Evakuierung

Bielefelder Bombe bringt ein ganzes Viertel aus dem Takt

Die Evakuierung rund um den Ostmannturm zwingt Anwohnerinnen und Anwohner sowie zwei NW-Mitarbeitende zu spontanen Fluchten – ihre Bomben-Geschichte.

Das gesamte Quartier um den Ostmannturm war über Stunden im Ausnahmezustand. | © Jörg Dieckmann

25.11.2025 | 25.11.2025, 21:07

Bielefeld. Der Montag dauerte länger als gedacht. Wie eine Evakuierung die Tagesplanung der Bewohnerinnen und Bewohner des Ostmannturm-Viertels auf den Kopf stellte, haben NW-Mitarbeiter Tom Steinert und NW-Mitarbeiterin Verena Freiberg aus erster Hand erfahren.

Ich, Tom, hatte bisher noch nicht erlebt, wie eine Bombe Berufsalltag und Feierabend durcheinanderbringen kann. Am Vormittag schreibe ich gerade an einem Artikel. Mein Chef kommt herein und schickt mich zu einer geplanten Bombenentschärfung in der Buddestraße im Ostmannturmviertel.

Auf dem Weg stelle ich fest, dass mir die Gegend vertraut ist. Meine Wohnung ist in der Nähe, darum komme ich auf meinem Arbeitsweg regelmäßig vorbei. Vor Ort befrage ich Anwohnerinnen und Anwohner sowie Einsatzkräfte für den Live-Ticker von nw.de. Die Stimmung ist gut, die Leute nehmen an, dass sie in wenigen Stunden zurückkehren können.

Evakuierungsradius wird plötzlich in Bielefeld erweitert

Ich treffe auf NW-Berichterstatter Jens Reichenbach, und bereits mittags kehren wir gemeinsam in die Redaktion zurück. Ich schreibe weiter an meinem Artikel und denke nicht mehr an die Bombe. Um 17 Uhr aber ruft mich mein Nachbar an und erzählt, dass auch unsere Straße gesperrt wird.

Die Einsatzkräfte verriegelten die Walther-Rathenau-Straße und andere Straßen in der Nähe der Bombe. - © Andreas Zobe
Die Einsatzkräfte verriegelten die Walther-Rathenau-Straße und andere Straßen in der Nähe der Bombe. | © Andreas Zobe

Der Evakuierungsradius sei erweitert worden. Die Entschärfung soll um 21 Uhr beginnen. Ich werde also erst mal nicht mehr zurück zu meiner Wohnung kommen. Ich stelle mich darauf ein, arbeite einfach länger und treffe anschließend meinen Nachbarn auf dem Weihnachtsmarkt.

Als die Buden um 21 Uhr schließen, machen wir uns langsam auf den Heimweg. In den Straßen um den Fundort treffen wir schließlich auf Absperrbänder, auf wartende Anwohnerinnen und Anwohner, und auch auf Feuerwehrleute, die die Durchgänge bewachen.

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Viele betroffene Menschen müssen ausharren bis zur Entschärfung

Ich war schon im vergangenen Jahr einmal von einer Evakuierung betroffen, und zwar wegen eines Hochwassers in meinem Studienort Passau. Ich hätte nicht erwartet, dass mir das hier in Bielefeld, wo ich ein dreimonatiges Praktikum absolviere, so schnell wieder passiert. Kurz ärgere ich mich, dass ich wegen einer Bombe, die vor über 80 Jahren abgeworfen wurde, heute erst später ins Bett komme.

Der Ärger verfliegt jedoch schnell. Ich habe keine Zweifel daran, dass die zuständigen Fachleute die Maßnahmen früher oder später beenden werden. Ich habe Mitleid mit den Menschen, die durch die Situation ernsthaft belastet sind. Mehrere Pflegeheime müssen evakuiert werden.

Ich lese auf meinem Handy, dass ältere Menschen, Gehbehinderte, Kinder und Kranke in die Stadthalle gebracht werden und dort ausharren müssen. Auch die 84-jährige Gerda Waschk tut mir leid. Als Kind hat sie Bombenalarm und den Weltkrieg noch miterlebt. Die Situation erinnert sie an die Nächte im Luftschutzbunker. Ich stecke das Handy weg und geselle mich zu anderen Menschen, die mit mir warten.

Eine Bielefelderin wartet umsonst vor der Absperrung

Etwas lachen muss ich, als eine Frau, die mit uns am Eingang der Straße wartet, etwas bemerkt. Sie steht seit einer Stunde hier und stellt nun fest, dass ihr Haus gar nicht betroffen ist. Sie hatte umsonst draußen gewartet. Zum Glück nimmt sie es mit Humor.

Am späten Abend wurde die Bombe schließlich in der Nähe des Ostmannturm-Viertel entschärft. - © Jens Reichenbach
Am späten Abend wurde die Bombe schließlich in der Nähe des Ostmannturm-Viertel entschärft. | © Jens Reichenbach

So endet mein Tag. Bei meiner Kollegin Verena beginnt und endet dieser anders . . .

Tom begrüßt mich, als ich um 10 Uhr im Innenhof unserer Bielefelder Redaktion ankomme. „Wohin gehst du denn?“, frage ich ihn. Er sei zu einer Bombenentschärfung unterwegs, antwortet er. „Spannend“, gebe ich zurück und gehe ins Gebäude.

Eine Weile später blinkt auf meinem iPhone der Name meiner Kollegin „Danielle“ auf. Automatisch greife ich zu meinem Telefon und nehme ab. „Hallo, Danielle!“, sage ich. „Hey Maus, hast du schon von der Bombenentschärfung gehört?“, fragt sie mich.

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Auch meine Straße ist in der Nähe vom Ostmannturm betroffen

Ich nicke, obwohl sie mich nicht sehen kann. Sie will wissen, ob meine Straße auch gesperrt sei. „Ich denke nicht“, antworte ich. Ich nenne ihr meine Adresse – doch, du bist betroffen, sagt sie. Sie bietet mir an, nach der Arbeit bei ihr vorbeizukommen. Ich bedanke mich, aber ich will nachher noch zum Sport gehen.

Mein Kollege Kurt, der das Telefonat mitbekommen hat, schaltet sich ein und fragt mich, ab wann denn evakuiert wird. Ich schaue im Internet nach. „Ab 17.30 Uhr, dann komme ich nicht mehr in meine Wohnung“, sage ich.

Dann fällt mir ein, dass ich meinen Freundinnen und Freunden aus der Gegend Bescheid geben muss. Ich schreibe eine Nachricht in unsere Gruppe und bekomme die ersten verzweifelten Antworten. Kurzerhand beschließe ich, meine Sporttasche von zu Hause zu holen.

Zeit totschlagen mit ausgiebiger Gym-Session

Diesmal wird es wohl eine ausgiebige Gym-Session, denke ich. Ich verabschiede mich von Kurt und sprinte zu meinem Fahrrad. Schnell radle ich Richtung Wohnung, dabei regnet es mir ins Gesicht. Zu Hause angekommen renne ich die Treppen hoch, schließe die Tür auf, hole meine Tasche und packe schnell alle Sachen ein.

Auf dem Weg nach unten treffe ich Nachbarn, sie reden über die Evakuierung. Viel Zeit habe ich nicht, ich muss gleich noch zur Weihnachtsmarkt-Eröffnung, die zeitgleich mit der Räumung beginnt. Ich bringe meine Sporttasche ins Büro und starte zum Termin. Wenig später bin ich im Fitnessstudio und sehe auf die Uhr. Es ist bereits 21 Uhr, die Entschärfung hat nun begonnen, denke ich.

Mein knurrender Magen sagt mir, dass ich etwas zu essen brauche. Ich frage meinen Trainingspartner Thiemo, der auch von der Evakuierung betroffen ist, ob wir uns was holen wollen. Er bejaht meine Frage, und wir schauen, wo wir hingehen wollen.

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Die Bombe ist endlich in Bielefeld entschärft

Dann sitzen wir schon in einer Dönerbude und ich genieße meine Falafel im Fladenbrot, es ist jetzt 22 Uhr. Ich schaue noch mal im Internet nach, wie der aktuelle Stand ist. „Oh nein, die Entschärfung hat noch nicht begonnen, Uneinsichtige haben die Evakuierung verzögert“, sage ich.

Thiemo verdreht die Augen, hoffentlich dauert das nicht die ganze Nacht, sagt er. Dann geht er wieder dazu über, schlechte Witze zu reißen. Vor allem über mein Alter, obwohl er nur ein Jahr jünger ist als ich. Nach dem deftigen Essen schlendern wir noch über den Weihnachtsmarkt und ich hole mir einen Crêpe mit Kinderschokolade. Es vibriert in meiner Tasche. Judith, eine Freundin, ist am Telefon. Sie ist auch von der Entschärfung betroffen und fragt, wo wir jetzt sind.

„Noch auf dem Weihnachtsmarkt“, antworte ich. Sie lädt uns in eine befreundete WG ein, die direkt an das Gebiet angrenzt. Wir willigen ein und machen uns auf den Weg. Kurz vor der WG um 23 Uhr erreicht uns die Nachricht auf dem NW-Live-Ticker: „Bombe ist entschärft.“ Erleichterung macht sich breit, wir holen Judith ab und gehen nach Hause.

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