Gütersloh

Fahrender Schallplattenladen sorgt für großen Ansturm in Gütersloh

Von ABBA bis Zappa – im Vinyl-Bus von Michael Lohrmann konnten Plattenliebhaber am Freitag nach Herzenlust stöbern. Das Interesse der Gütersloher war groß.

Weil’s drinnen voll war, bildete sich vor dem Bus eine Schlange. | © Andreas Frücht

21.02.2020 | 21.02.2020, 19:40

Gütersloh. Totgesagte leben länger, heißt es, und welches Beispiel eignet sich hier besser als das der guten alten Langspielplatte. Denn trotz CD, MP3 und Streaming erfreut sich die LP seit einigen Jahren wieder zunehmender Beliebtheit. Ein sagenhaftes Comeback, das so wohl kaum einer erahnte. Außer vielleicht Michael Lohrmann. Und der war Freitag in Gütersloh. Mit einem gelben US-Schulbus und 3.500 Platten an Bord. Der Andrang vor und in dem rollenenden Plattenladen – groß.

Lohrmann kennt das bereits. Seit November tourt der ehemalige Herausgeber des Musikmagazins MINT nun schon in seinem „Vinyl-Bus", einem umgebauten Schulbus Baujahr 2004, durch NRW.

Den ganzen Keller voller Schallplatten

Michael Lohrmann (r.) mit zahlreichen stöbernden Musikfreunden in seinem Bus. In der Hand hält es das Pink-Floyd-Album „Dark Side of The Moon“. - © Andreas Frücht
Michael Lohrmann (r.) mit zahlreichen stöbernden Musikfreunden in seinem Bus. In der Hand hält es das Pink-Floyd-Album „Dark Side of The Moon“. | © Andreas Frücht

Der 49-Jährige ist natürlich selbst Vinyl-Fan, etwa 15.000 Alben umfasst seine Schallplattensammlung, der ganze Keller sei voll damit und irgendwann habe ihm seine Freundin vorgeschlagen, einen Plattenladen zu eröffnen. Weil er aber nicht an einen Ort gebunden sein wollte, hatte er die Idee mit dem Bus. Und die kommt augenscheinlich an, denn überall dort, wo er anhält, freuen sich Musikliebhaber. Denn „eine Plattensammlung ist ja nie vollständig", sagt Lohrmann, und weil es in den meisten Städten keine Plattenläden mehr gebe, bestehe entsprechender Bedarf, einfach in Ruhe zu stöbern.

Etwa zwölf Leute können das zeitgleich, und wer will, kann in die Platten auch direkt reinhören (gerade läuft ZZ Top). Eine entsprechende Soundanlage samt Plattenspieler steht zur Verfügung, ein Technics übrigens, wie Lohrmann verrät, denn die, sagt er, seien die besten, da sie nicht springen würden. „Selbst wenn der Bus wegen des Andrangs mehrere Bud-Spencer-Typen kräftig wackelt, läuft die Musik weiter."

Klassik und Schlager sind tabu

Außer den Genres Klassik und Schlager, die im Bus tabu sind, weil die laut Lohrmann nicht mehr nachgefragt werden, ist die gesamte Bandbreite von Pop, Metal, Hard Rock/Blues Rock, Psychedelic, Indie/Alternative und Krautrock an Bord, hinzu kommen einige Hip-Hop-Scheiben, Electro, Soundtracks, Blues und Jazz, also quasi alles von A wie ABBA bis Z wie Zappa. 95 Prozent der Platten sind gebraucht, Lohrmnn kauft immer wieder ganze Sammlungen auf. Gezahlt werden kann in seinem Bus cash oder per EC-Karte. Fünf Euro kostet beispielsweise eine Platte der Pop-/Rock-Gruppe Supertramp, sage und schreibe 400 Euro das Album „Beware" der Horrorpunkband Misfits, immerhin eine britische Erstprägung von 1980.

So viel hat Musikfan Karl-Heinz Ohms nicht ausgeben wollen. 19 Euro hat er für eine Live-Platte der Beatles von 1962 und eine McCartney-Scheibe bezahlt, beide werden nun seine 400 Scheiben zählende Sammlung ergänze, von denen immerhin 110 von Udo Jürgens seien.

Menschen sehnen sich nach Entschleunigung

Auch Daniel Mooz ist fündig geworden, drei Metal-Scheiben aus den 80ern hat er gekauft, Magnum, Queensrÿche und Reverend trägt er nun in seinem Beutel davon und eigentlich hätte der 43-Jährige gern noch etwas länger gestöbert, denn die Auswahl sei „top", wie er sagt. Er selbst sei manchmal Gast im Media Markt, allerdings gebe es dort nur Repressed-Scheiben, für Sammler wie ihn, der immerhin 1.500 Platten und noch einmal 1.500 CDs zu Hause habe, sei das nichts.

Fragt man die Freaks und Interessierten, warum sie Vinyl bevorzugen, hört man immer die gleiche Antwort: Man sehne sich in Zeiten permanenter Informationsüberflutung nach Entschleunigung. Und während man Musik via Stream oft nur „konsumiere," höre man eine LP zielgerichtet, erfreue sich am typischen Knacken und habe dem Format gegenüber eine deutlich höhere Wertschätzung. „Der Platte", ergänzt Lohrmann, „verspricht ein akustisches und haptisches Erlebnis, die Musik wird bewusster gehört. Man kann regelrecht abtauchen."