Corona-Demos: Warum gehen scheinbar normale Leute mit Nazis auf die Straße?

Kreis Gütersloh. Am Montag brauchten die Menschen augenscheinlich dringend frische Luft. Es drängte sie auf die Straße zum Spazierengehen. Waren es 800 oder doch mehr als 1.000, die sich an den sogenannten Lichterspaziergängen in Harsewinkel, Verl, in Rheda-Wiedenbrück und Gütersloh beteiligt haben, um ihren Corona-Protest zu zeigen? Die Polizei hat versucht zu zählen, aber die Angaben von Augenzeugen variieren. Die Beamten sprachen von einer &bdquo;unter dem Strich friedlichen“, aber auch &bdquo;emotionalen Stimmung“ unter den Teilnehmern. Die NW-Redaktion war in allen Kommunen vor Ort, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Ein Kollege berichtete, dass er in Rheda-Wiedenbrück im Zug der &bdquo;Spaziergänger“ eine bestens gelaunte junge Frau beobachtet hat, die sang mit voller Inbrunst: &bdquo;So ein Tag, so wunderschön wie heute.“ In Verl hinderten mehrere &bdquo;Montagsspaziergänger“ eine Kollegin daran, mit dem Auto zurück in die Redaktion zu fahren. Sie wurde bedrängt, fotografiert, eingeschüchtert. Die Polizei ermittelt jetzt gegen die Männer wegen des Anfangsverdachts der Nötigung. Nach Auskunft der Kreispolizeibehörde wurden weitere Strafverfahren eingeleitet, weil die von den Teilnehmern als &bdquo;Spaziergang“ titulierte Demonstration nicht angemeldet worden war. "Der Faschismus ist wieder da in Deutschland" Wer in Verl etwa Sorge hatte, als &bdquo;Spaziergänger“ erkannt zu werden und unliebsame Folgen zu erleiden, der fuhr gewiss ein paar Kilometer weiter nach Paderborn. Hier sollen es 2.500 &bdquo;Spaziergänger“ gewesen sein, organisiert von einer Gruppierung mit dem Namen &bdquo;Grundrechte Paderborn“. Auf ihrer Website erklärt die Gruppe, sie sei ein &bdquo;Zusammenschluss ähnlich denkender Menschen aus der Mitte der Gesellschaft“. Schon die zweite Woche in Folge demonstrierte am Montag jedoch der vorbestrafte rechte Rocker und ehemalige Polizist Tim Kellner mit seiner Rockergruppe &bdquo;Brothers Guard MC“ in Paderborn mit. In der vergangenen Woche hielt Kellner dort auch einen Redebeitrag. In eine schwarze Lederkutte gehüllt und von seinen Rocker-Freunden umgeben verkündete er: &bdquo;Der Faschismus ist wieder da in Deutschland!“ Der Mann, der hier so über Corona-Maßnahmen spricht und dafür Applaus kassiert, gehört zu den wichtigsten Influencern der rechten Szene in Deutschland, allein bei Youtube folgen ihm mehr als 400.000 Menschen. Für die Paderborner Corona-Protestler aus der &bdquo;Mitte der Gesellschaft“ offenbar eine willkommene Mobilisierungshilfe.Lesen Sie auch:Corona-Demonstranten verfolgen Journalisten auf Parkplatz in Verl Was läuft da ab bei Telegram? &bdquo;Wir sehen zurzeit eine Konsolidierung von antidemokratischen Ideologien, von denen sehr viel bleiben wird. Die gefährlichste Zeit kommt nach den Protesten, nach der Pandemie“, sagt Sozialpsychologe und Konfliktforscher Andreas Zick von der Uni Bielefeld. Seiner Beobachtung nach wandert der Rechtspopulismus in die Mitte der Gesellschaft. &bdquo;Die Feindbilder wirken weiter.“ Etliche Kritiker der Corona-Maßnahmen und Impfgegner im Kreis Gütersloh vernetzen sich aktuell in Telegram-Gruppen, um zum Widerstand aufzurufen. Wir beobachten die Szene seit geraumer Zeit und sind dabei zum Beispiel auf den Kanal &bdquo;Wiedenbrücker Pranger“ gestoßen. Als Kanalfoto: Ein Soldat in voller Ausrüstung, samt Waffe und Munition. Der Gründer erklärt: &bdquo;Hier darf sich der ungezügelte Zorn oder ein teilweise gezügelter Zorn des Volkes widerspiegeln – ein öffentlicher Pranger ist das, was wir brauchen.“ Entsprechend dieser Ankündigung nennt er auch direkt den Namen seines Zahnarztes, der ihn aufgrund der fehlenden Impfung beziehungsweise eines negativen Testergebnisses nicht behandelt hat. Mir platzt der Kragen &bdquo;Die Denkpest geht um“, schlussfolgerte der bundesweit bekannte Blogger und Journalist Sascha Lobo unlängst. Zehntausende protestieren zusammen mit Rechtsextremen gegen die Coronamaßnahmen. Viele von ihnen seien so misstrauisch, dass sie gar nichts mehr glaubten. Er stellt die vielleicht wichtigste Frage: Wie konnten sich so viele Menschen radikalisieren? Weshalb gehen vermeintlich ganz normale Leute gemeinsam mit Nazis auf die Straße? Sein Erklärungsansatz: Die Problemlage der Welt ist für Menschen ganz einfach zu komplex geworden, deshalb verfallen viele in Schwarz-Weiß-Denken, die Grautöne fallen weg, weil sie zu schwierig sind. Und die vielen widersprüchlichen Nachrichten in der Corona-Politik hätten ihr übriges dazu getan.Das sind nette Erklärungsversuche, aber mir persönlich platzt der Kragen wenn Menschen gefeiert werden für den Satz: &bdquo;Der Faschismus ist wieder da in Deutschland!“ Mich interessiert nicht, an welcher Stelle im Leben diese Menschen falsch abgebogen sind, ob sie ein zu strenges Elternhaus hatten oder einen untauglichen Geschichtslehrer. Ich will sie weder verstehen noch in irgendeiner Form tolerant sein, denn diese Brunnenvergifter bedrohen das bestehende gesellschaftliche System und damit auch mein Leben. Polizei muss jetzt ihren Job machen Ich erwarte, dass die Polizei jetzt ihren Job macht: Zwar ist sie gehalten, auch illegale Demos zu schützen, aber sie sollte durch Anzeige aller Teilnehmer zeigen, dass sich der Rechtsstaat nicht vorführen lässt. Auch der Landrat und die Bürgermeister im Kreis sollten nicht lavieren und sich bei dem, was sich auf ihren Straßen abspielt, klar positionieren.Ich erwarte von der Politik, dass sie geschlossen aufsteht und deutliche Zeichen setzt – so, wie die Grünen es in Rheda-Wiedenbrück mit einer Gegenkundgebung getan haben, so wie ein junges Aktionsbündnis der Jusos es für kommenden Montag angekündigt hat. Vielleicht funktioniert der alte Slogan &bdquo;Wir sind mehr“ noch? 1.000 Teilnehmer der &bdquo;Montagsspaziergänge“ im Kreis Gütersloh sind schließlich nur 0,002 Prozent der Bevölkerung.

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