Gütersloher Suppenküche kämpft um Unterstützung: "Wir haben gezittert"

Sie sind in diesem Sommer in die Offensive gegangen. Nach 17 Jahren Suppenküche haben Sie die Stadt aufgefordert, sich finanziell zu beteiligen. Haben Sie in dieser Zeit gezittert um die Zukunft der Einrichtung?Petra Roggenkamp: Das war für uns völliges Neuland. So einen Antrag haben wir noch nie gestellt. Und bis es soweit war, hat es bei uns wirklich lange gedauert. Natürlich haben wir auch ein bisschen gezittert, denn niemand von uns wusste, wie es ausgeht. Was hat Sie bewogen, die Stadt um Hilfe zu bitten?Inge Rehbein: Die Altersnachfolge hat uns dazu gebracht. Ich brauche jemanden, der zu 100 Prozent meine Aufgaben übernehmen kann. Wir haben gemeinsam überlegt, wie das aussehen kann und haben dabei sehr schnell festgestellt: Das können wir nicht bezahlen. Sie haben 30.000 Euro gefordert, um eine Halbtagskraft finanzieren zu können?Rehbein: Ja, denn das macht man nicht mal gerade so. Wir arbeiten von Januar bis Dezember. 30.000 Euro auf Spendenbasis aufzustocken ist für uns nicht mal eben machbar.Bernd Mussenbrock: Es gibt ja keine Sicherheit, dass sich das Spendenaufkommen in gleichem Maße erhöht. Uns war immer klar, dass die Suppenküche betrieben werden muss und das große ehrenamtliche Paket von Inge Rehbein nicht ein zu eins in die nächste Generation gehen kann. Das macht keiner. Es musste eine Finanzierung her. Die erste Reaktion aus dem Rathaus wirkte, als sei die Suppenküche im Ganzen in Frage gestellt worden?Mussenbrock: Nein, das würde ich nicht so sehen. Die Frage war nur, ob etwas doppelt gemacht wird, das es als Stadtangebot schon gibt. Im Nachhinein hat uns das sehr befriedigt, dass die Fachleute der Stadt mit uns Gespräche geführt haben. Dabei hat sich herausgestellt, dass wir eben keine Überschneidungen haben und das unser niederschwelliger Ansatz als Beratungsangebot zu den allgemeinen Angeboten der Stadt gesehen werden kann. Und deswegen jetzt auch gefördert wird. Hat es denn früher nie Gespräche und Besuche seitens der Stadt gegeben?Rehbein: In dieser Form leider nicht. Aber jetzt sehr intensiv und darüber sind wir froh. Wir haben jetzt einen ganz anderen Fokus in der Stadt und auch im Rathaus. Sie sind in der Aufmerksamkeit also aufgestiegen?Roggenkamp: Es gab zwei Workshops mit Mitarbeitern aus dem Rathaus. Das war auch für uns selber in der Reflexion hilfreich. Unsere Darstellung hat alle Anwesenden überzeugt und es hat auch uns selber überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.Rehbein: Es gibt keine Überschneidungen mit Angeboten der Stadt Gütersloh. Das hat uns gestärkt.Roggenkamp: Wir erreichen Menschen, die ohne uns nicht von alleine in die Regelleistungen kommen. Haben Sie mal ein Beispiel?Roggenkamp: Bei uns läuft der Kontakt über das Essen. Man kommt erstmal, weil man ganz unkompliziert eine kostenfreie Mahlzeit erhält und keinerlei Forderungen gestellt werden. Wer will, kann seine Sorgen los werden. Und oft hören wir auf diesem Wege richtig schwere Schicksale. Im Kinder- und Familienbereich haben wir sehr stark mit materiellen Anfragen zu tun wie etwa Schulutensilien. Familien schaffen es nicht, Teilhabeanträge alleine auszufüllen. Wir helfen, denn es gibt viel Halbwissen oder gar kein Wissen, aber das Interesse, etwas zu erfahren, ist sehr groß – vor allem bei den Frauen aus den anderen Kulturkreisen. Diese Menschen gehen in keinen VHS-Kurs und sie gehen mit ihren Babys auch nicht in eine Pekip-Gruppe. Das ist Fakt. Die Kinder tun sich mit Ferienbeschäftigung sehr schwer, und hier können wir vermitteln und helfen. Auch mit eigenen Lernpatenschaften. Wir machen eine ganz intensive Koordination für Kinder und Erwachsene möglich. Wir sind bestens vernetzt. Die Stadt hat das alles vielleicht vermutet, aber jetzt hat es sich bestätigt. Hat denn die Politik in all den Jahren mal durch die Tür der Suppenküche geblickt?Rehbein: Das war der nächste Schritt. Wir haben alle Fraktionen zu uns eingeladen. Und sie sind auch gekommen. Letztlich haben sie uns mit unserem Antrag unterstützt. Das hat nicht auf Anhieb geklappt. Zunächst wollte die Stadt nur 17.000 Euro geben über zwei Jahre. Woher kam der Mut zu kämpfen?Rehbein: Andere Meinungen und andere Statements darf man bringen. Das ist lebendige Demokratie. Der Weg ist halt nicht immer gerade. Wir haben uns selbst ermahnt, geduldig zu sein. Und ich finde, wir haben das fürs erste Mal ziemlich professionell hinbekommen (lacht). Ging es nur ums Geld oder haben Sie auch Wertschätzung erfahren?Rehbein: Man muss an dieser Stelle deutlich betonen, dass es niemanden im Rathaus und auch niemanden in den Fraktionen gab, die nicht bereit waren, Geld zu geben. Es ging am Ende nur um die Höhe und in 17 Jahren ist uns noch nie so viel Wertschätzung entgegengeschlagen. Wir haben allen Grund, Danke zu sagen. Wie viele ehrenamtliche Helfer hat die Suppenküche?Rehbein: Etwa 120 Ehrenamtliche engagieren sich Woche für Woche in unserer Einrichtung für die Ärmsten.Roggenkamp: Ehrenamt verändert sich sehr stark. Für viele gibt es nicht mehr die Perspektive für ein breites Ehrenamt mit vielen Stunden Einsatz, sondern eher in kleinen Einheiten. Wer zu uns kommt, darf auch testen, ob es gefällt. Wie viele Gäste haben Sie in der Woche?Rehbein: Die Gästezahl ist in einem offenen Angebot wenig berechenbar. Wir kochen rund 600 Essen in der Woche. Die teilen sich auf in die Kinderküche &bdquo;Die Insel" und in den Erwachsenenbereich. Alles rein spendenbasiert?Rehbein: Ja. Mit den Lebensmittelspenden unserer Sponsoren schaffen wir den Erwachsenenbereich. Für die Kinderküche &bdquo;Die Insel" müssen wir für rund 1.500 Euro im Monat zukaufen. Auch das Geld kommt aus Spenden. Klappt die Rechnung mit den Spenden denn immer?Rehbein: Ja. Ich bin total stolz, seit 17 Jahren eine kostenlose warme Mahlzeit für alle unsere Gäste klein und groß vorzuhalten zu können. Wir schaffen das. Unsere Sponsoren, Bürgerinnen und Bürger, aber auch Firmen helfen bei der Finanzierung.Mussenbrock: Es gibt bei Spenden immer mal ein Auf und Ab, aber wir genießen in Gütersloh inzwischen Vertrauen und es ist ein gutes Gefühl, dass viele Bürger und Unternehmen an uns denken. Sicher können wir uns deshalb nie sein. Es bleibt eine stete Aufgabe. Benötigen Sie demnächst weniger Spenden wenn Sie jetzt 30.000 Euro von der Stadt bekommen?Mussenbrock: Nein, das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Wir benötigen für unseren laufenden Betrieb weiterhin Spenden in Höhe von rund 130.000 Euro jährlich mit steigender Tendenz. Dazu kommt, dass wir zukünftig mit Geräte-Neuanschaffungen für unsere Küche rechnen müssen. Sehen Sie Bedarf für eine größere Menge an Essen?Roggenkamp: Der Bedarf ist ganz klar da. Räumlich geht das aber nicht. Die Suppenküche platzt aus allen Nähten, und in den Ferien ist es besonders dramatisch. Es ist wirklich überfüllt und eine Herausforderung für alle Kollegen, die in diesen Ausgabezeiten tätig sind. Beim Essen sitzt man auf den Fluren, auf den Stufen vom Waschkeller und überall dort, wo es eine Lücke gibt. Wer dieses Bild nicht gewohnt ist, der hält wirklich die Luft an. Es ist dramatisch.Mussenbrock: Im Sommer entlastet uns die Außenfläche, die wir hinzunehmen. Sie haben einen freien Tag in der Woche ohne Essensausgabe. Der könnte noch genutzt werden, oder?Roggenkamp: Ein weiterer Ausgabetag wäre ein großer Kraftakt für die Mitarbeiter, denn den freien Tag benötigen wir auch für organisatorische Angelegenheiten.Rehbein: Dennoch habe ich schon Gedanken, wie man einen solchen Tag füllen kann. Die steigende Altersarmut ist sichtbar geworden in unserer Gesellschaft und unserer Einrichtung, da wäre es sinnvoll zu sagen: Dieser Tag wird reserviert für unsere Rentnerinnen und Rentner. Wäre der richtige Schritt ein Umzug in größere Räume?Mussenbrock: Zur Stunde eher nicht. Jetzt müssen wir die Stabilisierung in der Altersnachfolge hinbekommen. Wenn das gelungen ist, kann man sehen, was sich anbietet. Frau Rehbein, Sie sind seit 17 Jahren vollzeit in der Suppenküche engagiert, verbringen Weihnachten dort und vermutlich auch jeden anderen Tag im Jahr. Mal ganz ehrlich: Wollen Sie wirklich aufhören?Rehbein: Nein! Jeder der mich kennt, weiß, dass ich nicht aufhöre. Ich bin nach wie vor die Vorsitzende unserer Einrichtung und bis 2021 gewählt, aber beim Thema Altersnachfolge muss ich einen großen Teil der praktischen Arbeit abgeben, um mich anderen Dingen widmen zu können. Wir sind auf einem guten Weg. Im nächsten Jahr werden wir jemanden haben, der das Tagesgeschäft übernimmt und auch die Leitung im Büro. Das heißt für mich, dass ich nach der Einarbeitungszeit zwei bis drei Schritte zurückgehe. Was genau geben Sie ab?Rehbein: Die Begleitung der Essensausgaben und Spielteams, die Leitung von Mitarbeiter- und Teamleitergesprächen, die Verantwortlichkeit für die Abläufe im Büro und einiges mehr. Das ist ein großes Paket. Ich freue mich darauf, dass ich dann ein bisschen mehr Luft zum Atmen habe, aber dennoch die Geschicke der Gütersloher Suppenküche als Vorsitzende im geschäftsführenden Vorstand mit meinen Kollegen und Kolleginnen lenken darf. Fällt Ihnen das schwer?Rehbein: Ich befasse mich schon drei bis vier Jahre mit meiner Nachfolge. Als Gründerin ist es nicht so einfach, diesen Schritt zu tun, und deshalb war es sinnvoll, sich frühzeitig mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ich will jetzt diesen Schritt gehen. Alles hat seine Zeit. Das kann ich heute sagen. Sie haben jetzt die Zusicherung für die neu zu schaffende Stelle. Wer wird es werden?Mussenbrock: Wir haben uns für eine Bewerberin entschieden, die im Januar 2020 anfangen wird.Rehbein: Man glaubt es kaum, aber wir hatten neun hoch qualifizierte Bewerber und Bewerberinnen auf die Stelle. Frau Roggenkamp, möchten Sie auch kürzer treten?Roggenkamp: Ja. 2021 möchte ich den zweiten Vorsitz aus privaten Gründen gerne abgeben. Ich wollte eigentlich 2019 schon ausscheiden, aber die Strukturen für die Nachfolge waren nicht geschaffen. Irgendwann aber muss man glaubhaft sein. Für sich selber und für die Familie. Ich bin jetzt 15 Jahre dabei und auch in der sozialen Arbeit gibt es den Moment, wo man gehen darf und vielleicht auch sollte.

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