Riesen-Andrang bei Start-up: 400 Bewerber wollen ungewöhnliche Tour testen

Gütersloh. Welche drei Dinge schätzt du besonders an mir? "Schickt diese Fragen jetzt mal an einen guten Freund, Eure Eltern, Kollegen - oder wen auch immer", ruft Eva Hüwe in die Runde. Kurze Irritation bei fast allen Beteiligten. Komplimente einfordern? Jetzt und hier, mitten auf der Straße? "Ja klar", sagt Hüwe begeistert und schmunzelt, "Ihr werdet später merken, wie toll das wird. Und die Antworten bloß noch nicht sofort lesen, spart Euch den Moment auf." Hüwe kramt einen dicken Stapel Karteikarten aus ihrem Rucksack. Sicher ist sicher. Auch, wenn sie in den vergangenen Wochen die Abläufe etliche Male durchgegangen ist und eigentlich auch fast alles, was sie sagen möchte, im Kopf hat - ein kleiner Spickzettel schadet nie.Ganz neu, ganz anders - und was passiert hier jetzt? Die 34-Jährige steht auf dem kleinen Platz vor der Apostelkirche und schaut in ziemlich neugierige Gesichter. 14 Gütersloher werden heute ihre erste "Feel-Good-Tour" (dt. "Fühl' Dich gut"-Rundgang) machen. Ganz neu, ganz anders. Sie alle wissen nicht, was sie erwartet. In den vergangenen Monaten hat Hüwe gemeinsam mit dem 42-jährigen Fabian Henze ihr erstes eigenes Start-up "strassenglueck" gegründet. Das Konzept: Ungewöhnliche Stadtrundgänge durch Gütersloh. Das Ziel: Die Teilnehmer sollen die Stadt auf neue Art und Weise erkunden und dabei mit kleinen Übungen aus der positiven Psychologie zu mehr Zufriedenheit, Freude und Entspannung gelangen. Fast 400 Bewerber wollen mitmachen Die jungen Gründer haben für die Verwirklichung ihres Traums ihre sicheren Vollzeit-Jobs bei Miele auf Teilzeit reduziert. Alles auf eine Karte - alles auf Risiko. Viele wichtigen Hürden wie Markenname, Logo und Gewerbe-Anmeldung haben die beiden bereits überwunden. Aktuell steht der wohl wichtigste Schritt auf dem Programm: ihr Produkt wird gründlich getestet - live und von echten Kunden.NW-Leser konnten sich im Vorfeld als Tester für die Rundgänge bewerben, exklusiv und kostenfrei. Sowohl für die Fünf-Stunden- als auch die Drei-Stunden-Tour. Fast 400 Bewerber meldeten sich bei Hüwe und Henze. Ein Ansturm mit dem die beiden so nicht gerechnet haben; der sie aber mehr als stolz macht. Die Vorfreude, nach so vielen Monaten endlich präsentieren zu können, was sie konzipiert haben ist groß. Und das nicht nur bei dem Gründer-Duo. Auch die Tester sind mehr als neugierig. "Ich bin total gespannt, was mich heute erwartet", sagt Christiane, die sich vorsorglich dick eingepackt hat. Stirnband, Winterjacke, Schal - fünf Stunden können lang sein."Ich habe mich ehrlich gesagt gefragt, was die beiden jetzt noch Neues am Start haben könnten" Die 60-Jährige wollte unbedingt schauen, wer und vor allem was genau hinter "strassenglueck" steckt. "Ich habe schon einige Stadtführungen durch Gütersloh gemacht und mich ehrlich gesagt gefragt, was die beiden jetzt noch Neues am Start haben können." Genau das will Eva Hüwe heute zeigen. Fabian Henze ist zwar auch dabei - hält sich aber zurück. Bei den kommenden Test-Touren wollen die beiden tauschen. Dann wird er der Tourguide. "Wir wollen einfach üben und Erfahrungen sammeln - später sind die Tourguides ja auch auf sich allein gestellt", erklärt Hüwe ihren Solo-Part.Lesen Sie auch:Miele-Duo gründet ungewöhnliches Start-up - erstes Produkt ist jetzt auf dem Markt Plötzlich ein bekanntes Gesicht unter den Teilnehmern Ihre Nacht war kurz, aber die Aufregung riesig. Und sie wird nicht weniger als Hüwe unter den Teilnehmern ein bekanntes Gesicht entdeckt. Ein ziemliches prominentes sogar - zumindest in Gütersloh. Klaus Gottenströter - der Nachtwächter persönlich - ist am Start. "Was für eine Ehre - aber jetzt liegt die Messlatte für uns ziemlich hoch", witzelt Hüwe und lacht, "wir duzen uns aber trotzdem, oder Klaus?" Er nickt. Alle in der Runde nicken. Bei den "strassenglueck"-Touren geht es um Zufriedenheit, Glück, Wohlbefinden. Man gibt - sofern man möchte - viele persönliche Dinge von sich Preis; gibt Einblicke in das eigene Leben. Ein "Sie" in der Runde wäre für alle Fehl am Platz. Es soll locker sein. Der Name ist hier das Motto: "Fühl Dich gut!" Zehn Stationen - drei Kilometer unterwegs Zehn Stationen stehen auf dem Plan für heute. Von der Weberei über die "Musikgalerie" am Dreicksplatz und das "Süße Handwerk" an der Hohenzollernstraße bis zur Buchhandlung Markus an der Münsterstraße. Drei Kilometer geht es von Station zu Station. Auf dem Weg verteilt Eva Hüwe kleine Aufgaben. Es geht nicht nur um die Komplimente-Frage vom Anfang. Mal tauscht man sich mit einem Partner darüber aus, wie sein perfekter Tag aussieht. Mal reflektiert man, welche Werte einem im Leben wirklich wichtig sind. Oder man schreibt eine Postkarte an jemanden, dem man einfach mal spontan danke sagen möchte.An den einzelnen Stationen erzählen die Inhaber der Geschäfte und Gastronomien darüber hinaus Geschichten und Anekdoten, die sonst hinter der Fassade verborgen bleiben - es bleibt aber auch Zeit zum Stöbern und Probieren. Bei den Büchern, den Pralinen oder den Schallplatten.Eine Aufgabe fällt komplett durch Christiane streift ihr Stirnband ab - die fünf Stunden sind rum. "Es war super und echt mal etwas Neues", reflektiert sie, "aber ich muss gestehen, mir war es zu lang." Ein Fazit, dass fast alle teilen. Neben viel Lob gibt es auch zahlreiche Anmerkungen und konstruktive Kritik. Die wohl bekannteste Achtsamkeits-Übung - die Cranberry-Übung - ist bei vielen durchgefallen. Bei der kleinen Ess-Meditation wird eine Cranberry, oder ein anderes Lebensmittel, ganz bewusst mit allen Sinnen wahrgenommen. Der Tenor: "Das war überflüssig." Dafür konnte vor allem die Postkarten-Aufgabe punkten."Wir sind dankbar für alle Hinweise", sagt Fabian Henze, "die Tour ist ja noch nicht in Stein gemeißelt, wir werten jetzt die Rückmeldungen aus und können immer noch etwas anpassen."Bevor es nach Hause geht, löst Eva Hüwe allerdings noch eine Aufgabe auf, die viele im Laufe der Tour schon fast vergessen hatten. "Schnappt Euch jetzt mal Eure Handys und schaut, ob Ihr schon Antworten bekommen habt", sagt sie und nickt allen aufmunternd zu. Ein kurzer Moment der Stille. Fast jeder schmunzelt beim Blick aufs Smartphone. Es scheinen viele schöne Komplimente in den Postfächern eingetrudelt zu ein. Mehr "Fühl' Dich gut", geht wohl nicht, oder?

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