"Auch Kühe können Schmerz und Glück verspüren" - berührende Doku am Sonntag

Herr Pierschel, was und wo ist &bdquo;Butenland"?Marc Pierschel: Hof Butenland ist ein Lebenshof an der Nordseeküste auf der Halbinsel Butjadingen. Gegründet wurde er von Jan Gerdes, einem Milchbauer in dritter Generation. Irgendwann konnte er es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, die Kühe zum Schlachthof zu schicken, wenn sie keine Milch mehr gaben. Da hat er sich entschieden, die letzten Kühe, die eigentlich zum Schlachter gehen sollten, dazubehalten. Sie zeigen einen Hof, auf dem Nutztiere leben, die keinen Nutzen mehr haben. Jeder erkennt: Das ist ein Widerspruch in sich. Aber wo liegt der Widerspruch? Pierschel: Der Widerspruch liegt darin, dass wir die Tiere kategorisieren, dass wir sie aufteilen in Haus- und in Nutztiere und dass wir von diesen Nutztieren erwarten, dass sie Milch oder Fleisch liefern. Aber wir vergessen, dass dahinter normale Tiere stehen, die wie Haustiere Bedürfnisse haben, Schmerz und Glück empfinden können. Und das wollen die beiden Betreiber Jan und Karin mit ihrem Projekt &bdquo;Hof Butenland" zeigen. Mit den Videos, die sie machen und den Geschichten, die sie erzählen über die Tiere, die sie vor Verwahrlosung oder dem Schlachthof gerettet haben. Wir erfahren im Film, dass einige Tiere auf anderen Höfen teilweise schlimm behandelt wurden. Sind das nur singuläre Auswüchse oder liegt das am System der Nutztierhaltung? Pierschel: Es gibt natürlich immer schwarze Schafe, aber auch Menschen, die versuchen, es den Tieren so gut wie möglich zu machen, Jan gehörte ja auch dazu. Aber es ist ein System, wo der Milchpreis oft so niedrig ist, dass es schwer für den Landwirt ist, über die Runden zu kommen. Viele Höfe sind schwer verschuldet, da bleibt das Tierwohl schnell auf der Strecke. Und daher ist es definitiv systemisch bedingt. Jan Gerdes war früher selbst Biomilchbauer. Und hat dennoch das System der Milchviehwirtschaft nicht ertragen. Provokativ gefragt: Hat der Mann nicht seinen Beruf verfehlt? Pierschel: Na ja, er ist so aufgewachsen und davon geprägt, wie sein Vater gearbeitet hat und wie der Alltag auf dem Milchhof war. Und er wollte es eigentlich besser machen für die Tiere. Aber er hat dann schnell gemerkt, dass er in diesem System gefangen ist, weil er die Tiere verkaufen muss, wenn sie keine Milch mehr geben. Er kann sie ja nicht durchfüttern, wenn sie keine Milch mehr geben, das wäre wirtschaftlich nicht machbar. Daher hat er entschieden, den Hof aufzugeben. Das ist eine Erkenntnis, die jeder Landwirt haben kann. Aber Jan Gerdes hat Konsequenzen daraus gezogen. Sind die Landwirte, die trotzdem weitermachen, etwa schlechtere Menschen oder sind sie einfach so gefangen im System, dass sie das nicht mehr hinterfragen? Pierschel: Ich denke, dass es ganz schwierig ist für Menschen, die darin aufgewachsen sind und die das seit Generationen so betreiben und wo der Vater oft auch noch ein Mitspracherecht hat. Das ist ein soziales Gefüge, aus dem man schlecht rauskommt. Da muss man sich quasi gegen die Familie stellen. Das war bei Jan auch so. Daran ist auch seine Familie kaputt gegangen und seine Ehe zerbrochen. Das war auch für ihn nicht einfach, zu leugnen, was er sein ganzes Leben lang gemacht hat. Das hört sich nach einer tiefen Sinnkrise an. Pierschel: Ja, Jan stand auch kurz vor einem Burnout und hat eine Therapie machen müssen. Das wird auch in dem Film erzählt. Die Mitbetreiberin, Karin Mück, war früher Tierrechtsaktivistin und hat unter anderem Versuchstiere aus dem Labor befreit. Jetzt gönnt sie Kühen ihren Lebensabend. Pierschel: Sie war noch sehr jung, als sie als Aktivistin angefangen hat, und sie war schon sehr radikal in ihrem Vorgehen. Aber das hätte auch auf die Dauer nicht gut gehen können. Sie sagt selbst, dass es ganz gut gewesen sei, dass sie gefasst wurde, weil es sonst noch ganz andere Konsequenzen für sie hätte geben können. Was war passiert? Pierschel: Sie wollte ein Versuchslabor in Borstel in Brand stecken, das noch in Bau war. Da wurde sie kurz vorher von der Polizei festgenommen. Sie war sechs Wochen in Untersuchungshaft und hat ein Jahr auf Bewährung bekommen. Sie sagt heute, dass sie glücklich sei, etwas gefunden zu haben, bei dem sie Tieren helfen könne, ohne dabei mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Der Lebenshof ist die ideale Lösung für sie. Wie haben Sie die beiden Betreiber und den Hof erlebt? Pierschel: Es ist eigentlich ein sehr friedlicher Ort, den die beiden geschaffen haben. Und doch sind sie immer noch im System gefangen. Es gibt beispielsweise die Verordnung, dass Rinder Ohrmarken tragen müssen, und die beiden weigern sich, neue Ohrmarken zu setzen. Deshalb werden ihnen Subventionen gestrichen. Und es gibt immer wieder Kontrollen vom Veterinäramt. Es ist nicht einfach, weil es hohe Auflagen für Nutztiere gibt, obwohl es keine Nutztiere mehr sind. Wovon leben die beiden? Pierschel: Der Hof Butenland ist eine Stiftung, der Betrieb finanziert sich vor allem über Spenden. Aber die beiden haben auch eigene Einnahmen. Sie haben ein Windrad auf ihrem Hof, Karin bekommt als ehemalige Krankenschwester auch eine Rente. Dann haben die beiden noch Ferienwohnungen, die sind aber derzeit wegen Corona geschlossen. Und Jan hat noch Flächen, für die er Subventionen von der EU bekommt. Was möchten Sie beim Zuschauer durch den Film erreichen? Pierschel: Natürlich ist die Intention, dass sich der Zuschauer fragen soll: Wie konsumiere ich und was sind das eigentlich für Produkte, die ich konsumiere und kann ich das mit meinem Gewissen verantworten. Aber der Film zeigt auch, dass der Lebenshof nicht nur eine Idylle ist. Es sind dort Tiere, die oft viele Vorerkrankungen haben und die am Ende ihres Lebens sind. Und deshalb muss man dort oft Abschied nehmen. Gerade mit der Vielfalt an Tieren, die die beiden haben, ist es oft schwer, sich von liebgewordenen Tieren zu verabschieden. Aber das gehört auch dazu. Durch Corona sind die Menschen auf die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen aufmerksam geworden. Der Fleischabsatz ist rückläufig. Ist das ein allmähliches Umdenken oder nur ein kurzzeitiges Strohfeuer? Pierschel: Ich würde mir wünschen dass sich dieser Trend fortsetzt. Aber es wäre ja nicht der erste Skandal, der die Verhältnisse in den Schlachthöfen sichtbar macht. Spätestens wenn Fleisch und andere Tierprodukte in Supermärkten regelmäßig zu Dumpingpreisen angeboten werden, sollte man als Konsument erahnen, dass dort einiges im Argen liegt. Zum Glück gibt es aber immer mehr Fleischalternativen, die man guten Gewissens verzehren kann. Wir erleben einen Hof, in dem Kühe und andere Nutztiere einfach um ihrer selbst willen gehegt und gepflegt werden. Kann das ein Gegenmodell zur jetzigen Nutztierhaltung sein? Pierschel: Ja, definitiv. Weil er aufzeigt, was den Tieren in einem regulären Milchbetrieb nicht möglich ist: ein selbstbestimmtes Leben inmitten von Artgenossen zu führen, ohne zu fürchten, dass sie irgendwann zum Schlachthof gefahren werden. &bdquo;Butenland" läuft am Sonntag, 7. Juni, um 17.30 Uhr, anschließend stellt sich der Regisseur den Fragen des Publikums. Weitere Vorführung (ohne Regisseur): Montag , 8. Juni, 20 Uhr. Karten gibt es an der Kasse, im Foyer herrscht Maskenpflicht, aber nicht während der Vorführung.

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