Wie eine blinde Gütersloherin durch Hilfsmittel selbstständig bleibt

Gütersloh. Susanne Wegener-Dreckmann zählt - bis sechs. Genau so viele Stufen sind es bis zu ihrer Wohnung. Das Zählen hilft ihr, sich zurechtzufinden, sich in der Welt zu orientieren. Denn: Die 56-jährige Gütersloherin ist blind. Vor 21 Jahren hat sie ihr Augenlicht verloren. Seitdem führt sie ein Leben in völliger Dunkelheit. Aber mit viel Kraft und noch mehr Mut hat sie gelernt, dass trotzdem Farbe in ihren Alltag einziehen kann. Ein Tumor hat nach und nach Susanne Wegener-Dreckmanns Sehnerv abgeknipst. "Erst konnte ich einfach immer schlechter sehen, viel gedacht habe ich mir dabei aber erstmal nicht", sagt sie. Ihre Sehstärke wurde immer schwächer. Erst auf dem linken, dann auf dem rechten Auge. Dann konnte Susanne Wegener-Dreckmann gar nichts mehr sehen. Plötzlich war sie blind, war alles anders. 21 Jahre später wirkt Susanne Wegener-Dreckmann selbstbewusst. Zufrieden mit ihrem Leben. Sie weiß, was sie will und vor allem, was sie kann und was nicht. Aufgeben ist nicht ihre Art. "Ich probiere erstmal alles. Und wenn es klappt, bin ich absolut stolz auf mich." Bis zu solchen optimistischen Aussagen war es aber ein langer Weg. Auch an "ganz düstere Zeiten" kann sie sich erinnern. In ein großes schwarzes Loch sei sie gefallen. "Du bist jetzt behindert." Das war ihr einziger Gedanke. Rotz und Wasser habe sie geheult. Im Hinterkopf habe sie immer die Hoffnung gehabt, irgendwann doch wieder sehen zu können. Irgendwann wird die Forschung soweit sein und mir helfen können, redete sie sich immer wieder ein. Und immer wieder wurden diese Hoffnungen zerstört. Heute kann Susanne Wegener-Dreckmann über ihre Gedanken von damals nur schmunzeln. "Ich kann doch nicht auf irgendeine Forschung warten, ich will jetzt leben. Und das so selbstständig, wie es eben geht", sagt sie. Ihren Job in der Montage von Miele hat sie behalten. Zwar wurde ihr Aufgabenfeld an ihre Möglichkeiten angepasst, ansonsten hat sich aber nichts geändert. Die Wege in der Firma legt sie alleine zurück. Ein Block mit zwölf Stufen und einer mit vierzehn Stufen sind es bis zur Kantine. Wegener-Dreckmann weiß Bescheid. Sie hat sich arrangiert, hat sich Tricks angeeignet, die ihr durch den Alltag helfen. Etliche Hilfsmittel hat sie in ihren Haushalt integriert, die sie unterstützen, ihre Selbstständigkeit zu wahren. Armbanduhr und Küchenwaage können sprechen Ihre Armbanduhr spricht mit ihr, genau wie ihre Küchenwaage und allen voran auch ihr Handy. "Das ist das absolut Wichtigste", so Wegener-Dreckmann. Sie legt ihren Finger auf das Display und schon vertont eine Stimme alles, was die 56-Jährige berührt. "Eine neue Nachricht bei Whats-App". Wegener-Dreckmann tippt erneut auf die gleiche Stelle und schon wird ihr die Nachricht vorgelesen. Zwar etwas abgehackt und in der für Computer-Stimmen typischen Tonlage, aber Wegener-Dreckmann könnte sich nichts Besseres vorstellen. Apples "Siri" vereinfacht ihr Leben. Endlich kann sie einen Kalender selbstständig führen. Die 56-Jährige hält eine Taste auf dem Handy gedrückt und spricht hinein. "Siri, habe ich am Montag Termine?" Das Gerät antwortet: Es steht nichts an. Wegener-Dreckmann grinst. "So einfach geht das." Ein Leben, in dem sie sehen könnte, kann sich Wegener-Dreckmann heute gar nicht mehr vorstellen. "Wahrscheinlich würde ich mich fürchterlich erschrecken, wenn ich mich und meine Freunde sehe. Für mich sehen doch alle noch so aus wie vor 21 Jahren", sagt sie und muss schmunzeln. Die späte Erblindung sei ein entscheidender Vorteil, den sie gegenüber Menschen habe, die von Geburt an blind seien. Die Erinnerungen an Farben, an Gesichter, an Bilder, die könne ihr keiner nehmen. Angst hat Wegener-Dreckmann mittlerweile nicht mehr. Wenn man sie nach Einschränkungen fragt, fällt der Gütersloherin kaum etwas ein. Das Fernsehen vielleicht. Das meide sie, weil "es nicht wirklich Sinn macht, Fernsehen nur zu hören." Und Geldautomaten. Die sind Wegener-Dreckmann nicht ganz geheuer. "Da habe ich ein ungutes Gefühl, dass mir doch mal jemand über die Schulter schaut", sagt sie. Aber auch da hat sie einen Plan B in petto: Ihr wird Geld nach Hause geliefert. "Ich brauche nur anrufen und sagen, wie viel ich möchte." Wenn sie in die Stadt geht, dann steckt Wegener-Dreckmann bewusst nur Fünf- und Zehn-Euro-Scheine ein. Dann sei es nicht so schlimm, wenn doch mal ein Schein verloren ginge. Beim Kleingeld kann man der 56-Jährigen Gütersloherin aber erst recht nichts vormachen. "Ich kann fühlen, welche Münze wie viel wert ist. Ich weiß ja, was ich rauskriege und dann zähle ich nach. Ich bin zwar blind, aber nicht blöd."

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