Gütersloh. Wem im Urlaub ein Herr Hanswillemenke, eine Frau Schlangenotto oder die Gebrüder Höwelkröger begegnen, der weiß sofort, wo diese Leute „wech sind": aus dem Kreis Gütersloh. Denn nur dort tragen die Menschen derart wohlklingende Nachnamen wie Langewellpott, Hermkentokrax und Dreismickenbecker – oder Ottovordemgentschenfelde, den längsten deutschen Familiennamen ohne Leerzeichen und Bindestrich.
HEITERES BERUFERATEN
Familiennamen, deren Entstehung und Bedeutung sich jedermann schnell zusammenreimen kann, entstammen meist der Gruppe der Berufsnamen. Unter den Top-20 der häufigsten Nachnamen in Deutschland sind 16 Berufsnamen. Müller, Schneider, Fischer, Koch versteht jeder, bei Meier (Verwaltungsbeamter, Pächter), Schulz (=Schultheiß, Abgabeneintreiber) oder Schröder (=Schneider, vom niederdeutschen schroden = schneiden) braucht man etwas Hintergrundwissen.

Zu den einzelnen Berufen gibt es unzählige Varianten und Ableitungen. Ein Bauer konnte auch Neubauer, Gebauer, Baumann oder Ackermann heißen. Auch seltene oder gar ausgestorbene Berufe leben als Familienname weiter: Sauschneider (Schweinekastrator), Bierschröter (Verlader von Bierfässern), Gänseräufer (Geflügelhändler), Rosstauscher (Pferdehändler) oder Küchenmeister.
Daneben gibt es noch die indirekten Berufsnamen. Sie beziehen sich auf ein typisches Werkzeug oder Produkt des jeweiligen Berufes: Hammer, Nagel, Krug (für einen Töpfer), Kessel (für einen Branntweinhersteller). In Abwandlungen Kneib, d. h. Messer („knife") für einen Schuster, oder Diller, d. h. Brett (dil) für einen Schreiner, oder Mehlhose für einen Müller. Auch lautmalerische Namen wie Pinkepank für einen Schmied kommen vor.... und ICH SAG DIR, WO DU WEG BIST
Herkunftsnamen geben an, aus welchem Ort eine Person ursprünglich stammt oder wo sie längere Zeit lebte. Wohnstättennamen beschreiben die Siedlung, das Haus oder das Gehöft, in dem eine Person lebt.
Zugezogene Neubürger wurden nach ihrem Herkunftsort oder -land benannt, z. B. Böhme, Unger (aus Ungarn), Adenauer (aus Adenau in der Eifel), Hess, Bayer, oder sie hießen einfach Neumann. Noch heute kann man an der Verbreitung der Herkunftsnamen die Wanderbewegungen der Menschen im Mittelalter nachvollziehen. Wer an einem markanten Landschaftspunkt oder einem besonderen Gebäude lebte, erhielt einen Wohnstättennamen: Brückner (der an der Brücke wohnt), Lindner (vor dessen Haus eine Linde stand), Gassner, Berg und Talmann.KRAUSHAAR, KRUMMBEIN, SCHLUCKEBIER
Einige Personen erhielten ihren Nachnamen nach ihren körperlichen, charakterlichen oder biografischen Eigenheiten – was mal mehr, mal weniger schmeichelhaft war.
Auf die Statur beziehen sich Namen wie Klein, Knoll, Groß und Dick. Auf die Haare Schwarz, Rot, Voss (= Fuchs, also ebenfalls rot), Weiß, Witt, Krause, Kraushaar, Glatz, Kahl. Auch körperliche Gebrechen wurden thematisiert: Krummbein, Speckhals, Fingerlos. Auf den Charakter beziehen sich Namen wie Sauer, Fromm, Ehrlich, Kühn, Wecker (=wacker, also tapfer), Frühauf. Auf das Ess- und Trinkverhalten verweisen Fraas, Freter, Kappesesser, Lecker, Sauff, Süper, Schlink oder Schluckebier.
IM NAMEN DES VATERS
Von einem Vaternamen oder auch Patronym spricht der Namenkundler, wenn der Rufname des Vaters auf die Kinder überging. Dass die Mutter die Namensgeberin war, kam – anders als im skandinavischen Raum – in Deutschland nur sehr selten vor, höchstens dann, wenn der Vater vor der Geburt des Kindes verstorben oder gänzlich unbekannt war, oder wenn die Mutter gesellschaftlich deutlich höhergestellt war.
Für Vaternamen gibt es dagegen unzählige Beispiele. Manchmal wurde einfach der Rufname des Vaters dem des Kindes hintangestellt. Es entstanden Nachnamen wie Walter, Endres (von Andreas), Heinermann (von Heinrich) oder Wettig (von Widukind). Bei den meisten Namen wurde allerdings dem Namen des Vaters eine Endung angefügt: Hendricks = das Kind von Hendrick; Mertens = das Kind von Martin, Sieveking = der Kleine von Siegfried, Wilmking = der Kleine von Wilhelm, Otten = das Kind von Otto, Jansen = der Sohn des Jan, Gericke = der Kleine von Gerd, Henning = der Sohn von Hans, bildungsbürgerlich lateinisiert: Pauli = das Kind von Paul; Jacobi = das Kind von Jakob.
DREI NAMEN IN EINEM
Soweit die „normalen" deutschen Familiennamen. Nun zu den Besonderheiten in Ostwestfalen-Lippe, speziell in der Region zwischen Rietberg, Verl, Schloß Holte-Stukenbrock und Delbrück. Wer dort Pauleickhoff oder Christophliemke mit Nachnamen heißt, wird sein Leben lang falsch adressierte Post bekommen. Frankfurter Versandhäuser schreiben an Paul Eickhoff, Essener Stromanbieter an Christoph Liemke – dabei sollte sich doch längst herumgesprochen haben, dass Familiennamen in OWL gerne ein bis drei Vornamen enthalten.
Es gibt im Kreis Gütersloh eine bundesweit einzigartige Häufung von Vaternamen in Kombination mit anderen Namensbestandteilen. Beispiel „Pauleickhoff". Eickhoff, also Eichenhof, ist ein klassischer Wohnstättenname. In OWL wurde dem nun aber noch der Rufname des Hofbesitzers vorangestellt. So auch bei Franzbohnenkamp, Erichlandwehr, Jakobfeuerborn oder Johannimloh. Patronyme finden wir auch bei Diekhans, Grabenheinrich, Brüggenjürgen oder Netenjakob.
Besonders kurios: In OWL findet man Vaternamen, die mit weiteren Vaternamen kombiniert wurden. Beispiele sind Barteldrees (Bartholomäus + Andreas), Hanswillemenke (Hans + Wilhelm + Meinhard), Maaskerstingjost (Maas/Thomas + Kersting/Christian + Jost/Jodocus) oder Peterottotöns (Peter + Otto + Antonius). Oder es werden Vater-, Wohnstätten und Berufname kombiniert wie bei Berndfüchtenschnieder: Bernhard + Fichten + Schnieder/Schnitter, d. h. jemand, der das Korn in Handarbeit mäht.WER HAT DEN LÄNGSTEN?
Bemerkenswert ist die Länge der Namen, die so entstehen können. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, in Bielefeld lebe oder lebte eine Frau mit Namen Dreismickenbecker-Rodenbeckenschnieder. Und wer hat schon einmal mit Herrn Hemkensemkensamtenschnieder in Schloß Holte-Stukenbrock gesprochen? In der Grafschaft Rietberg sind Namen wie Ewert bei der Vogelstange, Hans am Feuerbornteiche, Lütkejungezumschlinge und Kockgretenellebracht zumindest historisch belegt. Rekordhalter aktuell bestätigter Namen sind Ottovordemgentschenfelde (24 Zeichen), Hemkensamtenschnieder und Beckervordersandforth (je 21). Noch längere Namen gibt es, wenn man Einträge mit Leerzeichen oder Bindestrichen hinzunimmt – der Spitzenreiter bleibt aber derselbe: Otto vor dem gentschen Felde (28), Upmeier zu Altenschildesche (27) und Meier Schulte aufm Erley (25).
NUR DER HOFNAME ZÄHLT
Zudem gibt es noch das Phänomen der „Genanntnamen", das den Familiennamen enorm verlängern kann. Genanntnamen wurden verwendet, wenn ein Hofbesitzer keinen männlichen Erben hinterließ, so dass sein Hof durch Verkauf oder Einheirat an einen Fremden ging. Der Hofname sollte durch die Übernahme aber nicht verloren gehen. So wurde es vorwiegend in Westfalen Brauch, dass der Neue den Namen des früheren Hofbesitzers an seinen eigenen Namen anhängte – und nur noch nach dem Hofnamen genannt wurde. Es kam zu Nachnamen wie „Hagenhenrich genannt Hagemann", „Pielsticker genannt Meyer zu Jerrendorf" oder „Spilker genannt Höner zu Siederdissen". Fakt ist: Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es so wohlklingende, so lange, so „väterliche" und so einzigartige Familiennamen wie in Ostwestfalen.
BEISPIELE FÜR PATRONYME IN OSTWESTFÄLISCHEN FAMILIENNAMEN:
- Balsfrenser, Balsfulland, Balsliemke (Bals=Balthasar)
- Barteldrees, Bartelniewöhner (Bartel=Bartholomäus)
- Berndfüchtenschnieder
- Christianhemmers, Kerstingaufderheide, Kerstingtombroke (Kersting=Christian)
- Christophliemke
- Dirkmorfeld, Dirkschnieder
- Dresing, Dreesbeimdieke, Dreischalück, Dreismickenbecker (Dre(e/i)s=Andreas)
- Erichlandwehr, Erichreineke
- Ewerdwalbesloh (Ewerd=Eberhard)
- Franzlübbers, Franzbonenkamp
- Gerdellebracht, Gerdhenrichs, Gerdkamp, Gerdröwekamp, Gerdtoberens, Gerdtommarkotten
- Hansjürgens, Hanshermliemke, Hanswillemenke
- Hermbecker, Hermjohannknecht, Hermneuwöhner, Hermreck, Hemkendreis, Hemkensamtenschnieder, Hemkentokrax (Herm, Hemken=Hermann)
- Jacobaufderstroth, Jacobtorweihen, Jacobebbinghaus, Jakobkersting, Jakobfeuerborn
- Johannpeter, Johanndrees, Johannhansmeier, Johannhörster, Johannimloh, Johannimstroth, Johannleweling, Johanntoberens, Johanntokrax, Johannwerner, Johannwille
- Jostameling, Jostkleigrewe (Jost=Jodocus)
- Jürgenliemke, Jürgensmeier
- Klaslinnenkamp, Klasbrummel, Klasfauseweh, Clasbrummel, Clasvorbeck (Klas/Clas=Nikolaus/Klaus)
- Kordtokrax, Kordbarlag, Cordtomeikel (Kord, Cord=Konrad)
- Martinschledde
- Ottofrickenstein, Ottokrietenbrink, Ottonottebrock, Ottovordemgentschenfelde
- Pauleickhoff, Paulfeuerborn
- Peterhanwahr
- Steffenfauseweh
- Thiesbrummel, Tiesbohnenkamp (Thies=Matthias)
VORNAMEN SIND IN OWL AUCH BELIEBTE SUFFIXE:
- Altenbernd
- Buschfranz
- Eschengerd, Wullengerd
- Bökenhans, Diekhans, Hüwelhans, Noltenhans, Pollhans, Epkenhans, Noltenhans, Schnitgerhans, Siedenhans
- Grabenheinrich, Kleineheinrich, Tiekenheinrich, Wöstheinrich
- Hagenhenrich, Meierhenrich, Osthushenrich, Plaßhenrich, Rodenjohannshenrich, Vosshenrich, Gerdhenrichs
- Kampherm, Palsherm, Riewenherm (Herm=Hermann)
- Netenjakob, Venjakob
- Düpjohann, Füchtjohann, Gosejohann, Großjohann, Henkenjohann, Hummerjohann, Kochjohann, Landwehrjohann, Merschjohann, Ortjohann, Wittjohann
- Brüggenjürgen, Füchtencordsjürgen, Knaupjürgen, Kuhljürgen, Stückerjürgen
- Poggenklas (Klas=Nikolaus/Klaus)
- Fortkord, Hagenkordt, Wullenkord (Kord=Konrad)
- Fechtelpeter, Johannpeter, Kampeter, Pollpete, Bohnensteffen, Verlsteffen
- Diekotto, Dingenotto, Feldotto, Flötotto, Flüteotto, Krusenotto, Lückenotto, Mertensotto, Offelnotto, Schlangenotto
- Brüggenthies, Müterthies (Thies=Matthias)
- Johannwerner
Alles eine Frage der Übersetzung
Als die Familiennamen in Deutschland entstanden – zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert – war die Sprache der Menschen stark vom Dialekt geprägt. Viele enthalten daher niederdeutsche Elemente: graute (groß), soete (süß), hus (Haus) und so weiter. Eine wichtige Rolle spielen außerdem Flurnamen, also die Bezeichnungen für forst- und landwirtschaftlich genutztes, nicht besiedeltes Land.
Hier einige mögliche und stark verkürzte Deutungen ostwestfälischer Familiennamen:
- Poggenpohl = Froschteich (Poggen = plattdeutsch für Frösche, Pohl = Pfuhl)
- Schnakenbrock = Mückensumpf (Brock = Bruch = Sumpf-, Waldgelände)
- Clasbrummel = Brombeernikolaus (Claus = Klaus/Nikolaus, Brummel = vom althochdeutschen „brom": Dornen(gestrüpp), Brombeeren; Thiesbrummel entspr. von Matthias)
- Ellerbrake = Erlengehölz (Eller = Erlen, Braken = Gestrüpp, Unterholz)
- Fissenewert = Fisch-Eberhard (Fissen = wahrsch. am Fischteich wohnend, Ewert = Eberhardt)
- Gerdröwekamp = Rübenfeld-Gerhard (Röwe = Rübe, Kamp = eingefriedetes Feld)
- Gosejohann = Gänse-Johannes
- Linnemannstöns = Leineweber-Anton
- Rieksneuwöhner = der neue Heinrich (Rieks = (Sohn des) Heinrich, Neuwöhner = jemand, der sich neu (meist am Dorfrand) angesiedelt hat)
- Höwelkröger = Hügelwirt (Höwel = Hügel, Kröger = Inhaber/Pächter eines "Kruges”, also einer Gastwirtschaft)
- Rullkötter = Kotten-Rudolf (Rull = Rudolf, Kötter = Bewohner eines Kotten, vergl. Tieskötter (von Matthias) und Tönskötter (von Antonius)
- Rüenbrink = Hundehügel
- Oberschabbehard = Am oberen Schafshang siedelnd
- Dreismickenbecker = der am Mückenbach wohnende Andreas (Dreis = Andreas, Micken = Mücken, Beck = Bach)
- Settertobulte = Siedler auf der Anhöhe (Bulte = Hügel oder trockene Stelle im Moor
- Strothenke = Sumpf-Heinrich (Strod = Morast, Henke = der kleine Heinrich)
- Westerbarkey = Westlicher Birkenhain (Wiedey = Weidenhain, Erley = Erlenhain)
- Wixforth = Wigberts Viehweg (Forth = Furt, aber auch Triftweg/Viehtriebpfad)
Weitere Namendecodoerungen finden sich unterwww.owl-namen.de
INFORMATION
- Durch „Sprache und Küche der Region" geht es im neuen Jahr in drei Restaurants der Region. Der Gütersloher Autor Matthias Borner (45) liest aus seinen Ostwestfälisch-Wörterbüchern „Pölter, Plörre und Pinöckel", während die Gäste ein regionaltypisches 3-Gänge-Menü der gehobenen westfälischen Küche serviert bekommen. Teilnehmer erfahren allerlei Wissenswertes und Humorvolles rund um den heimischen Regiolekt, d. h. die sprachlichen Besonderheiten, durch die man auch im Mallorca-Urlaub als Ostwestfale erkannt wird. Zudem erläutert Borner einige der schönsten, längsten und kuriosesten Familiennamen der Region – von Beckervordersandfort bis Upmeyer zu Altenschildesche.
- Aufgetischt wird im Museumshof Senne, im Gasthaus Spieker zwischen Verl und Hövelhof und zum ersten Mal auch im Restaurant „Abrahams" in der ehemaligen Kornbrennerei Rheda.
- Die Lesereihe findet an fünf Freitag- und Samstagabenden im Januar, Februar und März 2020 statt, Beginn ist jeweils 18:30 Uhr. Karten gibt es für 69 Euro bei Gütersloh Marketing sowie auf www.owl-spezialitaeten.de