Jörg Altemeier leitet die Stabstelle Tierschutz bei Tönnies

Herr Altemeier, die Fernsehbilder von Fehlbetäubungen in einem Schlachthof in Tauberbischofsheim haben die Öffentlichkeit erneut aufgeschreckt. Der Schlachthof gehört ausdrücklich nicht zur Tönnies-Gruppe, Sie haben zur Abdeckung von Produktionsspitzen bei dem Betrieb Fleisch zugekauft. Was sagen Sie zu solchen Vorkommnissen? Jörg Altemeier: Das darf ganz klar nicht passieren! Wir bei Tönnies haben den Prozess der Betäubung an unseren Rinderstandorten so gestaltet, dass das auch gar nicht passieren kann. Können Sie sich sicher sein? Altemeier: Einzelfälle lassen sich nie ganz ausschließen, aber das, was dort passiert ist, gibt es bei uns nicht. Rinder werden mit dem Bolzenschuss-Gerät betäubt. Bei uns wird der Kopf des Tieres leicht fixiert, es kann nicht wild um sich schlagen. Bei jedem einzelnen Tier wird die Betäubung überprüft. Der gesamte Bereich ist kameraüberwacht, so dass wir theoretisch auf jedes Tier schauen und damit begutachten können, ob alles richtig läuft. Die Schädel der Tiere werden einzeln fotografiert und die Schusskanäle dokumentiert. Damit halten wir nach, mit wie viel Schüssen an welcher Stelle das Tier betäubt wurde. Die Kameraüberwachung ist für Sie Notwehr, um Vorwürfe fernzuhalten und nicht selbst zur Schlagzeile zu werden? Altemeier: Nein, die Kameras haben wir in den letzten sechs Jahren seit meiner Amtszeit bei Tönnies sukzessive eingeführt. Und wir haben hier am Schlachthof Rheda immer drei Angestellte vom Kreis Gütersloh vor Ort, die uns auf die Finger schauen. Sie stellen Teile des Schlachtprozesses seit neuestem online. Warum? Altemeier: Nicht jeder Verbraucher möchte sich das ansehen, aber wer es möchte, soll es tun. Der Prozess der Schlachtung hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem verändert, und wir wollen eine sachliche Diskussion darüber führen. Wir würden sogar noch weiter gehen, wenn der Datenschutz das erlauben würde. Könnte auch ein gutes Marketinginstrument sein... Altemeier: Wir wollen nichts beschönigen, und es soll auch kein Marketinginstrument sein, aber wir haben die Bereitschaft, unsere Arbeit zu zeigen. Offen gestanden: hier sollte die Branche insgesamt mehr Bereitschaft zeigen. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Ganz klar. Dem Fleisch sieht man seine tierische Herkunft bisweilen gar nicht mehr an. Es liegt zerteilt, passend portioniert und verpackt in der Kühltheke des Supermarktes, so dass der Gedanke ans Tier verdrängt ist. Ist es nicht dringend notwendig, die Schlachtung zurück ins Bewusstsein zu holen? Altemeier: Absolut. Die Bereitschaft, sich mit dem Thema Schlachtung auseinanderzusetzen, steigt aber aktuell. Der Verbraucher konsumiert bewusster. Nun denn, dann machen wir es mal genauer. Wie ergeht es den 26.000 Schweinen, die heute bei Tönnies angekommen sind? Altemeier: Die Schweine kommen nach dem Transport bei uns in einen Stall für etwa zwei Stunden, damit sie sich akklimatisieren können. Jede Menge neue Gerüche irritieren das Tier, denn Schweine haben eine ganz feine Nase. Wir halten sie in ihren Gruppen zusammen, damit sie keine Angst bekommen. Anschließend geht es in den so genannten Zutrieb. Kein Schwein macht das freiwillig. Da muss man schon kräftig nachhelfen, oder? Altemeier: Elektrotreiber sind bei uns komplett verboten. Wir wollen, dass die Mitarbeiter die Tiere mit akustischen Reizen treiben. In die Hand klatschen oder auch mit den Tieren sprechen. Eine ruhige Stimme ist angenehm für die Tiere und dann laufen sie auch. Vor der Schlachtung werden die Schweine betäubt. Erläutern Sie den Vorgang mal genauer. Altemeier: Es gibt verschiedene gesetzeskonforme Methoden, um ein Schwein zu betäuben. Wir nutzen hier die Betäubung mit Kohlendioxid. Das Gas ist schwerer als Luft. Die Schweine kommen in eine Art Paternostersystem mit Gondeln. Es geht etwa neun Meter in die Tiefe. Sie fahren also durch eine Art CO2-Bad und kommen ohne Bewusstsein wieder heraus. Wie lange dauert das fürs Schwein? Altemeier: Die ganze Passage dauert 120 Sekunden. Wir sind der Überzeugung, dass das die tierschutzfreundlichste Möglichkeit ist. Weil? Altemeier: Jede Variante hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil der CO2-Variante ist, die Tiere bleiben in der Gruppe, mit der sie vertraut sind. Sie kommen immer mit mehreren Tieren in eine solche Gondel hinein. Schweine sind ausgeprägte Gruppentiere und regen sich auf, wenn sie vereinzelt werden. Diesen Stress können wir vermeiden. Bei der CO2-Betäubung müssen wir zwei Dinge beherrschen: Das eine ist die Gas-Konzentration und das zweite ist die Zeit. Zwei Minuten ist lang genug, um sicher zu stellen, dass sie wirklich tiefenbetäubt sind. Der Gesetzgeber verlangt eine Gaskonzentration von mindestens 80 Prozent CO2 über einen Zeitraum von mindestens 100 Sekunden. Wir verwenden eine Konzentration von 92 Prozent über einen längeren Zeitraum. CO2 hat keine Nebenwirkungen? Altemeier: Die Tiere bekommen beim Einatmen ein Prickeln auf den Schleimhäuten. Dann entstehen Reaktionen bei dem Tier. Ob das von dem Schwein als schmerzhaft empfunden wird, weiß man nicht. Es ist in jedem Fall ungewohnt. Deshalb arbeiten wir an möglichen Alternativen in der "Tönnies-Forschung". Also gibt es Abwehrreaktionen vom Schwein in der Betäubungsphase? Altemeier: Es gibt aversive Reaktionen. Die Dauer liegt bei 10 bis 20 Sekunden, ehe die Tiefenbetäubung einsetzt. Kann die Konzentration absacken? Altemeier: Kann man nicht vollkommen ausschließen, aber dafür gibt es eine Alarmvorrichtung. Dann muss der Prozess gestoppt und die Tiere nachbetäubt werden. Wer kontrolliert das? Altemeier: Wir haben eigens Mitarbeiter, die beurteilen müssen, ob der Schweinekörper wirklich schlaff ist, ob es noch Muskeltonus gibt, ob die Atemtätigkeit eingestellt und der Augenreflex auslösbar ist. Das wird bei ausnahmslos jedem Schwein von Menschenhand gecheckt? Altemeier: Ja. Sie brauchen im hochtechnischen Betrieb eine menschliche und damit moralische Instanz? Altemeier: Als ich vor sechs Jahren hier angefangen habe, gab es Berichte in den Medien, nach denen in Deutschland jedes Jahr 500.000 Schweine lebend in den Brühkessel gehen. Das ist eine furchtbare Vorstellung. Wir reden über 68 Grad Celsius. Sowas darf nicht passieren. Bevor ein Tier bei uns ins Wasser kommt, prüft ein Mitarbeiter den Augenreflex. Hat diese Person Zweifel, drückt sie den Stopp-Knopf. und hält das Schlachtband an. Dann wird nachbetäubt. Wir zählen diese Vorfälle, ich kann an meinem Computer sehen, wie oft der Mitarbeiter reagiert hat. Passiert das häufiger, bin ich sofort auf dem Plan. Wenn man Millionen Tiere schlachtet, macht das auch was mit den Menschen, die damit zu tun haben, oder? Altemeier: Richtig ist, dass sich eine gewisse Routine einstellt. Das wird von uns beobachtet. Mit den meisten Mitarbeitern funktioniert das gut. Sie werden geschult und auch immer wieder geprüft. Es gibt einzelne, da stellen wir fest, so rund, wie wir uns das vorstellen läuft es nicht. Sie wechseln dann in einen anderen Arbeitsbereich. Die einen sind eben Tierfreunde, die anderen eher nicht. Das hat aber viel mit unserer Aufmerksamkeit zu tun. Wir wollen das Thema Tierschutz voranbringen, unsere Gesellschafter selbst sind an dem Thema interessiert. Clemens Tönnies hat in seinem Büro ein Kamerabild vom Zutrieb der Tiere in die Betäubung, geht regelmäßig mit mir in den Betrieb und spricht mit Mitarbeitern. Wir wollen diese Verantwortung wahr nehmen. Sie sind Tierarzt, Herr Altemeier, aber eben auch ein Angestellter. Können Sie dem Veterinär in Ihnen immer gerecht werden? Altemeier: Das Halten und Schlachten der Tiere zum Zweck der Lebensmittelgewinnung ist für mich legitim. Der Veterinär ist der berufene Schützer der Tiere. Als Tierarzt bei Tönnies kann ich für mehr Tiere etwas tun als sonst irgendwo. Das finde ich gut. Die Stabstelle Tierschutz ist direkt beim Vorstand aufgehängt. Wenn ich ein Anliegen habe, gehe ich direkt zum Chef und muss mich nicht an Betriebsleitern und anderen vorbeimogeln. Was haben Sie konkret an Verbesserungen herbeiführen können? Altemeier: Das Messen der Entblutung und die Überprüfung des Augenreflex geht auf meine Initiative zurück. Wir haben Musik in den Ställen eingeführt. Zugleich haben wir den letzten Bereich vor dem Zutrieb mit grünem Licht ausgestattet. Die Messwerte zeigen: Der Stress bei den Tieren sinkt. Wir haben Gittertore ersetzt, Ställe umgebaut, Wegeführungen geändert und vieles mehr. Und eine meiner größten Aufgaben ist die Schulung von Mitarbeitern. Immer wieder Schulung. Wenn der Stress beim Schwein gering ist und die Cortisolwerte im Blut auch, ist die Qualität des Fleisches gut. Sonst nicht. Reden wir also über Tierschutz oder über Verkaufsoptimierung? Altemeier: Ich bin Tierarzt und mache das, um dem Tier gerecht zu werden. Sicherlich haben diese Maßnahmen aber auch Auswirkungen auf die Produktqualität. Essen Sie selber Fleisch? Altemeier: Ja. Das kann ich mit meiner Welt auch vereinbaren. Ich akzeptiere Schlacht-Prozess grundsätzlich. Für mich als Tierarzt ist es entscheidend, dass wir das vernünftig machen und ordentlich mit den Tieren umgehen. Sie haben viele Besucher hier aus dem In- und Ausland. Selbst Tierschutzorganisationen besichtigen den Betrieb. Wieso? Altemeier: Weil wir das anbieten. In Frankreich kommen Sie in keinen Schlachthof rein. Eine schottische Delegation hat neulich eine Eingabe ins Parlament gebracht, weil sie unser System der Kameraüberwachung übernehmen wollen. Setzen Sie als Branchen-Riese also die Standards? Altemeier: Wir versuchen es. Wir haben den Anspruch, Innovationsführer zu sein. Gemessen an dem kurzen Aufenthalt im Schlachthof gibt es für die Tiere ja ein Leben vorher. Gehört das auch zu Ihrem Einflussbereich? Altemeier: Wir mischen uns ein und sind im Dialog mit der Landwirtschaft. Dieser Prozess ist zunehmend auch im gesellschaftlichen Fokus. Die Deutschen lieben ihre Haustiere. Futter aus Frischfleisch ist keine Seltenheit. Im Gegenzug ist die Empörung riesig, wenn im Schlachthof etwas schief geht. Ärgert Sie das? Altemeier: Es liegt ein großer Fokus auf dem, was wir hier machen, und wir geben uns wirklich Mühe, es gut zu machen. Auf der anderen Seite gibt es eine Armee von Haustieren, die nicht artgerecht gehalten werden. Katzen, die nur in der Wohnung sitzen und niemals rauskommen. Das würden sie aber gerne, die möchten Mäuse fangen. Heerscharen von Hamstern und Meerschweinchen hocken auf wenigen Quadratzentimetern. Meine persönliche Meinung: Wir haben ein wenig die Balance aus den Augen verloren.

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