Kirche kündigt an: "Wir werden uns von Immobilien trennen!"

Sie haben eine Ideenwerkstatt zur Zukunft der evangelischen Kirche Gütersloh abgehalten. Liegen Ergebnisse auf dem Tisch, die Sie umsetzen werden? Susanna Matt-Windel: Ja, wir haben Ergebnisse im Hinblick auf diesen vierten Prozess-Schritt, den der Gemeindebeteiligung. Wir haben jetzt eine gute Grundlage und eine Legitimation, um Modelle zu entwickeln. Wir dürfen neu schauen, denn es muss anders werden. Es muss etwas Neues beginnen. Klingt allerdings wenig konkret. Stefan Salzmann: Im geistlichen Bereich sprechen wird gerne von Frucht. Die ist nicht machbar, sondern wächst. Aus meiner Sicht war ein Ergebnis des Forums, dass wir noch mal an unserer Haltung gearbeitet haben. Die Energie von Aufbruch war deutlich zu spüren. Wir wollen nicht einfach das Bestehende modifizieren oder etwas kleiner sparen. Wir wollen unsere Kirchengemeinde neu und anders gestalten. Welche Forderungen hören Sie aus der Gemeinde? Salzmann: Ich habe drei Strömungen wahrgenommen. Erstens: Es gibt eine deutliche Bewegung raus aus den eigenen Kirchenmauern rein in die Stadtgesellschaft. Ganz stark war das Thema Lebensweltorientierung. In diesem Kontext wurde auch unser &bdquo;Kirchensprech" als etwas benannt, das an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen vorbei geht. Zweitens: Es gibt eine große Energie in Richtung Kooperation: einmal, was nahe liegt, mit der katholischen Kirche und dann mit anderen Playern in den Stadtteilen. Dazu zählen die Vereine, Institutionen oder Bürgerinitiativen. Drittens: In Frage steht der klassische Gottesdienst an allen Orten am Sonntagmorgen. Das ist nicht das Modell der Zukunft. Es ist völlig klar: wir werden uns von Immobilien trennen. Das ist Konsens Sie sagen, man muss Kirche neu denken. Wie könnte denn ein Zukunftsmodell aussehen? Matt-Windel: Das gibt es noch nicht. Wir sind auf der Suche nach dem Gütersloher Modell. Wir wollen kein Best-Practice-Modell aus anderen Städten übernehmen, sondern es geht darum, etwas eigenes zu entwickeln, um die Besonderheiten unserer Stadt zu berücksichtigen. Beim Zukunfts-Forum waren 50 Personen anwesend. Sie haben aber 20.000 Gemeindemitglieder. Ist die Größenordnung wirklich ausreichend, um einen Neuanfang zu planen? Matt-Windel: Manchmal reichen zwei bis drei Stimmen. Man braucht nicht immer 10.000. Salzmann: Das kirchliche Gemeindeleben wie wir es kennen ist in weiten Teilen eine Entwicklung aus dem späten 18. Jahrhundert. Es ist parallel zum Vereinsleben entstanden. Die Theologin und Professorin Uta Pohl-Patalong benennt fünf Modelle einer zukunftsfähigen Kirche. Eines davon beschreibt den Weg mit Schwerpunktkirchen, etwa eine Jugendkirche oder eine Sozialkirche. Die würde man mit hauptamtlichen Kräften &bdquo;bespielen" jedoch mit der Möglichkeit, dass sich ehrenamtliche Gemeindearbeit ansiedeln kann, sofern sie organisiert wird. Ein anderes Modell wäre, in die Stadtteile zu gehen und dezentral vor Ort in Kooperation etwa mit Vereinen zu schauen, was die Menschen dort brauchen. Eine weitere Fragestellung ist, wo wollen wir Hauptamtlichkeit haben, wo ist Ermöglichungsraum für Initiativen? Ermöglichungsraum fällt vermutlich in die Kategorie &bdquo;Kirchensprech", die auf dem Forum kritisiert wurde? Salzmann: (lacht) Ja, genau. Sprache verändert sich, wenn man mit Insidern spricht. Und wir müssen uns überlegen mit welcher Sprache wir unterwegs sind. Matt-Windel: Wir waren zwar beim Kirchenforum die typische Bildungsbürgermittelschicht, aber wir ringen manchmal selbst um Sprache. Es gibt durchaus Verunsicherung über den Weg. Der ist nämlich noch nicht klar. Wie viel Zeit haben Sie jetzt, bis tatsächlich Entscheidungen getroffen werden? Matt-Windel: Bis Februar haben wir uns Zeit genommen, mögliche Modelle zu entwickeln und sie dem Presbyterium vorzustellen. Salzmann: Im September 2022 haben wir Presbyteriumsklausur. Hier soll die Entscheidung fallen. Es könnte ein heißer Sommer in der Auseinandersetzung werden Veränderungen provozieren in aller Regel eine Menge Ärger. Sind Sie auf Streit mit Ihren Kirchenmitgliedern vorbereitet? Matt-Windel: Ich glaube, dass es Phasen geben wird, wo wir auch streiten werden. Hoffentlich auf eine Weise, dass es nicht unversöhnlich wird. Es könnte tatsächlich ein heißer Sommer in der Auseinandersetzung werden. Ich persönlich möchte, dass sich die Menschen im direkten Gespräch einbringen und uns die Vorwürfe oder Gerüchte nicht über Dritte erreichen. Wir streiten mit denen, die mit uns streiten. Salzmann: Kirche macht manchmal den Anschein, dass um des lieben Friedens willen Streit vermieden wird. Diese Verdrängungsprozesse machen es dann aber richtig schwierig. Es muss klar sein, das ist ein Prozess, der auch schmerzhaft ist und Auseinandersetzung fordert. Es ist auch eine Herausforderung an uns selbst. Wir haben Vereinbarungen getroffen, wie wir im Presbyterium im Zuge der Auseinandersetzungen miteinander umgehen wollen. Es wird Streit und es wird auch Trauer geben. Das alles darf sein. &bdquo;Mit leichtem Gepäck mutig sein" lautet Ihr Leitsatz, den Sie selbst im Presbyterium erarbeitet haben. Würden Sie das derzeitige Gremium denn als mutig einstufen? Salzmann: Ja! Matt-Windel: Ja, das ist deutlich zu spüren. Und bei dem &bdquo;leichten Gepäck" liegt nahe, dass Sie Ballast abwerfen wollen in Form von Gebäuden, Immobilien, Kindergärten etc.? Matt-Windel: Ballast klingt nach unnötigem Zeug, das man abwirft, weil es lästig ist. Das trifft es nicht. Es ist eher ein Befreien. Auch aus der Not. Wir machen das nicht freiwillig. Die ständige Verwaltung des Mangels ist eine negative Energie, aus der sich das Presbyterium dringend befreien möchte. Und die Entscheidungen, die wir fällen müssen, sind alles andere als leicht. Salzmann: Es ist aber völlig klar: wir werden uns von Immobilien trennen. Das ist Konsens. Wir möchten keine Kirche sein, die sich verschleißt und atemlos durch Überforderung wird. Wir wollen Freiräume. Wir wollen eine Kirche sein, wo wieder Kreativität und ein Atemholen entstehen kann. Es spielt bei jungen Menschen keine große Rolle ob evangelisch oder katholisch Wäre es nicht nötig gewesen, auch die jungen Menschen zu diesem Prozess zu hören? Salzmann: Das haben wir. Die U30-Gruppe war, wenn auch klein, vertreten. Ich erinnere mich an sehr deutliche Stimmen, die sich am Samstag zu Wort gemeldet haben. Und einige Erwachsene haben im Vorfeld Interviews mit ihren Kindern gemacht. Die Ergebnisse sind in die Diskussion eingeflossen. Was erwartet Jugend von Kirche? Salzmann: Lebensweltorientierung. Dabei wird allerdings kein konkretes Modell genannt, wie Kirche auszusehen hätte, damit sie sich dafür interessieren. Es geht eher um Sinnfragen des Lebens. Auch Themen wie Klima und Politik spielen eine Rolle, aber nicht der Gottesdienst Sonntagmorgens in der klassischen Sprache. Gefragt sind andere Formate. Kooperation mit der katholischen Kirche gehört mit zu den Forderungen aus dem Forum. Zeichnet sich hier eine ökumenische Bewegung ab? Salzmann: Meine These ist, dass den jüngeren Menschen die konfessionelle Spaltung völlig egal ist. Es spielt keine große Rolle ob evangelisch oder katholisch, deswegen gibt es auch keine Mauern dazwischen oder Hinderung. Die Vision der Vereinigung ist eher eine Vision derjenigen, die eine konfessionelle Identität haben. Werden Sie das Gespräch mit der katholischen Kirchengemeinde in Gütersloh suchen? Salzmann: Ja. Matt-Windel: Das Gespräch hat eigentlich schon begonnen. Wir sind in Kontakt. Rund um die Martin-Luther-Kirche gibt es schon lange Überlegungen, sie um- oder auszubauen. Dürfen die Gütersloher davon ausgehen, dass diese Kirche in Zukunft die zentrale Kirche für die evangelische Gemeinde sein wird? Salzmann: Wir sind noch nicht so weit, dass festzulegen. Aber ja, es gibt die Vorstellung, dass das ein wesentlicher Ort für die evangelische Kirche ist. In welcher Form, ist offen. Matt-Windel: Wie viel Potenzial in so einer großen Kirche steckt ist selbst den Kritikern seit der Vesperkirche klar geworden. Würde man sie baulich verändern, ginge da noch mehr, aber so viel Geld haben wir nicht. Wir verheimlichen die Zahlen nicht, sondern wir haben sie nicht Man hört ständig, dass kein Geld da ist. Tatsächlich sind die Finanzen aber nicht transparent. Sind Sie bereit, Ihre finanziellen Mittel im Zuge des Erneuerungsprozesses offen zu legen?Salzmann: Ja, das machen wir. Wir haben vor einiger Zeit umgestellt von kammeralistischer auf kaufmännische Buchführung. Das hat zur Folge, dass das komplette Haushaltswesen umgestellt wurde. Leider sind die Prozesse nicht so optimal gelaufen. Dass wir noch keine Zahlen nennen können, hat weniger damit zu tun, das wir sie nicht transparent machen, sondern dass wir sie nicht haben. Es gibt eine interne Haushaltssperre. Wir geben zur Zeit nur aus, was wirklich absolut notwendig ist. Alles andere schieben wir so lange, bis wir eine verlässliche Zahlenbasis haben. Das wird bald soweit sein. Was wir aber bereits wissen, ist, dass wir aus den letzten Jahren ein moderates Defizit haben. Die Rücklagen sind fast geschmolzen. Geld zum Investieren ist also derzeit nicht da. Theoretisch könnten wir Gebäude verkaufen, um an Investitionskosten zu kommen. Wir sind da aber nicht ganz frei. Die Landeskirche hat eine Kontrollfunktion. »Die Zukunft der Kirche ist eine geistliche Frage, keine strukturelle« Das heißt, Sie können sich gar nicht ohne weiteres von Gebäuden oder Grundstücken trennen? Salzmann: Nein, das muss genehmigt werden. Bei allem was wir tun, müssen wir überprüfen, ob wir das überhaupt dürfen. Ein Prozess, der obendrein viel Zeit in Anspruch nimmt. Matt-Windel: Und trotz der vielen offenen Fragen gehen wir los und machen uns auf den Weg. Die ganzen Unsicherheiten müssen wir aushalten. Salzmann: Die Zukunft der Kirche wird nicht an der Organisation oder den Strukturen hängen, es wäre eine Illusion zu glauben, wir machen Kirche. Die Zukunft der Kirche ist eine geistliche Frage, keine strukturelle. Und wenn wir für Menschen interessant sein wollen, dann natürlich mit den Lebensfragen, mit Fragen nach einer besseren Welt, mit Fragen nach Spiritualität. Womit denn sonst? Welchen Anteil hat die Vesperkirche an dem Erneuerungsprozess? Salzmann: Der Aufbruch mit der Vesperkirche war für mich sehr wichtig. Ich würde gerne manches von dem, was sich in der Vesperkirche gezeigt hat, in die Entwicklung dieser Kirchengemeinde einbringen. Die Öffnung nach außen, die Sprachfähigkeit durch Dialog und Begegnung. Was hier aufgebrochen ist, hat einen Impuls gegeben, der Potenzial hat. Dies gilt es in die Zukunft der Kirche einzutragen. Vielleicht hat es damit zu tun, das wir gezeigt haben: wir als Kirche können auch ganz anders.

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