommen könne. &bdquo;Miele ist doch eine Weltmarke.“ Zahlen sind teilweise verwirrend Vor allem auf dem Waschmaschinen-Markt hat sich das Familienunternehmen aus Gütersloh über Jahre einen Namen gemacht. Von seiner Produktionsstätte am Hauptsitz sollen weite Teile ins Werk im polnischen Ksawerów verlagert werden. &bdquo;Dabei geht es um 700 Arbeitsplätze aus der Montage. Weitere 600 Stellen sollen über Altersteilzeit eingespart werden“, erzählt Sascha Eickhoff. Die konkreten Zahlen, manchmal gehen sie durcheinander. Es ist auch verwirrend. Von den 5.650 Beschäftigten arbeiten laut Konzernsprecher Carsten Prudent 1.550 in einem Bereich, der sich jetzt &bdquo;Operations“ nennt und weitgehend dem entspricht, was vorher GTG, Gütersloher Gerätewerk hieß. Betrachte man hingegen die gesamte Geschäftseinheit &bdquo;Laundry“, also Wäschepflege, sei man bei 1.900. Dann nämlich werden jene Mitarbeiter aus Forschung & Entwicklung (F&E) , Produktmarketing. Administration, etc. hinzu gezählt. &bdquo;Ich mache mir Sorgen, weil fast alle von den Maßnahmen betroffen sind“ Das so genau zuzuordnen, ist wichtig: Denn laut IG Metall entfallen von den 700 besagten Stellen 100 auf die F&E-Abteilung. Die würde damit ungefähr um ein Drittel schrumpfen – und somit erheblich an Bedeutung verlieren. Zudem handele es sich dabei oft um besonders hochwertige Arbeitsplätze: Jobs, die dann womöglichen im Miele-Service-Center im polnischen Posen oder am Standort im tschechischen Unicov erledigt würden. Die Zahl der Beschäftigten in Ksawerow, derzeit 400, dürfte derweil rapide steigen. Sascha Eickhoff, den 39-jährigen Beschäftigten aus Verl, werden solche Details interessieren. Er ist seit sechs Monaten bei Miele beschäftigt, in der Waschmaschinen-Produktion. Dass das Traditionsunternehmen weltweit bis zu 2.700 Stellen abbauen und Arbeitsplätze auf Gütersloh nach Polen verlagern will, sorge auch bei ihm für ein ungutes Gefühl. &bdquo;Es geht um mehrere Jahre, in denen das alles passieren soll. Bis Ende 2027 soll das geschehen. Natürlich ist es schwierig damit umzugehen. Ich mache mir Sorgen, weil fast alle von den Maßnahmen betroffen sind.“ Seit Monaten hätten die Gerüchte kursiert. Die jetzt dargelegten Zukunftspläne seien von den meisten &bdquo;mit Fassung aufgenommen“ worden, so Eickhoff. Was bleibt dann noch für Gütersloh? Die Frage, die sich viele stellen: Wenn bald nahezu alle Waschmaschinen in Ksawerow montiert werden, was bleibt dann noch für Gütersloh? Tatsächlich nur noch die Spezialgeräte (Waschtrockner, Kleingewerbemaschinen) und die Vormontage? Ziemlich wenig, finden Gewerkschaftsvertreter, vor allem: ziemlich riskant. Was ist, wenn die Geschäftsleitung findet, der ganze Transport zwischen Polen und Gütersloh sei auf Dauer zu teuer, zu umständlich? Was ist, wenn in Gütersloh das Presswerk und die Gießerei in die Jahre kommen und die Entscheidung ansteht, wo man investiert, erneuert? Kein Wunder, dass Gewerkschafter und Betriebsräte fürchten, die 700-Stellen-Verlagerung sei nur ein &bdquo;erster Schritt“. Arbeitnehmer-Vertreter reagieren wütend auf die Nachrichten aus Gütersloh Nicht von ungefähr reagierten die Arbeitnehmer-Vertreter am Dienstag mit Verständnislosigkeit und auch ein wenig Wut. Im 125. Jahr seiner Firmengründung rücke der Konzern offensichtlich von seinem Qualitätsversprechen ab, &bdquo;Immer besser“ werden zu wollen, äußerte sich Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall in NRW. &bdquo;Statt in Produktinnovationen und Qualität zu investieren, soll verlagert und Personal abgebaut werden.“ Dabei handele es sich um eine klassische &bdquo;Billiger statt besser“-Strategie, hieß in einer Mitteilung am Dienstag aus Düsseldorf. Demnach fordere man Miele dazu auf, gemeinsam über Alternativen zu verhandeln. Zwar sei die Marktsituation angespannt, es gebe jedoch nach den Rekordjahren 2020 bis 2022 keinen Grund beim ersten Gegenwind zu solchen Maßnahmen zu greifen, so Giesler weiter. Bernd Schreiber, Betriebsratsvorsitzender des Miele-Werks in Gütersloh, sprach beim geplanten Umfang des Stellenabbaus im Gerätewerk von einem &bdquo;Desaster für die Menschen, die Miele groß gemacht haben“. Man wolle den Verlagerungs-Plänen nach Polen nicht tatenlos zusehen und kündigte einen Kampf um Arbeitsplätze an. &bdquo;Eine geräuschlose Abwicklung wäre der Situation in keiner Weise angemessen“. Lesen Sie auch: Verlierer auf allen Seiten - Kommentar zur aktuellen Miele-Situation Gibt es einen Kulturbruch bei Miele? Birgit Bäumker, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Miele, forderte &bdquo;Zusagen für Beschäftigungs- und Standortsicherung mit Innovationszusagen und Zukunftsperspektiven“ für die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung. Für Thomas Wamsler von der IG Metall Gütersloh-Oelde folgt der Stellenabbau bei Miele den Rezepten von großen Beratungsunternehmen. &bdquo;Kopfzahlen abbauen, die Auswirkungen später beleuchten“. Die Verlagerungsentscheidung aus Gütersloh stellt aus seiner Sicht einen Kulturbruch bei Miele dar. &bdquo;Wir gehen davon aus, dass das Auswirkungen auf andere Standorte hat.“ Lesen Sie auch: Stellenabbau bei Miele befeuert Sorge um Wirtschaftsstandort OWL

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