Morkes und Schulz sind Profiteure und Opfer der gesellschaftlichen Stimmung

Gütersloh. Wundern Sie sich auch immer noch? Darüber, dass unser Bürgermeister bald Norbert Morkes heißt? Der, in dessen Plattenladen wir früher unsere Mucke gekauft haben, der uns Udo Lindenberg, Status Quo und die Dubliners nach Gütersloh holte, dem es auf seinem Mittelalterfest nicht zu peinlich ist, ein Rittergewand anzulegen? Uns Nobby? In der Tat ist Morkes gerne mit allen, wirklich allen, gut. Das ist eine wunderbare Eigenschaft, sehr menschlich, sehr christlich und unbedingt beneidenswert. Aber ist sie auch die richtige, wenn es abzuwägen gilt? Wenn etwas zu entscheiden ist, was Enttäuschungen und Konflikte provoziert? Der Drang dem Establishment eins auszuwischen Auch Morkes wird sich immer noch die Augen reiben, um zu erkennen, was da am Sonntag geschehen ist. Was hat ihn ins Amt gespült? Proteststimmung vielleicht? Aber Protest gegen was? Gegen die da oben? Gegen das Gefühl, ausgeliefert zu sein, gegen Politiker, die man für unnahbar hält und die sich vermeintlich kein bisschen dafür interessieren, was man meint und denkt? &bdquo;So, guckt ihr. So geht Protestwahl. Auch Gütersloh kann das", hat am Sonntag jemand gesagt. Tatsächlich könnte dieser Drang, dem Establishment mal eins auszuwischen, ein wesentlicher Grund für den Ausgang der Wahl sein. Manche dieser Protestwähler werden hernach zu ihrem eigenen Erstaunen festgestellt haben, dass ihr Kreuzchen was verändert hat. Das ist den Briten mit ihrem Brexit und den Amerikanern mit ihrem Trump auch schon mal passiert. Upps! Morkes war und ist jemand, mit dem man sich schnell wohl fühlt. Und: Er ist ein bunter Hund. Wer aber ist Schulz? Hat er überhaupt einen Vornamen? Und wofür steht er? Diese Fragen, dieser Zweifel werden den Amtsinhaber Prozente gekostet haben. Schulz ist in seiner Amtszeit in der Außenwirkung blass geblieben. Der Mann ist fleißig, arbeitet 70 bis 80 Stunden die Woche, aber hat er sich mal bei den Leuten blicken lassen? So wie Uns Nobby? Wie verkauft man dem Wähler einen Workaholic? Nein, hat er nicht. Oder zu selten. Schulz hat es vorgezogen, seine Energie auf die Verwaltung zu richten. Er hat sie umstrukturiert, hat geschuftet. Manchmal mehr, als es seinen eigenen Leuten lieb war. Für die Fortentwicklung der Stadt ist so einer nicht verkehrt. Die Liste der Erfolge Schulz ist lang, die Liste der Projekte, die er angestoßen hat, länger. Fachhochschule, Mansergh-Quartier, Hüttenbrink, Feuerwache, Rathausplatz, Siedlungsentwicklung. Es gibt genügend Belege für Vorzeigeprojekte und Kärrnerarbeit. Doch das zu vermitteln, ist weder ihm noch seiner Partei gelungen. Es ist ja auch schwierig: Wie verkauft man dem Wähler einen Workaholic? Was auch eine Rolle spielte: Schulz und Morkes sind Opfer beziehungsweise Profiteure der derzeitigen gesellschaftlichen Grundstimmung. Dieser Gesellschaft, auch im inzwischen großstädtischen Gütersloh, steht der Sinn danach, etwas umzustoßen, weil sie das irgendwie diffuse Gefühl umtreibt, dass sich halt was ändern muss. Es sind gar nicht die inhaltlichen Positionen der beiden Kandidaten, die den Stift auf dem Wahlzettel lenken. Es sind vielmehr deren unterschiedliches Wesen, ihre Wirkung, der Eindruck, den sie bei Begegnungen hinterlassen. Der eine, Nobby, ist einer von uns, der andere, Schulz, einer von denen. Beide spiegeln die Polarität der Gesellschaft wider In gewisser Weise spiegeln die beiden die enorme Polarität der aktuellen Gesellschaft wider: Weiß, schwarz, wir, die. Für Grau und Zwischentöne, für den Blick aufs Detail und aufs Inhaltliche bleibt wenig Platz. Mit Morkes und Schulz stießen in dieser Hinsicht zwei besonders markante Gegenpole aufeinander. Wären statt Morkes der SPD-Kandidat Volker Richter oder die Grüne Gitte Trostmann in der Stichwahl gewesen, der Kontrast der Typen wäre weniger auffällig gewesen. Gleiches gilt, hätte auf der anderen Seite Maria Unger statt Schulz gestanden. So aber wurde auch eine Typen-Wahl daraus. Dass Schulz Fehler gemacht hat, nicht zu wenige, ist ebenfalls klar. Das Kostendesaster bei der Dritten Gesamtschule, der Rückstand beim Grundschulausbau, der so verquast daherkommende Digitale Aufbruch, die wenigen Fortschritte bei der Verkehrswende, der müde Wahlkampf, seine distanzierte Art, seine Schwierigkeit, Aufgaben delegieren zu können, sein mitunter rüder Umgang mit den Mitarbeitern, all das darf man ihm ankreiden. Aber ihn derart abstrafen? Ob man Schulz politische Ziele nun richtig findet oder nicht, der Wähler hat ihm in mancher Hinsicht Unrecht getan. Es wird für Morkes unmöglich, alle Hoffnungen zu erfüllen Morkes startet nun mit einem Rucksack an Erwartungen ins Amt. Wie viele haben ihre Hoffnungen auf seine Schultern abgeladen? All jene, denen er Zeit und Gehör geschenkt hat, die sich von ihm verstanden fühlen, werden nun Resultate von ihm erwarten, vielleicht sogar Gegenleistung. Wie soll er dem nur gerecht werden? Wie soll er, der 69-Jährige, ein vergleichbares Pensum leisten, und wie soll er gegen eine Front von Schwarz-Grün im Stadtrat forsch und frei agieren können? Es wird unmöglich für Morkes, all die an ihn gerichteten Hoffnungen zu erfüllen. Jahre-, jahrzehntelang konnte sich Morkes als Anwalt der Bürger verstehen, die ganze Philosophie seines Vereins beruht darauf. Er hat sich für sie in die Bresche geworfen und sich dabei gelegentlich den Vorwurf eingehandelt, sein Agieren sei populistisch, konzept- und profillos. Als Oppositioneller habe er sich problem- und folgenlos vor jeden Karren spannen lassen. Morkes hat diese Vorwürfe stets pariert, er reagiert vehement, unterstellt man ihm und seiner BfGT Beliebigkeit. Bald steht er in der Verantwortung. Dort wird er es mit konträren Interessen zu tun haben und öfter als bisher Position beziehen müssen. Er wird nicht umhin kommen, Enttäuschungen zu produzieren. Ob er damit zurecht kommt? Und seine Wähler erst?

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