Kommentar zur Corona-Krise: "Sie wird der Politik neue Glaubwürdigkeit verleihen"

Gütersloh. Die Magnolien haben in den letzten Tagen angefangen zu blühen. Es sieht wunderschön aus, nur passt es nicht zum Rest. In Italien fährt ein Lkw-Konvoi unfassbare Mengen von Leichen zum Krematorium. Würde da jemand mit einem Messer vor uns stehen und uns bedrohen, ja, dann wüssten wir die Gefahr einzuschätzen, dann würden wir blitzschnell reagieren – und nach Hause laufen. Bedroht hingegen ein unsichtbarer Virus unser Leben, sickert die Situation nur langsam ins Bewusstsein. Draußen zwitschern die Vögel. Alles so friedlich hier in sogenannten Kriegszeiten. Diese Woche wird für immer in unserem Gedächtnis bleiben, denn die Zukunft ist links abgebogen. Keine Ahnung, wo wir gerade sind. Die Situation ist speziell, das hatten wir noch nicht. &bdquo;Tiefenkrise" nennt das die Wissenschaft und bereitet uns darauf vor, dass es nie mehr so wird wie vor Corona. Oder sagen wir mal ohne Corona. Die gesamte Bertelsmann-Verwaltung im Homeoffice – wer hätte das für möglich gehalten? Miele, Claas, Nobilia und all die anderen großen Arbeitgeber im Kreis suchen händeringend nach Lösungen und werden am Ende ihre Produktion unterbrechen müssen wie VW und andere auch. Die Gütersloher Mittelständler sind verzweifelt. Die Einzelunternehmer gedanklich schon im Konkurs. Was das mit uns anstellt? Es macht keinen Sinn, die Situation vom Ende her zu denken. Lieber Schritt für Schritt. Denn erstens kommt es anders, und zweitens, als wir denken. Wichtig ist hier und jetzt: nach Hause laufen. Tür zu! Es zeichnet eine demokratische Führung aus, der Bevölkerung Zeit zu geben, um Dinge zu verstehen Die Bundeskanzlerin hat an die ganze Nation appelliert, Landesminister Armin Laschet hat es wiederholt und Henning Schulz hat auch noch mal einen dringenden Aufruf zur Solidarität an alle Vereine und Institutionen geschickt: &bdquo;Bitte halten Sie sich an die Kontaktsperre!" Diktaturen hätten längst verfügt. Es zeichnet eine besonnene, demokratische Führung aus, der Bevölkerung Zeit zu geben, die Dinge zu verstehen. Zeit, die wir eigentlich nicht haben, um zu verhindern, was wir nie hatten und die wohl härteste Sanktion ist: eine Ausgangssperre. Die Erkenntnis dieser Tage ist, dass das Seriöse, wenn es ernst wird, am besten funktioniert. Das, was oft vom Zeitgeist verpönt und vielfach schon über Bord geworfen wurde. Ich persönlich bin gerade sehr froh, in einem Land und einer Stadt zu leben, das Politiker besitzt mit einem ordnungspolitischen Sachverstand. Dass hier keine Populisten regieren, die uns gegeneinander aufhetzen und zu echten Zukunftsfragen keine Antworten finden. Zur Stunde bin ich davon überzeugt, dass die Corona-Krise der Politik und Lokalpolitik eine neue Glaubwürdigkeit verleihen wird. Eine Instanz, der Sie in diesen Tagen vertrauen dürfen Gleiches gilt für die Tageszeitung. Belächelt als antiquiertes Relikt analoger Zeit, beschimpft als &bdquo;Lügenpresse" oder herabgestuft als Parteiblättchen: Was auch immer Sie bisweilen über uns denken mögen, wir sind für Sie da und sortieren die lokalen Ereignisse, während es vor Fake-News nur so wimmelt. Verständlicherweise ist für uns die Arbeit nicht einfacher geworden, lassen sich unter diesen Umständen aus dem Home Office Fakten nicht immer so leicht prüfen wie früher. Aber auf eines dürfen Sie sich verlassen: Wir geben unser Bestes, Richtiges vom Falschen, Relevantes vom Unwichtigen zu trennen. Und die nüchterne Nachricht immer der Sensation vorzuziehen. Die NW-Redaktion Gütersloh erhebt nach wie vor den Anspruch, eine Instanz zu sein, der Sie in diesen Tagen vertrauen dürfen. Bei aller Orientierungslosigkeit nicht das Gute aus den Augen verlieren Weil sich die Ereignisse bisweilen überschlagen, stellen wir unsere Informationen auch online (nw.de). Wenn Sie uns etwas mitteilen möchten, zögern Sie nicht (guetersloh@nw.de). Schicken Sie uns Leserbriefe, Anregungen, Lob, Kritik, Fotos von Ihrem Garten, Ausmalbilder, Erinnerungen. Nutzen Sie die Zeit, wenn Sie können, um darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist im Leben. Der Coronavirus wird den meisten Menschen Ärger und Verdruss, vielen auch viel Leid bereiten. Aber die Zeit wird auch viel Positives bringen. Versuchen wir, uns daran zu orientieren, und das Gute bei aller Orientierungslosigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Bis dahin bleiben Sie trotz herrlicher Frühlingssonne jetzt erst mal zuhause. Denn über eines möchten wir in Gütersloh niemals berichten müssen: einen Lkw-Konvoi voller Leichen.

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