Kommentar zur Bürgermeisterwahl: Nur einer der Kandidaten startet mit Rückendwind

Gütersloh. So unterschiedlich können die Reaktionen sein. Als Gitte Trostmann erklärt, sie sei zur Kandidatur bereit, bricht unter ihren grünen Parteifreunden Jubel aus; als Volker Richter Gleiches im Kreise seiner SPD-Genossen tut, ist die Reaktion eher ein erleichtertes Kopfnicken, nach dem Motto: Immerhin macht es einer. Und so sind ihre Startbedingungen für den Wahlkampf denkbar unterschiedlich: Die eine genießt Rückenwind, der andere kaum. Die eine kann anfangen, sich auf Wählerfang zu fokussieren, der andere muss sich bemühen, erst mal intern zu überzeugen. Die eine startet mit Laufschuhen, der andere trägt einen Rucksack. Die eine ist eine Frau, grün und trendy, der andere ist ein Kerl, mit Schnurrbart und Anzug. Die eine steht für Angriff, der andere für Rückzugsgefecht. Sowohl Trostmann als auch Richter sind den meisten Bürgern gänzlich unbekannt Was das für ihre Erfolgsaussichten bedeutet? Schwer zu sagen. Bis September fließt noch reichlich Wasser die Dalke hinunter, und dass sich Stimmungen drehen können, mitunter sogar binnen weniger Wochen, ist nicht nur auf Bundesebene gelegentlich zu beobachten. Gitte Trostmann fliegen mit ihrer herzlichen, umarmenden Art in Nullkommanichts die Sympathien zu, doch was ist, wenn den Parteifreunden und Wählern aufgeht, dass es der Germanistin sowohl an Verwaltungs- als auch an politischer Erfahrung fehlt? Volker Richter hingegen kommt von Statur, Naturell und Auftreten wie ein hyperkorrekter Versicherungsvertreter daher, für dessen oft dozierende Sozial- und Politanalyse sich allerdings im Laufe der Annäherung immer mehr Menschen erwärmen könnten. Zwei Herausforderer, zwei unterschiedliche Typen. Beiden gemein ist: Den meisten Bürgern sind sie gänzlich unbekannt. Sie und ihre Parteiapparate werden sich gewaltig abstrampeln müssen, dieses Defizit bis Herbst zu beheben. Haben sie überhaupt eine Chance, den Amtsinhaber und CDU-Mann Henning Schulz zu gefährden? Vor einem halben Jahr hätten die allermeisten geantwortet, nie im Leben. Doch seither hat es einen städtischen Offenbarungseid zum Thema Kostensteuerung gegeben. Wie konnte es passieren, dass derart viele Projekte aus dem Ruder laufen? Wer hat nicht genau genug hingesehen? Wer ist seiner Arbeit und Verantwortung nicht gerecht geworden? Wer war überfordert, und warum hat das der Vorgesetzte nicht erkannt? Die Antworten darauf sind erst rudimentär gefunden. Wann wird Schulz' Lieblingsprojekt "Digitaler Aufbruch" fassbar? Die Stadtverwaltung, namentlich Henning Schulz, hat Rufschaden erlitten. &bdquo;Was treiben die da?", ist eine Frage, die Beobachtern zuletzt an jeder Ecke entgegen schlug, sie war so berechtigt wie undifferenziert. Die Art der Fragestellung impliziert ein Alle-über-einen-Kamm-Scheren, sie ist daher ungerecht und völlig unangebracht, aber sie ist eine, die den Verwaltungschef mit einem fiesen Makel beheftet; ob Schulz diesen bis September los sein wird, ist derzeit unklar. Auch wird Schulz sich fragen lassen müssen, wann denn sein Lieblingsprojekt, der &bdquo;Digitale Aufbruch", endlich so konkret wird, dass er außer Anglizismen und neuen Beteiligungsformaten eine tatsächliche Lebenserleichterung produziert. Etwas Fassbares, Alltagstaugliches, für den Allgemeinbürger Verständliches? Ist eine solche Umsetzung bis Herbst nicht zu erkennen, wird er sich auf die Frage gefasst machen müssen, wozu der ganze Aufbruch-Popanz gut sein soll. Denkbar, dass im Herbst die Entscheidung über den Bürgermeister erst in der Stichwahl fällt. Denkbar auch, dass es nicht bei den drei Kandidaten bleibt. Wird sich BfGT-Frontmann Norbert Morkes noch erklären? Wird die FDP oder AfD jemanden benennen? Dass die Opposition diesmal keinerlei Bemühungen unternommen hat, einen gemeinsamen Gegenkandidaten zu finden, schmälert ihre Chancen, aber wie gut, dass es eine Auswahl gibt.

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