42-Stunden-Woche: Miele und Gewerkschafterin aus Gütersloh sind dagegen

Gütersloh. Wird auch in Gütersloh künftig 42 statt wie bisher 37,5 bis 40 Stunden pro Woche gearbeitet? Diesen Vorschlag hat Siegfried Russwurm zuletzt ins Spiel gebracht. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) ist demnach dafür, die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich anzuheben, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Außerdem sei dies einfacher umzusetzen als die Einführung einer allgemeinen Rente mit 70, argumentiert Russwurm. Heimische Gewerkschaften, Unternehmen und ein Arbeitsmediziner äußern sich weitgehend kritisch zu der Idee. Deutscher Gewerkschaftsbund "Wir Gewerkschaften sind über diesen Vorschlag aus der Arbeitgeberecke entsetzt", sagt etwa Anke Unger, Regionsgeschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) der NW. Eine mögliche Lösung für den Fachkräftemangel sieht sieht darin nicht - ganz im Gegenteil. "Ein solches Modell schreckt vor allem Menschen in Branchen ab, in denen Tätigkeiten jetzt schon kräftezehrend sind und in denen Beschäftigte Arbeitszeit reduzieren, damit sie ihre Jobs bewältigt bekommen." Wirkungsvollste Maßnahmen gegen Fachkräftemangel sind aus ihrer Sicht bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. "Wer meint, mit einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen könne man Fachkräfte halten beziehungsweise gewinnen, ist schlecht beraten." Fachkräftepotenzial sieht Unger bei Älteren und Frauen. Sie fordert, dass Arbeitgeber mehr Menschen über 55 einstellen und Arbeitsplätze sowie Arbeitsbedingungen altersgerecht gestalten sollten. "Es hängen viel zu viele gut ausgebildete Frauen in Minijobs oder ungewollter Teilzeit fest, die gerne mehr arbeiten würden", sagt Unger. Miele Beim Gütersloher Haushaltsgerätehersteller kann man dem BDI-Vorschlag auf Nachfrage ebenfalls wenig abgewinnen. "Eine pauschale Anhebung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden wäre nicht zeitgemäß und ginge an den tatsächlichen, zum Teil sehr unterschiedlichen betrieblichen Anforderungen bei Miele vorbei", teilt ein Unternehmenssprecher mit. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, setzt Miele demnach bei klassischen Metallberufen auf Qualifizierung und Ausbildung im Unternehmen sowie Optimierungen durch Digitalisierung und Automatisierung. "Bei gesuchten Spezialisten steht Miele im internationalen Wettbewerb und bietet verstärkt global attraktive Arbeitsplätze an, die auf die individuellen Bedürfnisse junger Generationen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie eingehen", heißt es vom Unternehmenssprecher. Wegen des demografischen Wandels setzt man auf ein Personalmanagement, das im Rahmen des Metall-Tarifvertrags mit 35 Stunden Regelarbeitszeit Gestaltungsspielraum bietet. Älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwa will Miele möglichst Arbeitsplätze und Arbeitszeitmodelle anbieten, die ihrem Leistungsvermögen angemessen sind. "Auch diesbezüglich wären 42 Wochenarbeitsstunden in einigen Unternehmensbereichen aktuell kontraproduktiv", sagt der Sprecher. Arbeitsmediziner Eckart Siegmund vom Zentrum für Arbeitsmedizin in Bielefeld sieht durch eine mögliche Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit zunächst keine konkreten gesundheitlichen Folgen. "Die medizinischen Auswirkungen halte ich in den meisten Branchen für recht gering", sagt der Arbeitsmediziner. Nach seiner Erwartung werde es seriös auch kaum gelingen, zusätzliche Erkrankungen durch Verlängerung der täglichen Arbeitszeit in der Größenordnung einer halben Stunde nachzuweisen. Wie viele Stunden Arbeit pro Tag ideal sind, kann Siegmund nicht pauschal beantworten. "Das hängt von der Art der Arbeit ab, aber auch von zusätzlichen Anforderungen zum Beispiel durch Kindererziehung, Betreuung von Pflegebedürftigen und anderen sozialen Verpflichtungen." Ein Acht-Stunden-Tag werde allgemein als geeignet für die Gesundheit angesehen, anhand der wissenschaftlichen Literatur sei aber nicht zu belegen, dass nach achteinhalb Stunden Gesundheitsschädigungen bereits valide messbar sind. Klar ist für den Arbeitsmediziner hingegen, "dass ab 55 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit gesundheitliche Störungen deutlich zunehmen". Dazu können etwa orthopädische Beschwerden, Herz-Kreislauf-Probleme oder auch psychische beziehungsweise psychosomatische Beschwerden zählen. Persönlich glaubt Siegmund im Übrigen, dass der BDI-Vorschlag an der "beruflichen Wirklichkeit vorbeigeht" und nicht geeignet ist, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Gerade bei jüngeren Menschen stehe das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder auch die Work-Life-Balance im Vordergrund. Und für eine altersgerechte Gestaltung der Arbeitszeit gelte es derweil als anerkannt, Arbeitsspitzen zu vermeiden, für eine gute Pausenregelung zu sorgen und regelmäßige Erholungszeiten zu gewährleisten. "Somit wird auch hier eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit nicht dazu führen, ältere Arbeitnehmer gesund und zufrieden am Arbeitsplatz zu halten."

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