Hilft ein Tempolimit im Kreis Gütersloh gegen die vielen Wildtier-Unfälle?

Kreis Gütersloh. Über die Nacht vom 8. auf den 9. April ist selbst die Polizei verwundert. Im gesamten Kreisgebiet kam es zu zehn Verkehrsunfällen mit Wildbeteiligung. Personen kamen dabei nicht zu Schaden. Es gab jedoch reichlich tote Rehe. Sie fallen in die Gesamtstatistik: 1.272 Unfälle mit Wildtieren gab es 2020 im Kreis Gütersloh – entspricht 16 Prozent aller registrierten Unfälle. Dazu kommt eine vermutlich hohe Dunkelziffer an Unfällen ohne Blechschaden oder Polizeinotruf. Die Zahlen steigen. 2014 notierte die Polizei noch 997 Fälle. Wird die Polizei zu einem Wildunfall gerufen, kommt es nicht selten zum Schusswaffengebrauch, um die schwer verletzten Tiere an Ort und Stelle nicht länger leiden zu lassen. 74 Tiere mussten Polizeibeamte im vergangenen Jahr auf diese Weise erschießen – es ist der größte Schusswaffeneinsatz der Kreispolizeibehörde überhaupt. In 2019 waren es sogar 97 protokollierte Schüsse. &bdquo;Es sind nicht nur Rehe oder Rehböcke", sagt Mark Kohnert, Pressesprecher der Polizei Gütersloh, &bdquo;auch Hasen und Fasane fallen in die Statistik. Im vergangenen Jahr kam ein Schaf dazu." "Sich stets bremsbereit zu halten, ist sowieso Pflicht" Der Wildwechsel ist im Frühjahr ein häufiges Unfallrisiko. &bdquo;Umso wichtiger ist es", sagt Stephan Schmidt, Leiter der TÜV Nord-Station Gütersloh, &bdquo;die Fahrweise an riskanten Stellen entsprechend anzupassen. Vermehrter Wildwechsel wird durch ein Verkehrsschild angekündigt." Die Geschwindigkeit sollte infolgedessen gedrosselt und die Aufmerksamkeit erhöht werden. &bdquo;Sich stets bremsbereit zu halten, ist sowieso Pflicht", verdeutlicht der Stationsleiter. Wo ein Wildtier ist, können mehrere folgen. Die Verantwortung liegt demnach beim Autofahrer selbst – auch wenn man von einem jährlichen Massenphänomen auf den Straßen sprechen kann. &bdquo;Ein Unfall gilt in unserer Gesellschaft immer noch als ein Einzelfall, da hat halt jemand Pech gehabt", sagt Kurt Gramlich von der Verkehrswende AG der Bürgerinitiative Energiewende. &bdquo;Erst wenn man die Zahlen kennt, kommt man zu dem Ergebnis, dass dies wohl ein strukturelles Problem darstellt. Weil es nicht bekannt ist, gibt es auch kein Aufsehen. Vor dem Aufsehen kommt nun mal das Sehen.Wir akzeptieren auch ein Verkehrssystem mit 7.894 Unfällen allein in 2020 im Kreis Gütersloh, 12 Tote, 239 Schwerverletzte." Für Gramlich sei auffallend, dass die Unfallzahlen sinken, aber die Wildtierunfälle steigen. Die Verkehrswende führt in Zusammenarbeit mit der Polizei seit Jahren akribisch Statistik über Wildtierunfälle. Entstanden ist eine offen zugängliche Datei mit Informationen zu allen Verkehrsunfällen, die sich unter www.fee-owl.de/unfaelle findet. &bdquo;Wer mal einen Wildunfall erlebt hat, weiß, dass kaum Zeit zum Reagieren bleibt" Schnell erkennbar ist, dass Wildunfälle hauptsächlich an Kreis-und Landstraßen erfolgen. Gut erkennbar etwa an der Borgholzhausener Straße, Versmolder, Kölkebecker, Münsterlandstraße oder der L782 zwischen Gütersloh und Halle. &bdquo;Ein Zusammenhang mit erhöhtem Verkehrsaufkommen ist nicht zwingend herstellbar", so Polizeisprecher Kohnert. Ist der Rückschluss zulässig, dass die Geschwindigkeit an diesen Straßen maßgeblich ursächlich ist für die Unfälle? &bdquo;Wer mal einen Wildunfall erlebt hat, weiß, dass kaum Zeit zum Reagieren bleibt", so Kohnert. Verkehrsanalytiker Gramlich ergänzt: &bdquo;Statistisch würde ich sagen ja, im Einzelfall nein." Klar sei, wer langsamer fährt, habe mehr Zeit zur Reaktion. &bdquo;Wir Menschen haben für Geschwindigkeiten leider keine gute Wahrnehmung. Bequeme Autos von heute vermitteln im Innenraum ein trügerisches Sicherheitsgefühl. Wären es noch alte Klapperkisten, die bei 10 km/h schneller doppelt so laut klappern, würden alle vorsichtiger fahren." Die Verkehrsuntersuchungen zeigten, dass je breiter eine Straße ist, je weniger die Straße gekrümmt ist, desto schneller werde gefahren. &bdquo;So ist die Straße von Werther nach Borgholzhausen für den normalen Verkehr viel zu breit. Sie verführt zum Rasen." Kritik an Standorten von Wildwechselschildern Die Untere Jagdbehörde erklärt auf Nachfrage, welche Maßnahmen zum Schutz vor Wildtierunfällen ergriffen wurden und welche am besten wirken: &bdquo;Zum Schutz vor Wildunfällen werden Schilder aufgestellt, die auf Wildwechsel hinweisen. Außerdem gibt es noch die blauen Warnreflektoren an den Leitpfosten, die Wildwechsel verhindern sollen, indem sie das Scheinwerferlicht der Autos brechen." Wildwechselschilder stünden bisweilen wahllos und mit langen Kilometerangaben für die Gültigkeit am Wegesrand. Eine Hilfestellung für die Verkehrsteilnehmer sieht Kurt Gramlich darin nicht. &bdquo;Unser Gedächtnis fährt am Schild vorbei, und wenn es nicht innerhalb von wenigen Minuten wiederholt wird, ist es aus dem Kurzzeitgedächtnis raus." Die Warnungen sollten seiner Meinung nach vor der statistischen Zeit der Unfälle kommen. &bdquo;Aus der Vergangenheit kann man die Zeiten des Wildwechsels mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen." Gramlichs Empfehlung: &bdquo;Wir sollten die Geschwindigkeit runternehmen, wo immer es möglich ist." Zu den in der Analyse gefundenen Uhrzeiten sollte man versuchsweise eine zeitlich beschränke Geschwindigkeitsbegrenzung einführen. Würde man auf Landstraßen also zwischen 4 und 7 Uhr, sowie 20 und 24 Uhr das Tempo etwa auf 50 drosseln, könne man die Unfallspitzen kappen. &bdquo;Die Geschwindigkeitsdaten erfassen und, wenn erforderlich, den mobilen Blitzer zu Hilfe nehmen." Damit, da ist sich Gramlich sicher, würden mehr Tiere am Leben bleiben.

Meistgelesen