Waffen und Weihnachten? Gütersloher Theologe spricht über Paradoxon des Krieges

Jeanette Salzmann schrieb am Do., 8.12., 10:35 Uhr: Lieber Herr Wischnath, nur noch ein paar mal schlafen, dann ist Weihnachten. &bdquo;Frieden auf Erden“ wird es wieder heißen in allen Kirchen – wie immer. Vor unserer weltpolitischen Lage klingt das doch in diesem Jahr wie eine Provokation, oder sind Theologen unerschütterlich in ihrem Glauben? Rolf Wischnath schrieb am Do., 8.12., 15:27 Uhr: Liebe Frau Salzmann, Vor einigen Tagen habe ich bei meinen Kindern und Enkelkindern in Berlin-Kreuzberg übernachtet. In der Frühe brennt es im Treppenhaus. Die Feuerwehr löscht den Brand professionell. Und wir sind noch einmal davongekommen. &bdquo;Gott sei Dank!“, sage ich. Das Feuer hat uns in Frieden gelassen. Ist mein Glaube aber da &bdquo;unerschütterlich“? Überhaupt nicht. Warum soll Gott denn mich und meine Lieben gerettet haben. Aber die in Kiew oder in Odessa von Raketen erfassten und verbrannten Ukrainer rettet er nicht? Oft ist der Glaube schwer. Und ich zögere und zage manchmal sogar immerzu. Dauernd muss ich mich mit Einwänden herumschlagen, die ich nicht kurz und knapp beantworten kann. Der weihnachtliche Frieden über den Hirtenfeldern Bethlehems und der sehr unweihnachtliche Unfrieden in den Städten der Ukraine bringe ich nicht hurtig ins Verhältnis zueinander. Es geht, aber Sie müssten mir etwas Raum und Zeit geben. Jeanette Salzmann schrieb am Fr., 9.12., 10:54 Uhr: Lieber Herr Wischnath, Raum und Zeit sollen Sie bekommen, wenn es Ihnen gelingt, mich zu überzeugen. Also wie ist das mit dem &bdquo;Frieden auf Erden“? Das sollen doch die &bdquo;himmlischen Heerscharen“ gesungen haben. Oder? Rolf Wischnath schrieb am Fr., 9.12., 20.05 Uhr: Liebe Frau Salzmann, die Engel in der Legende von der Geburt des Christus (Lukas 2) sind Symbol für die Gegenwart des Gottes Israels bei den Lumpenproleten auf dem Hirtenfeld bei Bethlehem. Der Sohn Gottes wird im Stall geboren. Ihm ist nichts zu niedrig. &bdquo;Frieden auf Erden“ ist der &bdquo;Schalom“, hebräisch: &bdquo;Frieden, Heil, Glück, Wohlbefinden und Gottesnähe“. Dieser &bdquo;Schalom“ wird den Hirten zugesagt. Nichts trennt sie (und uns) mehr von Gott. Wer im &bdquo;Schalom“ lebt, lebt im Frieden Gottes, im Frieden mit seinen Zeitgenossen und mit sich selbst. Ein großes Versprechen! Ganz wunderbar finde ich, dass in Israel &bdquo;Schalom“ das deutsche &bdquo;Guten Tag“ ist, also der alltägliche Gruß und Wunsch für den &bdquo;Frieden auf Erden“ – und im eigenen Leben. Jeanette Salzmann schrieb am Mo.,12.12., 10:45 Uhr: Lieber Herr Wischnath, &bdquo;Schalom“ als Grußformel finde ich auch ganz entzückend. Ausgerechnet in Israel wirkt dieser Wunsch dennoch bizarr vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen. Aber vielleicht ist das Beispiel deshalb perfekt gewählt von Ihnen. Ich akzeptiere, dass Frieden auf Erden im theologischen Sinne eine innere Haltung ist. Mehr noch. Es ist ein von Christus selbst gegebenes Gebot, oder? Liege ich richtig wenn ich sage, es gibt zwei Sorten von Frieden: einen inneren und einen äußeren? Einen politischen und einen theologischen. Oder lässt sich Frieden nicht splitten? Rolf Wischnath schrieb am Mo., 12.12., 13.26 Uhr: Liebe Frau Salzmann, den Ausdruck &bdquo;innerer Frieden“ mag ich gar nicht. Eine alte Weise, die bis heute nicht nur bei überaus frommen Ostwestfalen und Ostwestfälinnen – bewusst nenne ich beide Geschlechtsformen – gern gesprochen und gesungen wird, lautet: &bdquo;Und mag die Welt auch noch so sausen, wir wollen hier im Stillen hausen.“ Es gibt wohl den Frieden mit Gott, der uns bis in den Tod hinein und über den Tod hinaus begleitet. Aber niemand darf sich dieses Friedens erfreuen, ohne schon jetzt alles in seinen Möglichkeiten zu tun, um dem Morden unter den Völkern Einheit zu gebieten. In der Weihnachtsgeschichte (Lukasevangelium 2, 14) wird &bdquo;die Ehre Gottes“ unlösbar mit dem &bdquo;Frieden auf Erden“ (nicht im Himmel) verbunden. Man kann also nicht mit den Kindlein unterm Weihnachtsbaum bei Kerzenschein sitzen, ohne schon jetzt im Alltag unseres Lebens alles zu tun, um der Gewalt und dem Morden unter den Völkern zu widersprechen. Das gilt zu Weihnachten 2022 so dringlich im Blick auf die Kriege in der Ukraine, im Jemen oder in Afghanistan und sonst wo. Nach meiner Meinung, bedeutet der diesjährige Weihnachtsfrieden: Christen können unter keinen Umständen damit einverstanden sein, Angriffswaffen in Kriegsgebiete zu liefern. Das war ja mal Staatsräson. Jeanette Salzmann schrieb am Di.,13.12., 19:45 Uhr: Lieber Herr Wischnath, aufgrund ihres Alters gehe ich davon aus, dass Sie in den Nachkriegsjahren sehr viel unmittelbarer mit den Folgen von Krieg konfrontiert waren als ich. Hat Sie das geprägt? Ich bin ganz sicher. Rolf Wischnath schrieb am Di., 13.12., 22:05 Uhr: Liebe Frau Salzmann, mein Vater war von 1933 bis 1945 Soldat der Wehrmacht. Das hat natürlich auch mich (* 1948) geprägt. Wichtiger für mich wurde aber dann der Schulpfarrer am Evangelisch Stiftischen Gymnasium Otfried Sander, der schon im Gesicht durch einen Augenverlust vom barbarischen Krieg gezeichnet war. Er war ein überzeugter und überzeugender Pazifist. Trotzdem habe ich den Wehrdienst nicht verweigert. Ich bin vielmehr von 1967 bis 1969 zur Bundeswehr in ein Artillerie-Bataillon gegangen. Dort wurde ich auf Offizierslehrgänge geschickt und entsprechend befördert. Eine Ausbildung als Geschützführer an der Panzerhaubitze M 109 konfrontierte mich mit einer Waffe ungeheuren Ausmaßes. Es gibt sie ja in nachgerüsteter Variante immer noch. Rufen Sie mal im Internet &bdquo;M 109“ auf. Dann lesen Sie, welche Zerstörungs- und Massenmord-Kraft in dieser Waffe steckt. Norwegen hat im Juni 20 modernisierte M 109 in die Ukraine geliefert. Belgien schickte gleich 60 dieser Haubitzen. Das ist eine verhängnisvolle militärische &bdquo;Ertüchtigung“, wie die Kriegssprache das nennt. Verheerend sind die &bdquo;Erfolge“ dieser Zulieferungen: Tote über Tote produziert die M 109. Und sie macht die sie Bedienenden kalt und gefühllos. Das hat mir gereicht. Jeanette Salzmann schrieb am Mi.,14.12., 9:20 Uhr: Lieber Herr Wischnath, als Christ und Pazifist mögen Sie den Krieg und die Waffenlieferungen ablehnen und so ihr Gewissen salvieren. Was aber können Pazifisten für die Beendigung von Kriegen tun? Nur die Empfehlung an eine Kriegspartei sich zu ergeben, ist mir wirklich zu wenig. Rolf Wischnath schrieb am Mi., 14.12., 16:11 Uhr: Also, liebe Frau Salzmann, eine pazifistische Überzeugung hat in Deutschland noch nie bei den sogenannten &bdquo;Realpolitikern“ politische Anerkennung gefunden. Der Bundeskanzler Scholz hat am 1. Mai bei einer Kundgebung in Düsseldorf den ganz wenigen Pazifisten, die da gegen seinen Kriegskurs demonstrierten, zwar zugerufen, er respektiere wohl jeden (!) Pazifismus, aber heute gelte: &bdquo;Das ist aus der Zeit gefallen!“ Gar nichts respektiert er. Aus der Zeit gefallen sind die hundert Milliarden für die Aufrüstungen. Aber es wundert mich nicht: Pazifismus war immer eine Minderheitsmeinung, die – wie sie am Beispiel meiner Volkstrauertagsrede sehen konnten – sich viel gefallen lassen muss. In Russland und der Ukraine werden Kriegsdienstverweigerer unversehens weggesperrt. Und wer in unserem Land sich als Pazifist outet, darf nicht weinerlich, empfindlich und wehleidig sein. Von jedem Pazifisten allerdings ist ein hoher Einsatz für die vor dem Krieg Flüchtenden zu erwarten. Da bewähren sich Viele. Das steht nicht in der NW. Gegen die Kriegsgesinnungen, die ja durch die allermeisten Medien ihre Gewissensprobleme behoben sehen, werben wir für Deeskalation, gegen einseitige Schuldzuweisungen, gegen die Unvernunft der Waffenlieferungen. Gewaltlosigkeit bedeutet ja nicht Widerstandslosigkeit. Es ist daran zu erinnern, wie stark gewaltfreie Methoden des Widerstandes vielfältig und erfolgreich sich haben durchsetzen können. Viele Beispiele wären da zu nennen. In Deutschland hat es 1989 eine friedliche Revolution gegeben hat, bei der kein einziger Schuss abgegeben worden ist. Jeanette Salzmann schrieb am Mi.,14.12., 20.13 Uhr: Lieber Herr Wischnath, meine Frage scheint Sie etwas grimmig zu machen. Ich kann Ihren Argumenten folgen, allerdings nicht bis zum logischen Ende. Nur Unterschlupf zu bieten mag ein friedlicher Akt sein, aber haben wir nicht durch die Friedenseinsätze etwa der Blauhelme gelernt, dass wir handeln müssen? Die UNO-Schutztruppe schaute im Sommer 1995 tatenlos zu, wie in der ostbosnischen Stadt Srebrenica 8.000 muslimische Männer bestialisch ermordet wurden. Auch wir Christen müssen handeln – oder gerade wir Christen. Oder wollen Sie ernsthaft Mord und Totschlag mit ansehen, während Sie die Instrumente besitzen, dieses verhindern zu können? Machen wir uns in solchen Momenten vor Gott nicht sogar mitschuldig? Rolf Wischnath schrieb am Do., 15.12., 10:11 Uhr: Liebe Frau Salzmann, Pazifismus wird häufig als lammfromme Passivität ironisiert. Pazifisten sind da sanftmütige Individuen, die jegliche Formen von Gewalt demütig hinnehmen. Das ist eine Karikatur. Muss ich denn sagen, dass ich polizeiliche Gewalt gegenüber Mördern für dringend und notwendig erachte? Soll ich auch erklären, dass ich UNO-Schutztruppen für unerlässlich halte, auch wenn sie sich in Srebrenica katastrophal verhalten haben. Muss ich sagen, dass ich wenige Auslandseinsätze der Bundeswehr für erforderlich, ja für geboten halte? Nun aber ein sehr anderes aktuelles, pazifistisches Beispiel: Die tapferen Frauen im Iran zeigen derzeit, dass Gewaltlosigkeit eine aktive, ja aggressive Form annehmen kann. Sie ist als solche ebenso wenig wie die Gewalt eine Sache von mehr oder weniger guten Idealisten. Sie ist vielmehr in politische, zivilgesellschaftliche, alltägliche Zusammenhänge eingebunden. So allein hat Pazifismus 1989 in oft wütender Gestalt den gewaltigen ohne Waffen erstrittenen Erfolg: die friedliche Revolution. Die politische Diskussion und die erheblichen Unterschiede in der Einschätzung muss man in der Demokratie aufnehmen und durchstehen: Wo verläuft die Grenze zwischen notwendiger Gewalt und wann sind friedliche oder auch aggressive Gewaltlosigkeit unerlässlich? Wie stehe ich in dieser Situation vor Gott? Das entscheide ich nicht. Ich versuche aber, das Gebot der Friedfertigkeit, der Feindesliebe und des Schwertverzichts des Jesus von Nazareth zu achten. Jeanette Salzmann schrieb am Do., 15.12., 12:45 Uhr: Lieber Herr Wischnath, kann es nicht sein, dass wir alle nach so vielen Jahrzehnten des Friedens verlernt haben, über Pazifismus nachzudenken, nachzuspüren und eine eigene Haltung zu entwickeln? Und auch verlernt haben, darüber zu diskutieren. Immerhin hat die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, im April die Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine unterstützt. Die Zerrissenheit in der Bevölkerung bezüglich einer Waffenlieferung macht also nicht Halt vor obersten Theologen. Ich denke, deshalb wäre es schon vor einem halben Jahr nötig gewesen, diesen Zwiespalt deutlicher zu thematisieren und mit Christen zu diskutieren. Oder hält Kirche in ihrer geschwächten Lage eine solche Diskussion mit erwartbarem gesellschaftlichem Druck nicht mehr aus? Rolf Wischnath schrieb am Do., 15.12., 22:08 Uhr: Liebe Frau Salzmann, ich möchte auf Ihre Frage tagesaktuell eingehen: Heute steht in der NW, dass der Bundestag den Weg für den Kauf des US-Kampfjets F-35 freimacht – nämlich 35 Stück der hochmodernen Kampfflugzeuge für einen unvorstellbaren Betrag von zehn Milliarden Euro zu beschaffen. Der Jet hat vor allem anderen die Aufgabe, Atombomben zu schultern und diese mit unvorstellbarer Massenvernichtungsmöglichkeit abzuwerfen. Nun hat die Synode der Evangelischen Kirche kürzlich mitgeteilt &bdquo;Einem drohenden neuen Rüstungswettlauf, der die Fragilität des internationalen Systems weiter erhöhen würde, treten wir entschieden entgegen.“ Was wäre wohl los, wenn Präses Kurschus heute im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland zu jenem Kaufbeschluss der 35 F-35 nur diesen einen Satz gesagt hätte? Stattdessen billigte die Ratsvorsitzende die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine, wenngleich sie &bdquo;höchsten Respekt vor allen hat, die für sich selbst auf die Option der Gewaltlosigkeit setzen“. So ein Dilemma? Liebe Frau Salzmann, wir haben in dieser Kirche nicht zu wenig, sondern viel zu viel geredet. Seit über siebzig Jahren diskutiert die EKD die Frage, ob Atomwaffen, für die die F-35 gebaut werden, ethisch legitimiert werden können. Bis heute hat sie nicht die Kraft, zu diesen alles zerstörenden Waffen ein gemeinsames &bdquo;Nein ohne jedes Ja“ zu sagen. Jeanette Salzmann schrieb am Fr., 16.12., 12:45 Uhr: Lieber Herr Wischnath, alle Menschen wünschen sich Frieden – und kriegen es offensichtlich doch nicht hin. Weder im Kleinen, noch im Großen. Weil das Vertragen in Wahrheit die größte menschliche Herausforderung ist? &bdquo;Frieden auf Erden“ als Botschaft notwendig, als Zustand eine bloße Utopie? Gerne hätte ich etwas mehr Zuversicht, um den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren. Haben Sie hier noch einen Krümel Hoffnung für mich, den Sie mir als Weihnachtspräsent zuwerfen mögen? Rolf Wischnath schrieb am Sa., 17.12., 14:05 Uhr: Liebe Frau Salzmann! 80 Prozent aller Deutschen stellen sich zu Weihnachten etwas Grünes ins Wohnzimmer. Warum eigentlich? Bis in die Römerzeit und die frühe Geschichte Israels gehen grüne Zweige zurück als Symbole der Sehnsucht. Jedes grüne Gezweig ist &bdquo;mitten im kalten Winter“ Zeichen des Widerstands gegen das sich Abfinden, gegen die Resignation, gegen die kalte Verzweiflung. Und Zeichen der tätigen Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden auf Erden sind diese Zweige. Darum feiern wir Weihnachten mit ihnen, weil wir uns die Sehnsucht nach dem waffenlosen Frieden und der gleichen Würde für alle Menschen unter Gottes Himmel bewahren wollen. Denn Gott hat sie ja selbst in Geltung gesetzt in seiner Menschwerdung in dem Juden Jesus von Nazareth, den die Propheten als den &bdquo;Friedensfürsten“ angekündigt hatten. Seinetwegen und um Gottes Willen gibt es keine Aussichtslosigkeiten. Im berühmten deutschen Weihnachtslied heißt es trefflich: &bdquo;O Tannenbaum, o Tannenbaum, dein Kleid will mich was lehren: Die Hoffnung und Beständigkeit gibt Mut und Kraft zu jeder Zeit!“ Es ist die Hoffnung auf die Treue Gottes und die Beständigkeit seiner menschenfreundlichen Zuwendung. Darauf können wir uns verlassen. Sie gibt Sie, liebe Jeanette Salzmann, und mich und unsere Mitmenschen nicht auf. Wir sollten daran denken, wenn wir die grünen Bäume in die gute Stube rücken und grüne Zweige schmücken und wenn wir dann wieder die Lichter auf ihnen anzünden: &bdquo;Alles beginnt mit der Sehnsucht“ (Nelly Sachs). Und wo die Sehnsucht bleibt, da bleibt nichts, wie es ist.

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