Herr Seip, Sie sind nicht nur Richter am Gütersloher Amtsgericht, sondern auch Sportrichter beim Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen (FLVW). Wie kam es dazu?
MARKUS SEIP: Ich spiele selbst Fußball und habe mit vier Jahren bei den Mini-Kickern angefangen. Seit meiner Kindheit wollte ich außerdem schon immer Richter werden. Nach meinem Jurastudium habe ich mich für die Wahlstation des Referendariats beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) in Frankfurt beworben dort drei Jahre lang gearbeitet, bis ich mich dann doch dazu entschieden habe, in die Justiz zu gehen.
Ab 2018 war ich zunächst am Bielefelder Landgericht tätig, bevor ich Anfang 2019 zum Gütersloher Amtsgericht gekommen bin. Bei der Sportgerichtsbarkeit wollte ich trotzdem am Ball bleiben. Mitte des Jahres wurde ich beim FLVW zu einem der Sportrichter im Verbandssportgericht gewählt und kann so Beruf und Hobby zusammenbringen.
Fußball ist ja ein hochemotionales Thema, da geht es zuweilen richtig ab auf dem Platz. Inwiefern bestimmt das Ihre Arbeit als Sportrichter?
SEIP: Ich habe zum Beispiel die Fälle der türkischen Militärgrüße bearbeitet. Die liefen bei uns unter den Diskriminierungsfällen, und für die bin ich zuständig.
Mit welchem Ergebnis?
SEIP: Mein Ergebnis war, dass dieser Gruß nicht diskriminierend ist. Das war die große Frage und wurde in den Medien und von Verbandsseite ja auch sehr hochgekocht. Wenn man sich die Fälle dann aber angeschaut hat, musste man tatsächlich erst einmal überlegen: Was ist dieser Militärgruß denn überhaupt und was wollen die Spieler damit zeigen? Der Militärgruß als solcher ist ja kein verbotener Gruß, das macht unsere Bundeswehr auch. Das ist etwas anderes als der Hitlergruß. Der Vorwurf war, dass dieser Gruß diskriminierend sei, weil man damit zugleich die türkische Politik von Erdogan und den Angriffskrieg unterstütze.
Und weiter: für die Vernichtung der Kurden ist. Das ist schon sehr weit gedacht. Unter den Fällen waren zum Teil Mannschaften, in denen Türken und Kurden zusammengespielt haben und auch kurdische Spieler diesen Militärgruß gezeigt haben – als eine Art Ehrbekundung für die Soldaten im Krieg. Das ist natürlich auch unsportlich, weil es eine politische Äußerung ist und der Sport politikfrei sein soll, aber am Ende war dieser Gruß nicht diskriminierend. Trotzdem sind die Militärgrüße etwas, das die Öffentlichkeit gestört hat, und sobald so ein Störgefühl eintritt, ist das ein Fall für die Sportgerichte. Und da sagt man: Das ist unsportlich, so etwas wollen wir nicht.
Was haben Sie als Sportrichter sonst so zu tun?
SEIP: Häufig geht es um Verfahren gegen Vereine wegen Zuschauerfehlverhaltens, also gewalttätige Auseinandersetzungen, Pyrotechnik, Beleidigungen – um Emotionen, die zu Tage treten, aber falsch kanalisiert werden. Wir haben aber auch die ganz klassischen Fälle von roten Karten, also dass entschieden werden muss, wie lange jemand gesperrt wird. Außerdem verhängen wir Sperrstrafen gegen Trainer, wenn sie aus dem Innenraum verwiesen werden. Gewalt gegen Schiedsrichter natürlich auch.
Wie ist Ihre Einschätzung – hat diese Gewalt zugenommen oder gab es sie immer schon?
SEIP: Wir hatten vor kurzem eine Rechtstagung, auf der zu diesem Thema Stellung genommen und die Statistiken der letzten Jahre verglichen wurden. Das Ergebnis war tatsächlich, dass es nicht mehr Gewalt gegen Schiedsrichter gibt. Es ist aber so, dass inzwischen mehr darüber berichtet wird. Und wenn etwas passiert, ist das natürlich immer ganz dramatisch und bedarf auch einer großen Berichterstattung – aber das ist nicht das Spiegelbild der Spiele, von denen 99,9 Prozent friedlich stattfinden.
Als Spieler haben Sie ja bestimmt selbst schon die Erfahrung gemacht, dass es Schiedsrichter gibt, die schlimm und ungerecht pfeifen. Wie verhält man sich als Mannschaft da am besten auf dem Platz?
SEIP: Natürlich kenne ich die Situation, dass man auf dem Platz steht und die Entscheidungen nicht mehr versteht. Letztlich ist es jedoch die falscheste Reaktion, Gewalt gegen den Schiedsrichter anzuwenden, denn ändern kann ich es dadurch auch nicht. Hier müssten die Vereine ihre Mannschaften besser vorbereiten und im Umgang mit solchen Situationen schulen, so dass sie auch dann ruhig bleiben, wenn ein Schiedsrichter schlecht oder falsch pfeift.
Wir haben diese Diskussionen ja auch in den Profiligen, wo wir drei Schiedsrichter haben plus Videobeweis, und trotzdem können die es nicht allen recht machen – wie soll das dann jemand machen, der alleine auf dem Platz steht und das nur hobbymäßig macht? Der kann gar nicht alles richtig entscheiden. Man muss einfach froh sein, dass es überhaupt Leute gibt, die den Job machen – auch wenn ich das früher als Spieler in der einen oder anderen Situation mal anders gesehen habe.
Bekommen Sie auch Gütersloher Fälle auf den Tisch?
SEIP: Ich hatte in dieser Saison tatsächlich einen Fall gegen den FC Gütersloh, da ging es um rassistische und antisemitische Äußerungen von Fans, die wirklich nicht schön waren.
Mit welchem Ergebnis?
SEIP: Die wurden verurteilt zu einer Geldstraße von insgesamt 3.500 Euro sowie einer Zahlung von 1.500 Euro an den Verein Aktion Sühnezeichen, der sich in dieser Richtung engagiert. Es gab da mehrere Vorfälle. Wir stoßen hier aber an unsere Grenzen: Eigentlich wollen wir diese Störenfriede gar nicht in den Stadien haben, aber die Sportgerichte können sie nicht sanktionieren, weil die Täter entweder kein Vereinsmitglied sind oder weil wir sie selber nicht identifizieren können.
Da sind die Vereine besonders gefragt. Wir wünschen uns von ihnen, dass sie mehr tun, um die Täter zu identifizieren. Dann würden auch die Strafen gegen die Vereine niedriger ausfallen. Ein zweiter Aspekt: Die Vereine sollen sich diese Geldstrafen eigentlich von den Tätern zurückholen, das ist rechtlich möglich, machen sie aber aus meiner Sicht viel zu selten.
Haben Sie als Sportrichter auch mit Bestechungsvorwürfen zu tun?
SEIP: Das Thema Spielmanipulationen nimmt aktuell nicht mehr einen so großen Raum ein. In den letzten Jahren gab es im deutschen und im internationalen Fußball eher andere Skandale, besonders wenn es um die Verbände geht, in Richtung Korruption oder Rechtevergabe von Turnieren.
Verraten Sie uns zum Schluss noch Ihren Lieblingsverein und -spieler?
SEIP: Borussia Dortmund und Marco Reus.
Links zum Thema