Warum sich mehr Bielefelder mit Schreckschusspistolen bewaffnen

Bielefeld. Anfang 2024 besaßen rund 2.500 Bielefelder einen kleinen Waffenschein, der zum Führen von Schreckschuss- und Reizgas-Pistolen in der Öffentlichkeit berechtigt. Seitdem hat die Polizei 417 neue Anträge bewilligt. Schreckschusswaffen boomen bundesweit – auch in Bielefeld. Die Lokalredaktion will wissen: Wer sind die Käufer in Bielefeld? Bernd Höcker ist Besitzer des gleichnamigen Waffen-, Scheren- und Messer-Fachgeschäfts an der Hauptstraße in Brackwede. Er spürt den Drang zur Schreckschusswaffe im Geschäftsalltag noch nicht. &bdquo;Ja, es gibt immer mehr kleine Waffenscheine. Aber beim Verkauf spüren wir das kaum. Außer im Dezember.“ Dann kauften spürbar viele Kunden Schreckschusswaffen, um damit Feuerwerk für Silvester abzufeuern. Diese ab 18 Jahren frei verkäuflichen Waffen sind gleichermaßen für den Abschuss von Schreckschuss-, Reizgas- und Signalwaffen-Munition (SRS) geeignet, worunter auch Feuerwerksmunition fällt. Alles zum kleinen Waffenschein: In OWL boomt der kleine Waffenschein – das sind die Folgen Mit entsprechenden Aufsätzen können bis zu fünf Pyromunitionen gleichzeitig in den Nachthimmel geschossen werden. Höcker vergleicht die Wirkung dieser Munition mit einer handelsüblichen Feuerwerksbatterie. &bdquo;Allerdings“, räumt er ein, &bdquo;ist in NRW der Abschuss von Schreckschuss-, Gas- und Signalwaffen an Silvester auf offener Straße offiziell nicht erlaubt.“ Der bewaffnete Frauenanteil in Bielefeld wächst Anglerexperte Michael Schling hat sich als &bdquo;SRS-Airsoft-Spezi“ in Hillegossen vor einem Jahr mit einer Händlerlizenz für frei verkäufliche Waffen ein zweites Standbein geschaffen: &bdquo;Wir bemerken schon den Bedarf an diesen Waffen. Früher hätten sich nur Männer dafür interessiert.“ Inzwischen sind auch viele Frauen unter den Kunden. Die Hauptnachfrage der Kunden betrifft bei Bernd Höcker dennoch das Pfefferspray. &bdquo;Tierabwehrsprays sind eher deeskalierend.“ Viele hätten diese Sprays inzwischen bei sich, wenn sie abends unterwegs sind. SRS-Spezi Schling hat inzwischen sogar ein Pfefferspray im Angebot, das ein wenig wie eine Pistole aussehe, aber als Pfefferspray gelte. Doch wer sind die Kunden, die einen kleinen Waffenschein beantragen (Voraussetzung: mindestens 18 Jahre, keine Vorstrafen, Zuverlässigkeit) und sich dann mit SRS-Waffen eindecken? Kunden wollen größere Wirkung als Pfefferspray-Sprühwolke Es seien Menschen, die eine größere Abschreckungswirkung erzielen wollen als mit einem Sprühstoß Pfefferspraygas:: &bdquo;Sie hoffen, dass der andere dann sofort abhaut.“ Das Eskalationspotenzial so einer Waffe sei aber größer als bei Reizgas, betont Höcker. Trotzdem sehe er den abschreckenden Effekt in bestimmten Fällen positiv. Etwa wenn unten im Haus ein Einbrecher die Schränke durchwühle, könne es hilfreich sein, wenn man oben mit einer Schusswaffe aus dem Schlafzimmer kommt. Auch interessant: Polizeieinsatz: Junge Männer in Bielefeld mit Schusswaffe bedroht Auffallend oft beschafften sich Wohnmobilreisende solche Schusswaffen, wenn sie ins ost- oder südeuropäische Ausland verreisen. &bdquo;Wer da alleine auf einem Rastplatz stehen muss, fühlt sich mit einer Waffe in der Nacht sicherer“, sagt Höcker. Er warnt aber davor, einfach damit loszufahren. So seien Selbstverteidigungswaffen in Skandinavien und England streng verboten. In anderen Ländern benötigten Besitzer eine Einfuhrerlaubnis, sagt Schling. Auch einige seiner Angler fühlten sich mit so einer Waffe sicherer, wenn sie allein in der freien Natur zelten. Gemeinsamkeit der Bielefelder Waffenbesitzer ist ein negatives Erlebnis Seine Kunden seien ganz normale Leute, in den meisten Fällen rechtschaffen, sagt der Brackweder Waffenhändler. Etwa ein Drittel der Käufer seien Frauen, nur bei den Silvesterkunden liege der Männeranteil fast bei 100 Prozent. Von jung bis alt seien alle Altersstufen vertreten. &bdquo;Was die meisten gemeinsam haben, ist ein negatives Erlebnis“, sagt Höcker. Sei es ein Einbruch, der das subjektive Sicherheitsempfinden im Haus verändert habe, sei es ein Raubüberfall oder sogar eine Gewalttat, die das Sicherheitsgefühl im Freien belaste. Fast alle Käufer von Schreckschusswaffen berichteten von einem negativen Ereignis, das ihren Wunsch nach mehr Sicherheit ausgelöst habe. Eine junge Frau hatte sich nach einer schweren Gewalttat anschließend gleich &bdquo;mit dem ganzen Programm“ bei ihm eingedeckt, berichtet Höcker. Betrunkener jagt Bielefelderin mit einem Messer Auch Michael Schling berichtet von einer Frau: Die Hundehalterin war plötzlich mit einem Betrunkenen konfrontiert. Der hatte sie angepöbelt, weil ihr Vierbeiner seine Hunde angebellt hatte. Als sie ihren Hund nicht beruhigen konnte, soll der Mann mit den Worten &bdquo;Dann steche ich ihn jetzt ab“ ein Messer gezückt haben und auf sie losgestürmt sein. Die Frau und ihr Hund konnten in Panik flüchten. Diese Kundin habe sich anschließend eine Pistole angelegt. Wieder andere Kunden seien Geschäftsleute, die jeden Abend ihr Geld zur Bank bringen müssten. Für diese Kunden seien eher kleine, handliche Waffen interessant, so Schling. Unfassbar: Waffeneinsatz in Bielefeld: Streit um Parken endet mit Schüssen NRW-Innenminister Herbert Reul ist gegen diese Art der Bewaffnung: &bdquo;Niemand muss hier mit einer Waffe im Gürtel herumlaufen, NRW ist nicht der Wilde Westen. Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse.“ Bernd Höcker hingegen ist der Meinung, dass sich die Menschen selbst helfen können sollten. Es sei doch eine Utopie, zu glauben, dass &bdquo;ich bei einer Bedrohung kurz mit dem Handy durchrufe, und schon ist die Polizei da. Bis die da sind, ist alles vorbei.“ Aber natürlich helfe so eine Pistole nicht in jeder Situation: &bdquo;Wenn ich ein Messer am Hals habe oder mein Gegenüber eine scharfe Waffe in der Hand hält, dann brauche ich meine Schreckschusspistole nicht mehr rauszuholen.“ Händler kritisieren Bielefelder Waffenverbot als falsches Signal In diesem Zusammenhang sehen die beiden Bielefelder Händler auch die neu eingerichtete Waffenverbotszone in Bielefeld kritisch: &bdquo;Die Rechtschaffenen lassen ihre Selbstverteidigungswaffen zu Hause, aber die Kriminellen scheren sich nicht um das Verbot“, so Höcker. &bdquo;Das ist kein Plus an Sicherheit.“ Immerhin: Pfefferspray ist in den Waffenverbotszonen weiterhin erlaubt. Tränen- oder CS-Gas gilt hingegen schon wieder als Waffe und ist dort verboten. Neue Regeln in der City: Das müssen Sie zur Waffenverbotszone in Bielefeld wissen Schling räumt ein, dass es aber auch reine &bdquo;Waffenfans“ gebe. &bdquo;Für manche Männer sind Waffen immer ein Anreiz. Die wollen damit auf ihrem Privatgelände rumknallen.“ Andere schafften sich gleich drei bis vier solcher Waffen an. Revolver hätten seltener Klemmer und seien bedienungsfreundlicher. Andere wollten noch eine halbautomatische Version, andere seien einfach Sammler. Die Polizeigewerkschaften sehen bei Schreckschusswaffen vor allem in der täuschenden Ähnlichkeit zu scharfen Waffen eine große Gefahr. Polizeibeamte könnten im Einsatz nicht unterscheiden, ob nur Knallmunition geladen ist oder sie eine scharfe Waffe bedroht. Schling bestätigt: Unterscheiden könne man scharfe und Schreckschusswaffen nur an einem kleinen Punkt im Lauf. Das sei die Blockierung der Patrone. Sonst seien diese Waffen nahezu identisch. Schling und Höcker beraten ihre Kunden zum Umgang mit den Waffen, sie registrieren bei jedem Kauf ihre persönlichen Daten und warnen auch vor den Gefahren: &bdquo;Wenn ich so eine Waffe ganz nah ans Gesicht halte, können die brennenden Partikel der Zündung bleibende Schäden am Auge verursachen“, warnt Höcker. Wer die Waffe sogar aufsetze, könne mit der Druckwelle der Explosion schwerste Verletzungen verursachen. Trotzdem: &bdquo;Ich kenne keine Polizeimeldung, bei der jemand von einer Schreckschusswaffe ernsthaft verletzt wurde. Da sind Messer viel gefährlicher.“

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