B61-Brücke in Gütersloh: War die Gestaltung wichtiger als die Funktion?

Erst laufen die Zeit und die Kosten davon, jetzt werden der neuen Fußgänger- und Radfahrerbrücke über die B61 auch noch eklatante Sicherheitsmängel attestiert. Wer es positiv sieht, könnte meinen: Gott sei Dank ist das Bauwerk noch nicht freigegeben, da kann wenigstens nichts Schlimmes passieren. Aber im Ernst: Die Sache ist inzwischen mehr als ärgerlich und fordert eine Ursachenforschung geradezu heraus. Doch wo soll man da anfangen? Vielleicht bei der Ausschreibung des Architektenwettbewerbs, mit dem die bestmögliche Variante für eine Überquerung der Bundesstraße gesucht wurde. Im Archiv findet sich dazu eine Mitteilung der Stadt, nach der drei &bdquo;Bewertungsrahmen“ zugrunde gelegt wurden: Gestaltung, Funktion und Wirtschaftlichkeit. Hier könnte schon der Hund begraben liegen. Stand Ästhetik in der Gewichtung über der Funktion? Da an erster Stelle die Gestaltung stand, wurde von den Wettbewerbsteilnehmern möglicherweise das größte Augenmerk genau darauf gelegt. Jedenfalls lobte die Jury hinterher denn auch besonders die &bdquo;Leichtigkeit und schwebende Wirkung“ des Siegerentwurfs. Doch nicht zu vergessen, gilt unter anderem in der Architektur noch immer der Leitsatz &bdquo;Die Form folgt der Funktion“. Die Umsetzung scheint in diesem Fall jedoch nicht zu 100 Prozent geklappt zu haben. Sonst wären die Planer erst gar nicht auf die Idee gekommen, in die Brückengeländer Querstreben einzubauen, die Kinder zum Beklettern der Geländer animieren und dadurch Unfalle provozieren könnten. Letztlich stand wohl, wie auch der Gemeindeversicherer vermutet, die Ästhetik in der Gewichtung über der Funktion. Fragt sich, warum dem noch vor Baubeginn eingeschalteten TÜV dies bei seiner Begutachtung nicht aufgefallen ist und stattdessen das Bauwerk als sicher und mangelfrei eingestuft wurde. Ein Gefälligkeitsgutachten? Fraglich, ob sich die wahren Hintergründe irgendwann aufklären lassen. B61-Brücke als Kunstwerk Denkbar wäre zum Beispiel auch, dass in der Jury bereits 2019 bei der Preisvergabe Zweifel aufkamen und deshalb sicherheitshalber der TÜV eingeschaltet wurde – noch vor der Auftragsvergabe. Immerhin war geballter Sachverstand im Preisgericht versammelt, um die Sicherheitsaspekte beurteilen zu können. So gehörten dem Gremium unter anderem ein Ingenieur aus Düsseldorf als Vorsitzender an, ein Ingenieur aus Paderborn und nicht zuletzt der damalige Gütersloher Bürgermeister Henning Schulz, seines Zeichens Architekt. Darüber hinaus erstaunt, dass es trotz der zeitlichen Verzögerungen und der gestiegenen Kosten während der Bauphase, verbunden mit Kritik und Spott aus der Bevölkerung, vorwiegend Lob in den zuständigen Ratsgremien gab. Mit der neuen Brücke werde ein Kunstwerk erschaffen, hieß es gar, unter anderem um Vergleiche mit der im Eiltempo errichteten Nobilia-Brücke über die Autobahn wegzuwischen. Ein Kunstwerk war überhaupt nicht verlangt. Doch wer den berühmten &bdquo;Gütersloher Standard“ gewohnt ist, stellt auch an Profanbauten besonders hohe Ansprüche. Motto: Hier sind neben einem Stadttheater, dessen Neubau die Grenzen des bauphysikalisch Machbaren beinahe überschritten hat, selbst Straßenbrücken gestalterisch geradezu unübertroffen; so etwas gibt es sonst nirgends. Doch was hilft die schönste Brücke, die aus einem filigranen Gewand aus Rost daherkommt, wenn sie ihren eigentlichen Zweck nicht erfüllt? Prüfer stellt viele Mängel fest Als wären der Ärger und die Enttäuschung darüber nicht schon groß genug, lässt abgesehen von der Sicherheit auch noch die Ausführung zu wünschen übrig. So hat die Prüfung der kleinen wie der großen Brücke durch einen unabhängigen Gutachter jede Menge weiterer Mängel ans Tageslicht gebracht. Das betrifft Lagersockel, die nicht der Statik entsprechen, Wasserstau und mangelnde Abläufe, fehlende Revisionsdeckel für die Betriebstechnik und, und, und. Unterm Strich sprang mit den Noten 2,2 und 2,4 gerade mal eine befriedigende Bewertung heraus. Und das bei einem nagelneuen Bauwerk, das fast 5 Millionen Euro gekostet hat, aber erstmal unpassierbar bleibt. Die Sache scheint von Beginn an wie verhext. Und jetzt ist guter Rat teuer. Egal, in welcher Form Hand angelegt wird, um die Sicherheitsmängel zu beseitigen – der Ursprungsentwurf dürfte infolge der nötigen Eingriffe einiges an seinem Esprit einbüßen. Besser Tunnel statt Brücke? Aber erst einmal muss überhaupt ein realisierbarer Weg aus dem Schlamassel gefunden werden. Nicht wenige werden es wohl ahnen: Das kann dauern und wird bestimmt teuer. Und in Zukunft? Auf Architektenwettbewerbe lieber verzichten, stattdessen auf bewährten und gezielt gewählten Sachverstand vertrauen? Vielleicht baut man bei nächster Gelegenheit auch besser einen Tunnel statt einer Brücke. Womöglich kommt schon in absehbarer Zeit die Chance dazu: beim Durchstich zwischen Hauptbahnhof und Quartier &bdquo;Gleis 13“.

Meistgelesen