Skurrile Ansichten von Corona-Leugnern: Wie gefährlich sind Verschwörungstheorien?

Das Interview wurde im Juni 2020 erstmals veröffentlicht. Gütersloh. Seit Wochen gibt es gefühlt kein anderes Thema mehr: Alles dreht sich um das Coronavirus. Die Nachrichten überschlagen sich; fast täglich, anfangs sogar stündlich, gibt es Neuigkeiten. Im Netz tauchen mittlerweile immer wieder skurrile Theorien auf, um den Corona-Ausbruch zu erklären. Michael Schulz arbeitet am Gütersloher LWL-Klinikum in der Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung. Seit Jahren setzt er sich unter anderem intensiv mit der Psyche des Menschen auseinander. Für die NW versucht er jetzt einzuordnen, welche Rolle Verschwörungstheorien derzeit spielen, wer überhaupt daran glaubt und wie gefährlich sie wirklich für uns sind. Herr Schulz, es gibt aktuell die kuriosesten Verschwörungen rund um die Corona-Krise. Warum finden diese Theorien gerade jetzt so viel Anklang? Michael Schulz:Verschwörungstheorien treten dann vermehrt auf, wenn die Verunsicherung steigt. In Bezug auf Corona wissen wir derzeit noch sehr wenig - gleichzeitig ist die Situation beängstigend. Das ist für das menschliche Gehirn eine schwierige Situation, denn wir Menschen haben immer das Bedürfnis, Muster zu erkennen und Dinge zu erklären. Mit banalen Zufällen ist das Gehirn gewissermaßen überfordert. Und Verschwörungstheorien können helfen? Schulz: Sie können ein Fluchtort des Geistes sein - quasi ein Schutzraum vor schwer auszuhaltenden Situationen, wie sie die Corona Krise eine darstellt. Gerade dann, wenn nur wenige Fakten bekannt sind, steigt die Anziehungskraft von spektakulären Erklärungsmodellen. In der Regel ist ein klar benennbares Feindbild erkennbar – also im Sinne einer Schwarz-weiß-Sicht. Es gibt aber auch durch Tätigkeiten der Geheimdienste und verdeckte politische Aktionen einen realen Nährboden für die Entstehung von Verschwörungstheorien. Denn Geheimdienste als Beispiel haben ja explizit die Aufgabe im Verborgenen im Auftrag &bdquo;von denen da oben" Operationen durchzuführen. Wer glaubt denn an solche Theorien - gibt es den typischen Verfechter?Hat das etwas mit Intelligenz zu tun? Schulz:Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, sind ja zunächst mal Menschen, die eher intensiv an Erklärungen für große Zusammenhänge interessiert sind. Man könnte sagen, dass sie auf dem Weg zur Wahrheitssuche falsch abgebogen sind. Hinter etwas so Belastendem wie der Corona-Krise wird eine dunkle Macht vermutet, weil die Erklärung, dass es sich hier wohl doch nur um eine Spielart der Natur handeln könnte, schlecht auszuhalten ist. Es hat natürlich auch etwas Identitätsstiftendes, wenn man zu jener kleinen Gruppe gehört, die vermeintlich über die wahren Zusammenhänge Bescheid weiß. In Zeiten, in denen traditionelle für die Stabilisierung der eigenen Identität wichtigen Institutionen wie etwa Religionen oder politische Parteien hier an Bedeutung verlieren, kann es ein gutes und stärkendes Gefühl sein, Teil einer Verschwörungsgemeinschaft zu sein. Kann man sich davor schützen? Schulz: Kein Mensch ist dagegen gefeit, im Anblick einer schwierigen Situation einer auf ein eher abwegiges Erklärungsmuster zu verfallen. Manchmal ist es auch sehr sinnvoll, nicht an die &bdquo;offizielle Wahrheit" zu glauben, sondern auch andere mögliche Erklärungen zu verfolgen. Investigativer Journalismus funktioniert so, bleibt aber im Vergleich zu Verschwörungstheorien den Regeln der Wissenschaft verpflichtet. Verschwörungstheorien nutzen in der Regel zwar auch Fakten, stellen dann aber immer neue Sinnzusammenhänge her. Das Netz ist voll von Videos und Posts der verschiedensten Schuldzuweisungen im Bezug auf den Corona-Ausbruch. Wie gefährlich sind die Sozialen Netzwerke? Schulz: Die Sozialen Medien machen nicht, dass die Menschen an Verschwörungstheorien glauben. So wie sie auch nicht dafür sorgen, dass ich mir ein Auto kaufe. Allerdings sorgen sie mit ihren bahnbrechenden Möglichkeiten der Verbreitung von Inhalten dafür, dass entsprechende Inhalte viel mehr Menschen erreichen als das noch im 20. Jahrhundert der Fall gewesen wäre. Zudem gibt es in Sozialen Medien die Gefahr, sich in sogenannten Echokammern abzuschotten. Man ist nur noch auf Seiten unterwegs, die die eigene Überzeugung stützen und blendet alle anderen Hinweise aus. Und dann wird's richtig gefährlich? Schulz: Da Verschwörungstheorien grundsätzlich einen negativen Grundcharakter haben, droht die Gefahr, dass die Stimmung in der Gesellschaft – aber auch die Gesundheit insgesamt Schaden nimmt. Wenn immer mehr Menschen der Überzeugung sind, dass sie nur noch angelogen werden, dass Fernsehen und Radio und Politik uns nur hinters Licht führen wollen, dann steigen die Eigen- und Fremdgefährdung und auch die Demokratie droht Schaden zu nehmen. Wenn ich überzeugt bin, durch Chemtrails vergiftet zu werden, dann verlasse ich vielleicht mein Haus nicht mehr, was meiner seelischen Gesundheit gar nicht gut tut. Die Gefahr wird umso größer wenn politische Akteure aus Verschwörungstheorien Kapital zu schlagen, indem sie die Gesellschaft spalten wollen. Besteht die Gefahr, den skurrilsten Verschwörungen durch Berichte darüber zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, sodass Menschen überhaupt erst darauf stoßen? Schulz: In einer Welt, in der mehr Informationen verfügbar sind als jemals zuvor, braucht es vor allem Medienkompetenz. Die Übergänge von gesunder Skepsis über Fehlinformation bis hin zu Verschwörungskontakten sind fließend. Von daher gibt es Medien, die Informationen senden und Empfänger, die Informationen in Wissen umbauen. Auf der anderen Seite kann das Internet missbraucht werden und zum Beispiel Wahlen entscheiden, wie es in den USA ja im Zusammenhang mit Hillary Clinton passiert ist. Presse und Medien haben hier als vierte Gewalt die Aufgabe, ein gesundes Korrektiv darzustellen. Sehen Sie hier bei uns in Gütersloh und im Kreisgebiet eine gestiegene Anfälligkeit für Verschwörungstheorien? Schulz: In direkter Nachbarschaft zu Bielefeld, einer Stadt, die es einer Verschwörung nach gar nicht geben soll, könnte man das vielleicht erwarten. Insgesamt gibt es für mich aber keine plausible Erklärung, warum die Anfälligkeit in Gütersloh höher sein sollte als in anderen Gebieten unseres Landes.

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