Kind nach Behandlungsfehler behindert - Gütersloher Klinikum muss 500.000 Euro zahlen

Gütersloh/Bielefeld. Unter anderen Umständen würde Bassam G. (Name geändert) in diesem Sommer vielleicht Schwimmen lernen. Vielleicht würde er auch mit anderen Kindern draußen Fangen, Verstecken oder Fußball spielen – was Kinder in seinem Alter eben so machen. Unter anderen Umständen. Denn der Junge aus dem Kreis Gütersloh, der demnächst sechs Jahre alt wird, ist seit seiner Geburt schwerstbehindert und wird zeitlebens ein Pflegefall bleiben. Dies wäre wohl zu verhindern gewesen, hätten die Ärzte bei seiner Geburt richtig reagiert. Das Bielefelder Landgericht hat aufgrund eines folgenschweren Behandlungsfehlers der Familie des Jungen nun ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 Euro zugesprochen. Die damals 27 Jahre alte Mutter von Bassam war schwanger, als sie im Juli 2017 im Klinikum Gütersloh vorstellig und schließlich am 19. August zur Geburt dort aufgenommen wurde. Doch von da an gehen die Aussagen auseinander. Die aus Syrien stammende Frau gibt an, mangels ausreichender Deutschkenntnisse mittels einer Dolmetscherin von Beginn an betont zu haben, dass sie eine Geburt per Kaiserschnitt wünsche. Sie habe zwei Jahre zuvor bereits ihr erstes Kind auf diese Weise zur Welt gebracht. Die Klinikmitarbeiter hingegen sagen, dass die Frau einen Kaiserschnitt abgelehnt habe – sogar dann noch, als sich bereits erhebliche Komplikationen abzeichneten und ihr deutlicht gemacht worden sei, dass ihr Kind Schaden nehmen könne. Fest steht, dass Bassam G. während des bereits mehrstündigen und schwierigen Geburtsvorgangs spätestens um 0.40 Uhr am 20. August 2017 ein pathologisches Herzfrequenzmuster aufwies. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, so einer der zwei vom Gericht als Sachverständige hinzugezogenen Gutachter, hätte die vaginale Geburt nur unter der Voraussetzung von Mikroblutuntersuchungen, die Auskunft über den Versorgungszustand des Kinds gegeben hätten, fortgesetzt werden dürfen. Diese Untersuchungen seien jedoch ausgeblieben. Junge kam ohne eignen Herzschlag zur Welt Spätestens, so führte der Gutachter weiter aus, sei die Beendigung des Geburtsvorgangs um 0.50 Uhr angezeigt gewesen. Doch entschieden sich die Ärzte erst um 1.40 Uhr zum Not-Kaiserschnitt. Zu diesem Zeitpunkt war das Gehirn von Bassam G. bereits viel zu lange unterversorgt gewesen. Der Junge kam schließlich um 1.53 Uhr ohne eigenen Herzschlag und damit klinisch tot zur Welt. Erst 20 Minuten später führten die sofort eingeleiteten Reanimationsbemühungen zu einem eigenen Herzschlag des Kinds, das im Anschluss direkt in die Kinderklinik Bethel verlegt wurde. Die Eltern des schwerstbehinderten Jungen klagten vor dem Bielefelder Landgericht auf ein &bdquo;angemessenes Schmerzensgeld“. Die Klinik beantragte, die Klage abzuweisen – ein Behandlungsfehler liege nicht vor. Diese Einschätzung teilten die hinzugezogenen Gutachter jedoch ebenso wenig wie in der Folge die 4. Zivilkammer des Landgerichts unter dem Vorsitz von Richter Matthias Windmann. Landgericht findet die Version des Klinikums Gütersloh nicht schlüssig Im Geburtsprotokoll hatte ein Oberarzt vermerkt, dass aufgrund der schlechten &bdquo;Compliance“ der Patientin zu einem Kaiserschnitt geraten worden sei. Dieser sei von der Frau trotz Aufklärung über mögliche Schäden bis hin zum möglichen Tod des Kinds jedoch abgelehnt worden. Dies erschien dem Gericht allerdings nicht schlüssig: In diesem Zusammenhang erscheine es &bdquo;wenig lebensnah beziehungsweise vielmehr lebensfremd, wenn die Mutter trotz des Hinweises, dass ihr Kind sterben könnte, sollte ein Kaiserschnitt nicht durchgeführt werden, dennoch ohne nachvollziehbaren Grund auf eine vaginale Entbindung bestanden hätte“, heißt es im Urteil – nicht zuletzt, weil die Frau ja bereits zuvor ein Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht habe. Stattdessen äußerte das Gericht Zweifel an der einwandfreien Aktenführung der Klinik: Für diese nämlich seien Gründe denkbar, warum in Kenntnis des Geburtsverlaufs nachträglich über das – undatierte – Geburtsprotokoll hinausgehende Hinweise an die Kindesmutter dokumentiert sein könnten. Das Gericht sprach der Familie von Bassam G. aufgrund des groben Behandlungsfehlers seitens der Klinik ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 Euro zu. Geld für ein Leben in Pflege.

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