JVA-Häftlinge aus Kreis Gütersloh schreiben Brief an NRW-Justizminister – und der kommt

Kreis Gütersloh. &bdquo;Ich habe mich selbst eingeladen“, erklärt NRW-Justizminister Benjamin Limbach ganz ungeniert. Er will die Jungs kennenlernen, die hinter dem Brief stecken, den er erhalten hat. &bdquo;Es kommt verdammt selten vor, dass Inhaftierte den Minister anschreiben, um sich zu bedanken“. Er wolle das Projekt kennenlernen, von dem die Begeisterung ausgeht und das der Minister nicht kennt. &bdquo;Ich komme als Lernender“, und so sitzt er am Donnerstagmorgen treffenderweise im Schulungsraum der JVA-Außenstelle Clarholz und erfährt die Hintergründe seiner Häftlings-Post. Geschrieben haben sie Yannis und Klaus (Namen geändert), die als Häftlinge im offenen Vollzug im vergangenen Jahr an dem Jungtäter-Projekt &bdquo;Trialog der Religionen“ teilgenommen haben. Nicht ganz freiwillig, wie beide erklären, aber die Vorbehalte hätten sich schnell erledigt. Zunächst hatten die Häftlinge keine Lust auf das Projekt Heute schwärmen beide von dem zweiwöchigen Projekt – und zwar so sehr, dass sie sich wünschen, dass alle Häftlinge ein solches Programm durchlaufen. Dem Minister legen sie nahe, er möge das, was sich die Haftanstalt Bielefeld-Senne für ihre Außenstellen Verl und Clarholz ausgedacht hat, bitte auch an andere JVA übertragen. &bdquo;Ich hatte keine Lust auf das Projekt“, gibt Yannis zu. &bdquo;Aber es wurde von Tag zu Tag interessanter.“ Gemeinsam mit der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, dem Verein &bdquo;Begegnen“ und dem Kolping Berufskolleg ist er mit 19 anderen Inhaftierten aus dem Jungtätervollzug in verschiedene Gotteshäuser gegangen, hat sich eine Synagoge angesehen, eine Moschee kennengelernt und eine christliche Kirche. Bei einem Stadtrundgang durch Bielefeld wurden Spuren jüdischen Lebens entdeckt. Ein Ausflug zur Gedenkstätte Wewelsburg stand auf dem Programm sowie das ehemalige Konzentrationslager Niedernhagen. Dazu folgte ein Austausch mit einem Rabbiner, einem Imam und einem Pfarrer. &bdquo;Bringt das was?“ lautet die entscheidende Frage. &bdquo;Ja“, sagt Yannis, &bdquo;das Projekt macht was mit einem.“ Fünfeinhalb Jahre Haft lautet sein Strafmaß, seit kurzem ist er im offenen Vollzug. Hier sei der Umgang ohnehin ein anderer, ein toleranterer. Im geschlossenen Vollzug aber spiele Religionszugehörigkeit eine entscheidende Rolle. Der Strafvollzug ist muslimisch geprägt. Yannis ist Jeside, eine verfolgte Minderheit. Früherer Vorsitzender von Arminia Bielefeld deportiert und ermordert &bdquo;Die Tatsache, dass ich Schweinefleisch esse, hat für reichlich Konfrontation gesorgt. Ich wurde als Teufelsanbeter beschimpft.“ Er berichtet von Mobbing und Ausgrenzung. &bdquo;Es gibt Freunde, es gibt Feinde unter Mithäftlingen.“ Letztere seien nicht selten durch Vorurteile geprägt. &bdquo;Als wir gesehen haben, wie der Rabbiner, der Pfarrer und der Imam miteinander geredet haben, haben wir die Botschaft der drei Priester verstanden. Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede und alle drei Religionen wünschen sich Frieden.“ Yannis hat durch das Projekt viel über den Nationalsozialismus gelernt. Es wurde auch Geschichtswissen gebüffelt. Der Gang von der Wewelsburg zum KZ Niedernhagen sei ihm noch gut in Erinnerung. &bdquo;Eigentlich ist das nur noch eine Wiese, aber keiner von uns hat ein Wort gesprochen. Es war beklemmend.“ Am Alten Markt in Bielefeld steht die Gruppe junger Häftlinge vor dem ehemaligen Sportgeschäft des jüdischen Kaufmanns Julius Hesse. Er war Vereinsvorsitzender von Arminia Bielefeld. Hesse half dem Verein 1910 aus finanziellen Schwierigkeiten – später wurde er deportiert und in Theresienstadt ermordet. &bdquo;Für mich als Fußball-Fanatiker eigentlich unfassbar“, sagt Yannis, der diese Seite des Vereins erst jetzt kennen-gelernt hat. Häftlinge lernen sich durch Projekt besser kennen &bdquo;Wir haben mit unseren Vorurteilen wirklich aufgehört“, erklärt Klaus (26). Er ist inzwischen entlassen und ist als Gast zurück in die JVA Clarholz gekommen, um über seine Erfahrungen im Projekt zu berichten. &bdquo;Ich gehe heute viel vorbehaltloser auf Menschen zu.“ Seine Mithäftlinge habe er damals durch das Projekt viel besser kennen- und verstehen gelernt. &bdquo;Abends haben wir uns die ganze Zeit weiter ausgetauscht, haben diskutiert und den anderen davon berichtet.“ Vermutlich die beste Werbung, die sich die JVA und ihre Kooperationspartner wünschen können. &bdquo;Viele Häftlinge behaupten, sie würden nie einen Fuß in eine Synagoge setzen. Wenn sie es im Rahmen des Projektes dann doch tun, bin ich sehr zufrieden“, sagt Katharina Arditi, Geschäftsführerin des Vereins &bdquo;Begegnen“. Es seien die kleinen Schritte, die zählen. Yannis möchte bei der Gelegenheit noch etwas loswerden. Er erklärt, dass das Selbstbewusstsein nicht nur bei ihm in der Haft gelitten habe. Als Verurteilter habe man die Achtung vor sich selbst verloren, fühle sich wertlos. &bdquo;Mit welcher Herzlichkeit und Respekt wir Häftlinge aber in der Bielefelder Synagoge empfangen wurden, das haben wir nicht erwartet. Das hat uns berührt.“ Begegnung von Kulturen hat viel bewegt Irith Michelson von der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld sitzt mit am Tisch, lächelt und gibt das Lob gerne zurück: &bdquo;Die Zusammenarbeit mit Häftlingen hat uns geholfen, eine große Krise zu überwinden.“ Im vergangen Jahr habe man 500 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Häftlinge hätten geholfen, das ehemaliges Pfarrhaus zu renovieren. Die Gemeinde hätte nicht gewusst, wie es ohne diese Hilfe hätte klappen können. Mittags habe man gemeinsam gegessen. &bdquo;Diese Begegnung der verschiedenen Kulturen am Tisch hat viel bewirkt“, erklärt Michelson. Zu manchen Häftlingen halte sie heute noch Kontakt. Zu Yannis auch. Der hat unlängst eine neue Datenbank für die Kultusgemeinde errichtet. Außerdem durfte er sein dreimonatiges Pflichtpraktikum dort absolvieren. Er studiert im offenen Vollzug Soziale Arbeit. &bdquo;Ich persönlich habe sehr von dem Projekt und all den Kontakten profitiert“, ist Yannis dankbar. So dankbar, dass ihm die Idee mit der Post an Minister Limbach kam. Zwei mal ist &bdquo;Trialog der Religionen“ inzwischen durchgeführt worden. &bdquo;Wir machen auf jeden Fall damit weiter“, sagt Kerstin Höltkemeyer-Schwick, Leiterin der JVA Bielefeld-Senne. In diesem Jahr sollen 15 Teilnehmer aus dem Jungtäter-Projekt in der JVA Verl und Clarholz teilnehmen. Und der Justizminister verspricht, dass er Werbung machen werde, für das, was er in Clarholz erfahren habe. Bereichsleiter der JVA Bielefeld-Senne: "Solche Eindrücke verändern einen Menschen.“ Denn noch etwas lernt Limbach im Schulungsraum an der Holzhofstraße: Auch die Justizbeamten sind von dem Programm angetan. &bdquo;Die Bediensteten der Außenstellen sind gemeinsam nach Auschwitz gefahren, um das KZ zu besichtigen“, sagt Daniel Schulte, Bereichsleiter der JVA Bielefeld-Senne. Weitere politische Bildungsreisen seien angedacht. Bringt das was? Die Frage wird ein weiteres mal mit Ja beantwortet: &bdquo;Von dieser Reise zehre ich heute noch“, sagt Schulte, &bdquo;solche Eindrücke verändern einen Menschen.“

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